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Nachspiel

What shall we do with the drunken sailor?

Eine Viertelstunde lang gerät der effzeh gegen Bayer in Seenot, verliert so trotz couragierter Leistung in einem Spiel, in dem man auch nach fünffacher Verlängerung kein Tor geschossen hätte.

Foto: Sascha Steinbach/Bongarts/Getty Images

Als die zweite Halbzeit im Duell zwischen dem 1. FC Köln und Bayer Leverkusen, das trotz aller Nicht-Derby-Bekundungen doch noch immer irgendwie ein besonderes Duell ist, einige Sekunden alt war, stimmt die Südkurve ein Lied an, das man wohl noch nie in Deutschlands lautstärksten Stadion gehört hatte, wohl aber schon unzählige Male im schulischen Musikunterricht. Ein Seemannslied, ein Shanty, das die Frage aufwirft, was denn nur zu tun ist mit dem betrunkenen Seemann. Und sie sangen minuten- fast stundenlang. War es die Einfallslosigkeit an einem beinahe sommerlichen Fußballtag, an dem nie so rechte Stimmung aufkommen wollte oder war es eine ernst gemeinte Frage, die unweigerlich mitschwang? Was soll wir tun mit diesem leicht angeschlagenen, taumelnden 1. FC Köln, der schon zur Pause mit 0:2 hinten lag und Gefahr lief auch das nächste Spiel leichtfertig zu verlieren?

Zurück auf Anfang. Der effzeh war nach dem völlig unnötigen Unentschieden in Hoffenheim samt Kaugummiwurf und Fairplaydebatte zumindest in der Wahren Tabelle bis auf den achten Tabellenplatz vorgestoßen. Während man dort auf die Europapokal-Plätze schielte, war man nach einem weiteren unnötigen Punktgewinn ein wenig unter Zugzwang und wollte unbedingt den Erfolg aus dem Hinspiel gegen die Werkself™ wiederholen.


Die Bilder zum Spiel:  [g-carousel gid=”26244″ height=”75″ per_time=”5″]


Auch im Vorort von Köln Mülheim hatte man sich nach drei “echten” Siegen einiges vorgenommen und wollte die Hinspielniederlage nicht auf sich sitzen lassen. Dafür hatte sich die Bayer AG eine ganz besonders spitzfindige Werbekampagne ausgedacht und ihre Mitarbeiter im Auswärtsfanblock, der trotz der astronomischen Ticketpreise doch irgendwie halbwegs voll war, mit kleinen Fähnchen ausgestattet, auf denen sich das Firmenlogo befand. Diese schwenkte die engagierte Arbeitsgruppe Stimmung fröhlich vor sich her. Dahinter prangte das Banner “Forza Bayer”. Product Placement zur besten Fußball-Sendezeit.

What shall we do with the drunken sailor?

Im Kölner Fanblock entschied man sich zunächst einmal still zu bleiben, ehe es eine kritische Choreographie zu bestaunen gab. Die Choreographie auf dem Platz machte dann auch Hoffnung auf mehr. Schon nach zwei Minuten hatte Kevin Vogt Kollege Yannick Gerhardt mit einem schönen Steilpass auf die Reise geschickt. Der aber war schneller als der Ball und verstolperte das, was etwas später eine richtig tolle Chance hätte werden können. Was man da noch nicht wusste? Es sollte eine für dieses Spiel höchst bezeichnende Szene sein.

Foto: Sascha Steinbach/Bongarts/Getty Images)

Foto: Sascha Steinbach/Bongarts/Getty Images)

Die Stöger-Elf, die genauso aufgestellt war wie beim vorherigen Spiel gegen die Traditionsmannschaft von 1899, spielte relativ forsch gegen die Spitzenmannschaft und hielt mehr als gut mit. Simon Zoller gab einen harmlosen Schuss aus fast 30 Metern ab, den Bernd Leno aber aus Ehrfurcht nach vorne abklatschen ließ, wo (Überraschung!) weit und breit kein Kölner stand, um abzustauben. Anthony Modeste hatte seine beste Chance nach 20 Minuten, als er sich den Ball selbst an der Mittellinie holte, auf links weitergab, in die Mitte rannte und das Leder mustergültig von Jonas Hector auf den Kopf serviert bekam, um die Kugel dann knapp neben das Tor zu befördern.

Eine halbe Stunde lang spielte der effzeh wie angetrunken. Forsch, frech, aber auch schon etwas ungenau und unklar in den eigenen Aktionen. Danach allerdings schien er genau das eine Kölsch zu viel getrunken zu haben, das man braucht, um nicht mehr ganz geradeaus gehen zu können. Plötzlich schien die gesamte Mannschaft über den Platz zu torkeln und offenbarte merkwürdige Aussetzer in der Hintermannschaft. Vizekusen™ wurde immer stärker und so fiel fast folgerichtig fünf Minuten vor der Pause das Gegentor durch Julian Brandt. “Ein ziemlich geiler Volleyschuss von einem ziemlich fantastischen Spieler”, hätten wir gesagt, wenn wir neutrale Betrachter gewesen wären. Stattdessen herrschte aber eher Aufregung darüber, dass dieser ziemlich fantastische Spieler verdammt frei stand.

Put him in the long boat until he’s sober

Direkte Gegentore vor der Pause sind nie schön, zwei direkte Gegentore vor der Halbzeit sind in der Folge doppelt unschön. Doch der effzeh erwachte nicht aus seinem Delirium und schwamm weiter über von Sonne getränkten Rasen in Köln Müngersdorf. Fünf Minuten nach dem Brandt-Treffer und ganz kurz vor dem Pausenpfiff tauchte auch das eigens für die Produktverbreitung im Land der pharmazeutischen Drogen eingekaufte Erbschen nach einem Missverständnis zwischen Zoller und Lehmann komplett frei vor dem Kasten von Timo Horn und spitzelte die Kugel clever ins kurze Eck.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste Peter Stöger seinen Co-Trainer Manfred Schmidt wohl beauftragt haben, das WikiHow “Um einen Betrunkenen kümmern” zu studieren. In der Kabine musste seine Mannschaft wieder zurückgeholt werden in die mittlerweile nicht mehr ganz so rosige Realität. Eine von Stögers Maßnahmen dabei: Er wechselte Kevin Vogt, der an beiden Gegentoren nicht ganz schuldlos war und im Zentrum leicht neben der Spur war, gegen Filip Mladenovic aus beorderte Yannick Gerhardt dadurch ins Zentrum. Vom Publikum gab einen unnötig-höhnischen Applaus, über den sich Stöger nach dem Spiel noch aufregen sollte.

Sein Team war jedenfalls wieder zu sich gekommen. Mit Einsetzen des immer wiederkehrenden Vortrags vom Seemannslied schien sich auch der effzeh wieder in einen gewissen Rhythmus zu spielen. Die Defensive stand wieder sicherer, die Kombinationen wirkten wieder flüssiger, was vielleicht auch daran lag, dass sich Leverkusen komischerweise ganz weit zurückzog und schon nach der 50. Spielminute auf Zeit spielte, als würde Roger Schmidt sein Team für den FC Ingolstadt halten. Dies sollte später als “abgezockt” dargestellt werden.

Foto: ROBERTO PFEIL/AFP/Getty Images)

Foto: ROBERTO PFEIL/AFP/Getty Images)

Pull out the plug and wet him all over

Gegen eine nur noch verwaltende Werkself wurde der effzeh immer stärker. Mit Yannick Gerhardt im Zentrum bekam das Spiel deutlich mehr Struktur und über den agilen Leonardo Bittencourt wurden viele vielversprechende Angriffe eingeleitet. Die Männer in den weißen Trikots mit dem kunstvollen Dom-Puls schienen sich mit aller Macht aus dem Zwei-Gegentore-Sumpf ziehen zu wollen. Doch es gelang nicht.

Jeder finale Pass, jede Flanke, jede Standardsituation schien sich im Körper eines brutalen Jonathan Tah zu verfangen, der gefühlt den gesamten Strafraum mit seinem breiten Kreuz bedeckte. Ein einziges Mal schien Tah überwunden, als Simon Zoller nach einer Stunde frei aufs Tor köpfen konnte, wobei jedoch Bernd Leno mit einer sensationellen Parade und mit Hilfe des Pfosten zeigte, dass er nicht umsonst hin und wieder mal vom DFB eingeladen wird.

Während aus der Südkurve weiterhin das immer gleiche Shanty in den Frühlingshimmel drang, schien es so, als könne auch die Mannschaft auf dem Feld bis zum nächsten Wochenende weiterspielen und kein Tor erzielen. Bittencourt scheiterte erneut an Leno, Zoller verfehlte das Tor mit einer Direktabnahme um Zentimeter und schließlich war es auch dem eingewechselten Marcel Hartel mit einem tollen Schuss von der Strafraumkante nicht vergönnt sein erstes Bundesligator zu erzielen.

Take him and shake him and try to awake him

Weil Bayer es mit dem Zeitspiel derart kunterbunt trieb, ließ Schiedsrichter Manuel Gräfe fünf Minuten nachspielen. Fatal für den effzeh. Ein Tor wollte sowieso nicht mehr fallen und in der letzten Minute der Nachspielzeit brannten in einem ansonsten beinahe schon unheimlich fair wirkenden Spiel den Spielern beider Parteien die Sicherungen durch. Leonardo Bittencourt packte gegen Mehmedi die Schere aus und flog berechtigterweise mit der Roten Karte vom Platz.

Ganz nach dem namentlichen Vorbild der Konzernkonkurrenz aus der Autostadt bildeten die Leverkusener gemeinsam mit dem Heimteam ein Rudel. Nettigkeiten wurden ausgetauscht und schließlich landeten auch Hände in Gesichtern. Wendell, der schon zuvor um einen Platzverweis gebettelt hatte, musste mit einer Gelb-Roten Karte ebenfalls vom Feld, dazu hätten sich auch noch ein paar andere Spieler nicht über etwaige Strafen beschweren können. Es war ein wenig so, wie im Eishockey, wenn man sich nach Niederlagen der Haie wünschte, dass sich die Spieler am Ende wenigstens noch ein wenig schlagen würden.

Während man im Eishockey allerdings für vergleichbare Aktionen lediglich fünf Minuten in die Box muss, folgen im Fußball eben mehrere Spiele Sperre, sodass der effzeh nun in der entscheidenden Phase der Saison auf einen seiner besten Spieler verzichten muss und weiterhin ein wenig betrunken durch das Tabellenmittelfeld der Bundesliga taumelt. Zum Glück wartet im nächsten Spiel ja das Karnevalsduell.

 

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