Es ist schon tief in der Nacht, als in der KVB doch noch einmal das Thema des Tages in Köln zur Sprache kommt. Bis dato war meine Eigenschaft, mich in der Öffentlichkeit schnell aus den Geschehnissen rund um den 1. FC Köln auszuklinken, zum Tragen gekommen, doch irgendwann so gegen 3.30 Uhr waren auch der Akku jedes Smartphones und die geräusch-minimierenden Kopfhörer machtlos. „Was war das denn bitte für’n Derby?“, höre ich den Typen hinter mir fragen. „Das war gar nichts“, antwortete seine Begleitung. Ich nickte müde. Das war wirklich nichts, dachte ich mir. Auf dem Platz und auf den Rängen. Kein Feuer im Derby, vor allem auf Kölner Seite.
Der Tag fing an wie jeder samstägliche Spieltag anfängt. Nachdem der Freitagabend aus den mittlerweile nicht mehr ganz so jungen Knochen geschüttelt ist, wird mit den Kumpels Ort und Zeitpunkt des ersten Kölschs ausbaldowert. Dann die Linie „1“ bis Aachener Straße/Gürtel, mehrere Wegbiere an den Start bringen und dann den Rest zu Fuß bis zum Müngersdorfer Stadion. Dass an diesem Samstag allerdings kein normales Spiel für den effzeh auf dem Programm steht, wird spätestens beim Blick auf die Polizeibesetzung auf der Aachener Straße klar. Sogar Wasserwerfer und Hubschrauber sind zur Sicherheit am Start – Bürgerkriegsfeeling deluxe. Da kam schon bei so manchem die Frage auf, ob es denn tatsächlich lediglich zum Fußball geht. Derby eben.
Buttersäure am Gästeblock
Wie brisant das Prestigeduell zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach werden kann, war in der jüngsten Vergangenheit immer wieder offen zu Tage getreten. Attacke auf einen Fanbus auf der einen Seite, Attacken auf die Heimkurve des Rivalen auf der anderen Seite. Mit Ruhm bekleckert haben sich zuletzt weder Rot-Weiß noch Schwarz-Grün, wenn es um das ewig junge Ringen um die Macht am Rhein geht.
So startet auch der heutige Derby-Tag mit einer eher ungewöhnlichen Nachricht: Am Gästeblock des Müngersdorfer Stadions stinkt es – und zwar nach Buttersäure, die Scherzbolde dort verschüttet hatten. Der gewohnt nette Empfang für die ungeliebten Gäste, die auch nach intensiver Reinigung der betroffenen Bereiche immer noch einen leicht fauligen Geruch in der Nase haben sollten.
Für mich geht es derweil auf die andere Seite des Stadions, wie zumeist bei Heimspielen ruft die Südkurve. Die Kontrolle etwas strenger als sonst – allerdings auch nicht so, dass nichts hereingeschmuggelt werden konnte. Ein Problem, wie sich später im Spiel zeigen sollte. Wenig später beginnt das 89. Derby in der Bundesliga – und es beginnt mit zwei motivierten Fanszenen, die ihr Team zum Erfolg brüllen und gleichzeitig die Abneigung zum Rivalen deutlich machen wollen.
Der Funke, der nicht überspringen will
Doch so lautstark (eher Köln) und bunt (vor allem Mönchengladbach mit einem Pyro-Intro kurz vor Anpfiff) das Prestigeduell beginnt, so schnell verflacht die Derby-Atmosphäre im Müngersdorfer Stadion auf beiden Seiten. Spätestens nach der frühen Führung für die Gladbacher ist jedweder Elan von den Kölner Rängen gewichen, während auch die Gäste nur vereinzelt richtig laut auf sich aufmerksam machen können.
Der Funke, der von der Tribüne auf den Rasen überspringen soll, er fehlt. Es fehlt allerdings auch der Funke, der vom Rasen auf die Tribüne überspringt. „Typische Derby-Leistung“, mault Kollege Reinscheid. Einer unserer Follower auf Instagram schreibt später als Beschreibung seines Stadionbilds: „Die Stadt war bereit für‘s Derby, die Fans waren bereit für‘s Derby, der Rasen war bereit für‘s Derby,…und dann war da noch der 1. FC Köln“ – eine passende Einschätzung.
Es macht sich zunehmend ein komisches Gefühl im Stadion breit, die Anspannung im Derby scheint wieder einmal größer zu sein als die Lust, das Team nach vorne zu peitschen. Daran ändert auch ein kleiner Fahnen-Trick im Gladbacher Gästeblock nichts: Statt der einst in Hoffenheim erbeuteten Boyz-Fahne holen sie nach „Wir woll’n die Fahne seh’n“-Gesängen ein Duplikat des damals als Täuschung zurückgelassenen „Toyz“-Lappen heraus. Reaktion in der Kölner Kurve gleich null.
Ein Knall erschüttert das Müngersdorfer Stadion
Es entwickelt sich nahezu ein „normales“ Derby, Schmähgesänge und Spruchbänder inklusive. Auf dem Platz verpassen es die Gäste vom Niederrhein, den Deckel drauf zu machen, und lassen dem effzeh noch bis weit in die Schlussphase die Hoffnung auf einen unverdienten Ausgleich. Viel ändert sich nicht an der derby-unwürdigen Heim-Atmosphäre, bis in der 86. Minute mit einem Knall das ganze Stadion verstummt.
Aus der Ecke der Südkurve an der Westtribüne war ein Böller Richtung Spielfeld geflogen und ganz in der Nähe der Fotografenriege explodiert. Zwölf Verletzte, denen ich an dieser Stelle beste Genesungswünsche schicken möchte, ordentlich Sachschaden – die nüchterne Bilanz dieser komplett sinnbefreiten Aktion, die schon während der Partie nur Kopfschütteln hervorrief. Erst nach dem Verlassen des Stadions erfuhr ich, dass der vermeintliche Täter bereits ermittelt und abgeführt wurde.
Die direkten Konsequenzen für diese äußerst gefährliche Tat wird er allein tragen müssen. Das Urteil, das der 1. FC Köln gegen den Böllerwerfer aus dem Paderborn-Spiel erfochten hat, dürfte wenig Spielraum für Spekulationen lassen. Schadenersatz, Schmerzensgeld, Strafe vor Gericht: Glimpflich wird derjenige, der sich diesen Schwachsinn hat einfallen lassen, nicht davon kommen.
Eine Einzeltat – mit unübersehbaren Folgen
Denn der gewaltige Knall, der das Müngersdorfer Stadion erschütterte, wird, auch wenn das Derby schon längst nur noch in den Geschichtsbüchern erwähnt wird, ein gewaltiges Nachspiel haben. Medial gab es dies auf jeden Fall: Eine „Attacke auf ganz Köln“ sei dieser Böllerwurf gewesen, titelte das größte kölsche Boulevardblatt. In den Kommentarspalten im Internet und an den Theken dieser Stadt überboten sich die Menschen wieder an Bestrafungsphantasien und Verschwörungstheorien.
Nein, es ist nicht die Schuld des neuen Präsidiums, das den Gewalttäter in den Reihen des 1. FC Köln nach der Vorstandswahl nun angeblich freie Hand lassen würde. Und nein, es war allen Erkenntnissen zufolge kein Ultra, der den verdammten Sprengkörper in eine Gruppe völlig unwissender Menschen geworfen hat. Und nein, das ist nicht mit im Block gezündeter Pyrotechnik zu vergleichen, die vernünftig verwendet weder solch einen Schaden anrichtet noch die Stimmung abrupt zerstört wie dieser Böller.
Und nein, dadurch wird die Behauptung, man könne heutzutage nicht mehr ins Stadion gehen, weil es dort völlig unsicher sei, nicht richtig. Es ist schlichtweg das Werk eines komplett idiotischen Einzeltäters, dem offensichtlich völlig egal war, was er mit seiner feigen Tat anrichtet. Um das zu verhindern, helfen wohl offensichtlich als Abschreckung auch keine höheren Strafen, kein lebenslanges Stadionverbot oder die Aussicht auf eine Privatinsolvenz.
Ein seltsam blutleeres Derby
So ist dies wieder einmal ein Bärendienst eines einzelnen für die gesamte Fankultur in diesem Land. Denn im Ringen um den berechtigten Anspruch, solche Taten zu unterbinden, dürften wieder einmal schwere Geschütze aufgefahren werden. Bayern München testet demnächst in seinem Stadion Körperscanner, ähnlich weitreichende Einschnitte in die persönliche Freiheit eines jeden Fußballfans wurden von diversen Innenministern bereits gefordert.
Es bleibt daher zu hoffen, dass die persönlich vom Böllerwurf betroffenen Menschen keine langfristigen Folgen davon tragen. Das Image des Fußballs und seiner Fans wird durch solche Aktionen aber sicherlich Kratzer davon tragen. Darüber denke ich nach, als ich das Müngersdorfer Stadion verlasse. Mies gelaunt nach der Derby-Niederlage, die so vorhersehbar wie unnötig war. Verlieren kannst du gegen einen besseren Gegner, aber sich streckenweise derart blutleer zu verkaufen: Das hat Spuren hinterlassen, auch wenn es für mich nicht unerwartet kam.
Vorher die Backen aufmachen, dass man verstanden habe, wie wichtig dieses Spiel für Fans und Verein ist, und dann das nicht auf den Platz bringen: Nichts Neues beim effzeh! Derweil verläuft auch der Rückweg seltsam unmotiviert: Ein wenig Gepöbel, ein wenig Gefrotzel – das war’s. Ein paar Frustkölsch, ein paar belanglose Gespräche über andere Themen, dann ist der Derbytag auch wieder Geschichte. „Was war das denn für’n Derby?“ – ein halbwegs friedliches, überschattet durch eine Einzelaktion eines Idioten. Ein leidenschaftsloses über weite Strecken. Oder um es anders zu sagen: „Das war gar nichts!“