“Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“, das wird sich Alexander Gauland vermutlich jetzt schon als Begrüßungsformel überlegt haben, falls es ihm in ein paar Wochen gelingen sollte, sich mit seinem Seniorenausweis bei der Siegesfeier der frischgebackenen Europameister-Mannschaft des DFB rein zu schummeln. Natürlich nur, um kurz darauf wieder zu leugnen, was er zuvor gesagt hat. Denn oft weiß der Mann offenbar selbst nicht mehr, ob, wann und vor allem was er denn nun gesagt, doch nicht gesagt, oder bestritten hat.
Hinsichtlich der gaulandschen Erinnerungslücken schien erst nur sicher belegt zu sein, dass der nette Onkel von der „Alternative für Deutschland“ kürzlich erklärt hatte, welche Nachbarn „die Leute“ gerne hätten. Also sozusagen auch wen sie lieber im Trikot der deutschen Nationalmannschaft als halb nackt – in einer Hand das Dosenbier, in der anderen das schwarzrotgoldene Fähnchen – nebenan auf dem Balkon jubeln sehen würden. Aber das ist nicht alles. Die Nationalelf, das erklärte Gauland nun dem „Spiegel“, sei „schon lange nicht mehr deutsch im klassischen Sinne“. Auch die Tatsache, dass Nationalspieler nach Mekka pilgern, sei „sehr gewöhnungsbedürftig“. Und man müsse sich fragen, ob jemand, der so etwas tut, „in einer deutschen Demokratie richtig aufgehoben“ sei.
Das Spiel mit der “Lügenpresse”
Von Rechtsaußen nichts Neues: Die professionellen Politik-Imitatoren der AfD tun mal wieder das, was sie am besten können: Populistisch-diskriminierende Rohrkrepierer-Gedanken, natürlich garniert mit einem ordentlichen Klacks „Made in Germany“-Nationalstolzsoße mit völkischer Gewürzmischung, in die Medienwelt absondern. Fertig ist die öffentliche Empörungswelle und die Partei wieder in aller Munde. Vor allem, wenn man sich mit der Masche ein Thema wie die Nationalelf aussucht, die durch die EM ohnehin schon höchste Aufmerksamkeit genießt, geht der Plan auf. Und danach folgen dann die üblichen Dementis und „Habe man nicht so gemeint“-Erklärungen, ehe das große Klagen über die gemeine “Lügenpresse”, die immer alles verdreht, wieder beginnt. Ein alter Mann wird schließlich auch mal Quatsch reden dürfen, er hat es doch auch nicht böse gemeint. Nein, niemals. Jerome Boateng ist schließlich ein ganz „wunderbarer Neger“, findet immerhin ja auch die CSU in Person von Joachim Herrmann. Moment, doch nicht – das war ein anderer. Aber was müssen die auch alle gleich aussehen!
Nun ist dem Autor durchaus klar, dass er bei diesem Spielchen jetzt irgendwie auch mitmacht. Aber, liebe Leserinnen und Leser, regen Sie sich ruhig darüber auf! Und erzählen Sie Freunden und Kollegen von dieser Kolumne, damit die sich auch darüber aufregen können. Das ist okay, das ist einkalkuliert.
Denn Sie müssen wissen: der greise Gauland wird hier genauso dreist für eigennützige Zwecke benutzt, wie es der ehemalige DDR-Flüchtling, der nun mit seiner Partei gegen Flüchtlinge hetzt, mit Boateng und Özil, die ja offenbar im „klassischen Sinne“ nicht deutsch genug sind, gemacht hat. Fair enough, oder?
Von Fallersleben feat. Jay Z
Aber das wirft natürlich auch Fragen auf: Ist die Europameisterschaft nun blöd, weil Boateng mitmachen darf? Was ist dieses im klassischen Sinn Deutsch-Sein? Und kann man das alles auch verstehen, wenn man seine Freizeit nicht vorwiegend damit verbringt, als “Bürgerwehr”-Mitglied irgendwelche Iraker aus Supermärkten zu zerren und an Bäume zu fesseln?
Liebe Kinder – und wenn nötig auch liebe andere Menschen, die ihr mittlerweile eigentlich genug Zeit hattet, eure Dummheit zu bekämpfen – falls ihr auch mitlest, lasst euch gesagt sein: Jerome Boateng ist in jeglicher Hinsicht ein Deutscher! Mesut Özil auch. Staatsangehörigkeit hat mit Hautfarben genauso wenig zu tun wie mit Religionen, Schuhgrößen, Dioptrien oder der “im klassischen Sinn deutschen” Anzahl eurer Muttermale – falls es so etwas geben sollte. Sogar Rothaarige können Deutsche sein! Also, und das wissen wir doch eigentlich alle: Von komischen Opas mit karierten Sakkos soll man keine Süßigkeiten nehmen – erst recht nicht, wenn sie braun sind. Es könnte schließlich einfach Scheiße sein.
Wir jedenfalls werden nun aus Protest und aus Solidarität unsere Snapback-Caps richten, uns eine adäquate Nike-Sneaker-Collection zulegen und bei der Europameisterschaft vor dem Fernseher die deutsche Nationalhymne im klassischen Sinne nicht mehr mitsingen, sondern sie Boateng zu Ehren über einen Beat von Jay Z rappen. Denn so viel ist sicher: “We got 99 problems but Jerome ain’t one.”
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leser, das war die erste Ausgabe der „Linksaußen“-Kolumne, deren Autor diese Position tatsächlich auf dem Platz bekleidet hat. Und jetzt sag mir noch mal einer, Politik und Fußball hätten nichts miteinander zu tun.
PS: Wer nicht weiß, was es mit dem Zitat am Anfang des Textes auf sich hat, erfährt das hier.