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Lebenswege beim 1. FC Köln: Rocco Kühn: “Sprintwerte wie Andy Möller, aber ‘ne Ausdauer wie ming Oma!”

Wie ergeht es ehemaligen Jugendspielern des 1. FC Köln, die den Sprung zu den Profis nicht geschafft haben? effzeh.com-Autor Kurt Ludwigs traf Rocco Kühn, der 1993 von Frank Schaefer aus Dresden zum Nachwuchs der Geißböcke geholt wurde und zu den größten Nachwuchshoffnungen gehörte.

Die A-Jugend des 1.FC Köln 1994/95 Rocco Kühn mittlere Reihe ganz re. Foto: Hans Alfred Roth

Dort gehört er nun der Altersklasse 13 an, was der jüngeren C-Jugend entspricht. Nach kurzer Zeit wird er zu einem Lehrgang eingeladen, in dem die besten Spieler der Kinder- und Jugendsportschulen des Landes getestet werden, um aus ihnen eine Vorauswahl für die künftige U15-Jugendnationalmannschaft der DDR zu treffen. Auch hier gehört Rocco Kühn zu den besten Jugendlichen. „In dem Augenblick wurde mir bewusst, dass, wenn ich jetzt nicht viel falsch mache, ich bald Jugendnationalspieler der DDR sein würde,“ sagt er.

Die Wende

Wenig später ist vieles nicht mehr so, wie es mal war. Die Mauer fällt, bald darauf hört die DDR auf zu existieren. Wie hat er die Wende als damals 13jähriger wahrgenommen? „Die Demonstrationen wurden damals in der Schule thematisiert, allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als sie sich nicht mehr verheimlichen ließen,“ erinnert er sich. „Mein zweitältester Bruder versuchte vor dem Mauerfall, über Ungarn in die Bundesrepublik einzureisen, scheiterte jedoch und musste zurückkehren.“

Er hält einen Augenblick inne. „Das Leben ging irgendwie weiter; ein Gefühl von Leerlauf breitete sich aus. Das alte System war weg, das neue musste sich erst noch etablieren,“ berichtet Kühn. „Sportlich wussten wir natürlich auch nicht, wie es weitergehen sollte, eine Jugendnationalmannschaft der DDR gab es ja nicht mehr.“

Kurz vor seinem 15. Lebensjahr erhält er seinen ersten Vertrag bei Dynamo Dresden. „Das war natürlich ein tolles Gefühl, als Jugendlicher, der ja noch zur Schule ging, mit dem, was ich am liebsten tat, mein erstes Geld zu verdienen,“ räumt Kühn ein. Er wird in die Sachsenauswahl berufen; zu seinen Mitspielern dort gehören Michael Ballack, der damals beim Chemnitzer FC spielt, und Marco Rose, heute Trainer von Borussia Mönchengladbach.

Michael Ballack                                                                                            Foto: Lars Baron; Collection Bongarts

Beim Länderpokal in Duisburg belegen die Sachsen 1991 unter den 15 Landesauswahlmannschaften den 2. Platz, was den vielen Talentspähern nicht entgeht, und so landet Rocco Kühn zum ersten Mal in den Notizbüchern des 1. FC Köln. Mit der B-Jugend von Dynamo Dresden gewinnt er 1992 die sächsische Landesmeisterschaft und nimmt an der Endrunde um die deutsche B-Junioren-Meisterschaft teil, scheitert dort jedoch im Achtelfinale am Karlsruher SC.

Der erste Jugendspieler hat Dynamo Dresden mittlerweile verlassen, Sören Holz, wie Kühn Jugendnationalspieler, geht zu Bayer Uerdingen. Rocco Kühn bleibt – noch.

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Im Fokus des DFB und des 1. FC Köln

Inzwischen ist Rocco Kühn auch in die U16-Nationalmannschaft des DFB berufen worden und absolviert in Budapest sein erstes Jugendländerspiel gegen Ungarn, bei dem er in der 2. Halbzeit eingewechselt wird; zwölf weitere Länderspiele werden folgen. Mit Dynamo Dresden nimmt er an internationalen Turnieren teil, so auch 1992 am Westerwälder Keramik-Cup in Wirges. In der Zwischenrunde wird der 1. FC Köln 2:1 besiegt, beide Tore erzielt Rocco Kühn.

Wenige Monate später meldet sich der Geißbockclub bei ihm. „Frank Schaefer kam zu uns nach Dresden und teilte uns das Interesse des Vereins an meiner Verpflichtung mit,“ erinnert sich der frühere Dresdener. „Er sagte uns, dass der FC mir die Chance geben wolle, mein Talent in den beiden Jahren in der A-Jugend und in einem anschließenden Jahr als Vertragsamateur unter Beweis zu stellen. Falls mir dies im erforderlichen Maße gelingen sollte, gäbe es eine Perspektive für den Profibereich.“

Rocco Kühn gerät ins Grübeln. Sicher, das Angebot, bei einem Top-Club der Bundesliga eine mögliche Perspektive zu erhalten, dort Profi zu werden, ist verlockend. Der junge Torjäger nutzt jede Gelegenheit, die Stars der Liga, zu denen inzwischen auch einige ehemalige DDR-Nationalspieler gehören, im Fernsehen zu bewundern. Das ist sein Traum, die große Welt des Fußballs.

Ulf Kirsten                                                                                                      Foto: Bongarts; Collection Bongarts

Doch Dresden ist seine Heimatstadt, Dynamo sein Heimatclub, sein Herzensverein, dessen Trikot er inzwischen in weit über 100 Spielen übergestreift hat. Unzählige Male hat er bei Oberligaspielen selber in der Fankurve gestanden, um seine Schwarz-Gelben anzufeuern, hat mitgefiebert, mitgelitten, mitgejubelt. Zudem stammt sein Vorbild aus dem Verein. Ulf Kirsten ist eine Dynamo-Ikone, verhalf dem Club mit seinen Toren zu jeweils zwei Meisterschaften und Pokalerfolgen, wurde 1990 zum Sportler des Jahres gewählt.

Schwierige Entscheidungen vor dem Wechsel zum 1. FC Köln

„Er war Mittelstürmer wie ich,“ sagt der frühere Auswahlspieler. „Athletisch und von Verteidigern kaum zu fassen, hat er Fußball „gearbeitet“ und in der Offensive gewuselt, war ausgesprochen lauffreudig, was mir völlig abging.“ Trotz seiner für einen Mittelstürmer recht geringen Körpergröße von 175 cm war Kirsten ein gefürchteter Kopfballspieler. „Hier zahlte sich das Training bei Dynamo aus“, erläutert Kühn. „Im Kopfballtraining gab es 15, 20 Flanken von links, die gleiche Anzahl von rechts und dazu noch 15, 20 Bälle von hinter dem Tor auf den Elfmeterpunkt, immer und immer wieder.“

Ich schaue Rocco Kühn an, er scheint meine Gedanken zu erahnen. „Ich selber bin sogar noch drei Zentimeter kleiner als Ulf Kirsten, habe aber in meiner Laufbahn nicht wenige Tore mit dem Kopf erzielt,“ sagt er. „Das ist die alte Dynamo-Schule, den Körper spannen wie einen Flitzebogen, zur richtigen Zeit abspringen und den Ball stets im Blick haben beim Kopfball.“

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