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Urteil zu Polizeikosten: Die Stigmatisierung von Fußballfans läuft weiter

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Die unendliche Geschichte mit dem Titel “Sicherheit im Fußball” hat am vergangenen Freitag in Leipzig ein neues Kapitel erhalten: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass die Beteiligung von Profi-Vereinen an den Polizeikosten bei Risikospielen “grundsätzlich rechtmäßig” ist. Grundlage war ein seit 2015 schwelender Rechtsstreit zwischen der DFL und der Hansestadt Bremen, bei dem es um Kosten von mehr als 400.000 Euro geht. Damals hatte die Stadt Bremen der DFL diesen Betrag in Rechnung gestellt, weil polizeilicher Mehraufwand im Rahmen der Bundesligapartie zwischen Werder und dem HSV angefallen war. Dieser Rechtsstreit wurde nun an das Oberverwaltungsgericht in Bremen zurückgewiesen, was nun selbst einen Urteilsspruch fällen muss.

Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der zusätzliche Polizeiaufwand “dem Veranstalter zugerechnet” werden darf – dieser sei “für den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung auf die zusätzliche Polizeipräsenz angewiesen”, hieß es von Seiten des Gerichts. Weiterhin hieß es, dass bei Bundesligaspielen sowohl Veranstalter (der örtliche Verein) und Polizei über “ausreichend Erfahrung” verfügten, um den Aufwand im Vorfeld zu planen und im Nachgang zu rechtfertigen. Die Bundesligavereine würden weiterhin “nicht etwa als Veranlasser einer Störung der öffentlichen Sicherheit in Anspruch genommen, sondern vielmehr als Nutznießer einer besonders aufwendigen polizeilichen Sicherheitsvorsorge”. So viel zu den Fakten. Die DFL und deren Vereine bei Risikospielen für den Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte und -ausrüstung zur Kasse zu bitten, ist also ab sofort im Prinzip möglich.

Negative Reaktionen bei der DFL und ein unpassender Vergleich

Die Reaktionen auf Seiten der DFL fielen wenig überraschenderweise negativ aus. Ligapräsident Reinhard Rauball sagte, dass die Entscheidung “sicher anders ausgefallen ist, als wir angenommen haben”. Die Liga werde sich nun beraten, politisch könnte das Thema bei der Innenministerkonferenz im Juni auf der Agenda landen und weiter diskutiert werden. Wie ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einzuschätzen und worin könnten mögliche Auswirkungen für den Fußball liegen?

Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images

Zunächst einmal ist fraglich, ob und inwieweit in Zukunft ein bundesweiter Flickenteppich entsteht, bei dem einige Bundesländer die Mehrkosten mit den Bundesligavereinen abrechnen und andere nicht. “Ungleiche Wettbewerbsverhältnisse” heißt dies offiziell, befürchtet werden Standortnachteile für einige Klubs. Wünschenswert wäre deswegen ein bundesweit einheitliches Vorgehen, was sicherlich in den kommenden Wochen und Monaten diskutiert werden dürfte. Tatsächlich stieß das Urteil an manchen Orten auf positive Resonanz – viele argumentative Linien entwickelten sich insbesondere um die Tatsache, dass der Fußball als hochkommerzialisierte Angelegenheit Milliardenumsätze erziele (die 36 Vereine der DFL setzten 2017/2018 4,42 Milliarden Euro um). Gern gesehen war mancherorts auch die Analogie zwischen dem verkündeten Transfer von Lucas Hernandez von Atlético Madrid zum FC Bayern München – die Ablösesumme beträgt 80 Millionen Euro und stellt einen Bundesliga-Rekord dar.

Polizeieinsatz als öffentliche Leistung nur für Fußballvereine?

Wer so viel Geld bewege, könne doch auch für die Sicherheit bei Fußballspielen aufkommen – so die Argumentationen einiger Kommentare. Dabei wird allerdings vergessen, dass die Vereine der DFL und beispielsweise die dazugehörigen KGaA sowieso Steuern zahlen. Dass der Steuerzahler durch das neue Urteil entlastet würde, erscheint ebenfalls als gewichtiges Argument, es versperrt jedoch den Blick auf den Kern der Angelegenheit, der weitaus tiefer greift als nur in den wirtschaftlichen Bereich. An dieser Stelle soll gar nicht bestritten werden, dass im deutschen Vereinsfußball enorme Summen bewegt werden, das ist nicht der Punkt. Vielmehr geht es um ein grundlegendes Verständnis über Sicherheit im öffentlichen Raum und die Verantwortlichkeit des Staates.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sorgte nämlich auch für Kritik. Gegenüber “Zeit Online” sagte der Berliner Sportrechtsexperte Fabian Reinholz: “Die Rechtsfigur Nutznießer gibt es zwar im öffentlichen Gebührenrecht, aber sie passt hier nicht.” Er ergänzte: “Das würde ja bedeuten, dass der Polizeieinsatz eine öffentliche Leistung ist, die ganz speziell den betroffenen Bundesliga-Clubs zugutekommt, so ist es aber nicht.” Im Gespräch mit dem “Deutschlandfunk” bezeichnet die Staatsrechtlerin Monika Böhm die Entscheidung als “in mehrfacher Hinsicht problematisch.” Zuerst sei die Ausweitung auf andere Bereiche das Problem, die etwa auch Musikkonzerte oder andere kommerzielle Großveranstaltungen, bei denen auch Polizeischutz notwendig wäre.

Polizeieinsätze bei Fußballspielen: Eine Frage der Verantwortlichkeit

Weiterhin befürchtet sie, dass die Abrechnung der Einsätze nun stärker in den Fokus rücken könnte – zulasten der Bekämpfung der Aggressoren. Sie bezweifele, dass dieses Urteil “der Situation vor Ort” gut tue. Damit ist auch der Bogen geschlagen zu einer ganz entscheidenden Frage in diesem Sachverhalt: Warum muss ein Bundesligaverein dafür aufkommen, wenn kilometerweit vom Stadion entfernt an einem Drittort eine Auseinandersetzung zwischen zwei Fußballverein-bezogenen Hooligan-Gruppen einen zusätzlichen Polizeieinsatz notwendig macht? Wo beginnt die Verantwortlichkeit, wo hört sie auf?

Auf der nächsten Seite: Wie die Drohkulisse weiter aufgebaut wird.

Es ist klar, dass die Vereine für die Sicherheit im Stadion aufkommen – dies tut der 1. FC Köln beispielsweise mit über einer Million Euro pro Jahr, wie Alexander Wehrle gegenüber dem “Geissblog.Köln” bestätigte. Der Kölner Geschäftsführer für den Bereich Finanzen findet das Urteil “ein bisschen befremdlich” und er sei “überrascht”. Primäres Thema für ihn sei ebenfalls das Verursacherprinzip und die Frage, wer die eigentlichen Kosten verursache. Er konstatiert: “Außerhalb des Stadions, das ist noch immer unsere Meinung, ist der Staat zuständig. Wenn wir dafür zukünftig auch die Kosten übernehmen sollten, ist es schwierig, innerhalb einer Gesellschaft dafür einzustehen, weil das Verursacherprinzip dann noch einmal genauer definiert werden muss.”

Man beruft sich auf die Erfahrung – und liegt daneben

Wehrle zeigt dann ein Beispiel aus der kommenden Saison auf, in der der 1. FC Köln möglicherweise bis zu fünf Hochsicherheitsspiele haben könnte – dies könnte den Verein also bis zu zwei Millionen Euro zusätzlich kosten. Dieses Rechenbeispiel funktioniert, wenn der Mehraufwand in Form von zusätzlichen Polizeikräften (Reiterstaffeln, Hundertschaften, Wasserwerfer) in Proportion zu den erwartbaren Größen der anreisenden Fangruppen kalkuliert wird. Wie bereits erwähnt verfügen Polizei und Veranstalter in diesem Bereich über “ausreichend Erfahrung”. Beim Zweitligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und Dynamo Dresden im November beispielsweise wurde im Vorfeld von der Kölner Polizei ein Drohszenario aufgebaut, weil die Verantwortlichen dort mit massiven Ausschreitungen rechnete – erfahrungsgemäß eben. Passiert war am Ende nichts.

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Dresdens Geschäftsführer Michael Born sagte damals: “Es ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, weshalb man seitens der Kölner Polizei einen Tag vor diesem Spiel eine derartige kommunikative Drohkulisse aufbaut. Solche öffentlichen Auftritte (…) von der Kölner Polizei befeuern unsachliche und schlicht falsche Medienberichterstattung, schüren die Stigmatisierung von Fußballfans und führen meiner Meinung nach zu selbsterfüllenden Prophezeiungen.” Mit dem Aufbau der Drohkulisse folgte die Polizei in der Domstadt aber letztlich einem politischen Trend, den Innenminister wie Reul und Beuth (beide von der CDU) bereitwillig befeuerten (mehr dazu in diesem Kommentar).

Gibt es in Zukunft mehr Hochsicherheitsspiele als zuvor?

Sie scheinen es sich in ihren Legislaturperioden zum Ziel gesetzt zu haben, durch die Einführung von personalisierten Tickets, der Anerkennung des Abbrennens von Pyrotechnik als Straftat und ein erwünschtes “konsequentes Durchgreifen” der Polizeikräfte für “Sicherheit in den Stadien” zu sorgen. Das Problem an dieser Idee: Die Stadien sind bereits sicher, im vergangenen Jahr wurde im “ZIS-Jahresbericht” ein Rückgang der Straftaten und Verletzungen registriert. Doch zurück zum eigentlichen Thema.

Die Illustration des Sachverhalts mit dem Exkurs über den Polizeieinsatz beim Dynamo-Spiel soll aufzeigen, dass auch die “Erfahrung” der Polizeikräfte nicht dafür sorgt, eine komplexe und dynamische Gesamtlage einschätzen zu können. Und wenn die Polizei weiß, dass sie die Kosten nicht mit dem Staat, sondern mit einem Fußballverein rechnen darf (worauf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hindeutet), ist es doch durchaus vorstellbar, dass das Label “Hochsicherheitsspiel” und damit ein größerer Polizeieinsatz auch für Partien mit normaler Sicherheitslage verwendet wird. Genauso vorstellbar ist es, dass an manchen Bundesligastandorten die restriktive Politik gegenüber Ultras verschärft wird mit dem Ziel, sie endgültig aus dem Stadion zu verdrängen. Die (stark vereinfachte) argumentative Leitlinie wäre hier: Wenn die Ultras weg sind, haben wir keine Risikospiele mehr und müssen nicht mehr zahlen.

War das Urteil in dieser Form wirklich nötig?

Für die Vereine wiederum bedeutet das Urteil, dass eine Erhöhung der Eintrittskarten-Preise bei einer gleichzeitigen Personalisierung mittlerweile argumentativ vielleicht etwas leichter durchgedrückt werden kann, weil die Kosten steigen. “Der Gesetzgeber lässt uns bei der Preisgestaltung keine andere Wahl”, lautet ein Satz, den Vereinssprecher an verschiedensten Standorten sagen könnten. Und allgemein sei an dieser Stelle gefragt: Ist es nicht unwirklich, dass Sicherheit im öffentlichen Raum (nichts anderes sind Stadionumgebungen) privatisiert werden soll?

Auch wenn das Urteil für Köln noch keine Bewandnis hat und momentan eine Lösung wie ein gemeinsamer Sicherheitsfonds der DFL diskutiert wird – der Spruch des Bundesverwaltungsgerichts hinterlässt viele Fragezeichen, die neben einem merkwürdigen Rechtsverständnis auch mangelnde Kompetenz im Themenbereich “Sicherheit im Fußball” verdeutlicht. An der Drohkulisse, dass deutsche Stadien unsicher und von Hooligans unterwandert seien, wird auch durch solche Urteile weiter fleißig gebaut. Fußballfans (und insbesondere Ultras, mehr dazu hier und hier) mussten bereits genug erdulden, die Stigmatisierung zu Gewaltverbrechern läuft durch kopflose Urteile wie dieses aber unvermittelt weiter.

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