Dirk, im Jubiläumsjahr – der 1. FC Köln wird im Februar 70 Jahre jung – kam es nach 25 Jahren Abstinenz zur Rückkehr in den Europapokal. War das für dich der perfekte Anlass für dein neues Buch “Geißböcke mit Fernweh”?
Ja, das war es auf jeden Fall! Wobei: Die Pläne und somit auch etliche Vorarbeiten zu den „Fernwehböcken“ lagen schon länger bereit. Da ich eine Rückkehr ins internationale Geschäft eigentlich immer für eher unrealistisch hielt, hätte das Ganze sowas Romantisches a la „schaut mal, so geil war das damals mit den internationalen Spielen“ sein können. Zudem, und das ist mir ganz wichtig, wollte ich die internationalen FC-Spiele – Heim- wie Auswärts – auch im Bereich der vielen Freundschaftsspiele beleuchten. Denn diese hatten vor allem in den 1940er und 1950er Jahren eine sehr völkerverständigende Komponente.
Inwiefern?
Die FC-Spieler lernten fremde Länder und Kulturen kennen, tauschten sich mit Mannschaften aus dem Ausland aus. Eine Tatsache, die in den Nachkriegsjahren half, manche Barriere zu überwinden. Außerdem bieten gerade die Freundschaftsspiele oftmals die interessanteren Geschichten. Das „Liverpool-Drama“ kennt wohl jeder FC-Fan, aber dass die Kölner Spieler bei Auslandstouren als Souvenirs Tabakwaren kauften oder Butterbrote der Präsidentengattin im Gepäck hatten, ist eher unbekannt. Und diese „Perlen“ auszugraben, reizt mich enorm. Als dann im Mai tatsächlich die Qualifikation für Europa klar war, gab es in Sachen Buch kein Halten mehr.
Die Geschichte des 1. FC Köln ist glorreich, aber auch recht lang. Wie tief musstest du bei deiner Recherche über all die Duelle gegen Mannschaften aus Nah und Fern graben?
Wie immer sehr tief. Das bedeutet nicht nur umfangreiche Gespräche mit Zeitzeugen, hier sei nur als Beispiel FC-Legende Wolfgang Weber genannt, sondern auch akribisches Durchforsten praktisch aller zeitgenössischer Publikationen – und zwar sowohl die vom FC veröffentlichten Print-Produkte als auch all das, was die verschiedenen Medien und Fachblätter berichteten. Das Internet hilft einem da, ein Stück weit zum Glück, kaum. Aber es ist natürlich auch der Anspruch, den Lesern weitaus mehr zu bieten als das, was sie so im Web finden können. Darüber hinaus kam mir zugute, dass bei den Arbeiten zu „Im Zeichen des Geißbocks“ schon das ein- oder andere ans Tageslicht gekommen war, das ich jetzt „verbraten“ konnte.
Du giltst als absoluter Intimkenner der FC-Historie. Gab es bei der Recherche zu “Geißböcke mit Fernweh” noch viel, das dich überrascht hat? Welche Anekdote aus diesen 70 Jahren voller spannender Momente hat dich besonders beeindruckt?
Man soll es nicht glauben, aber da gab es tatsächlich einiges! Witzig fand ich die Geschichte, dass sich beim Gastspiel der Nationalmannschaft Kameruns in Köln im August 1960 der mitgereiste „Minister für Sport und Erziehung“, Gabriel Ndibo Mbarsola, in Köln ein Gewehr zulegen wollte, um am Rhein auf Entenjagd zu gehen. Da machte ihm glücklicherweise das deutsche Waffengesetz einen Strich durch die Rechnung. Dramatisch hingegen das Ereignis rund um das Messepokalspiel am 2. Februar 1966 gegen Ujpest Dozsa Budapest: Ujpest-Spieler Tamas Krivitz nutzte den Aufenthalt in Köln, um sich aus dem seinerzeit hinter dem so genannten „eisernen Vorhang“ befindlichen Ungarn abzusetzen. Das brachte ihm unter anderem eine einjährige Sperre ein. Später spielte Krivitz in Kanada, in den USA, in Belgien und sogar beim Wuppertaler SV in der Bundesliga. Und dass der Effzeh in der Saison 1989/90 unfassbare 27 internationale Begegnungen bestritt, war mir so auch noch nicht bewusst.
Auch die beiden ersten Partien nach der Rückkehr in London und gegen Roter Stern haben noch Eingang in „Geißböcke mit Fernweh“ gefunden. Wolltest du die Rückkehr unbedingt noch im Buch dabei haben oder wie kam es dazu?
Eigentlich sollte die 2017/18er Kampagne ganz bewusst nicht ins Buch. Doch die Ereignisse in London haben wohl jeden FC-Fan dermaßen fasziniert und beeindruckt, dass ich diese Rückkehr unbedingt noch im Buch haben wollte, ebenso das erste Heimspiel nach so langer Abstinenz, wenn wir den UI-Cup mal außen vor lassen.
Gegen Arsenal und Roter Stern hat der FC bereits vor dieser Saison auf europäischer Ebene gespielt. Hat deine Recherche für das Buch die Vorfreude auf die Duelle noch größer gemacht?
Die war bei mir, wie bei allen anderen FC-Fans auch, auch so mehr als groß. Man fieberte ja der Auslosung entgegen, wie ein Kind auf den Weihnachtsabend. Das war schon etwas ganz Besonderes. Und die Geschichte hat sich ja auch wiederholt: Wir haben 1971 unser Heimspiel gegen Arsenal gewonnen und diesmal auch – kurioserweise jeweils durch einen Elfmeter. Sehrou Guirassy ist also quasi der „Erbe“ von Werner Biskup.
Am Donnerstag könnte es beim Auswärtsspiel in Belgrad zum letzten FC-Pflichtspiel auf internationaler Bühne für lange Zeit kommen. Glaubst du, du bekommst vor deinem sicher irgendwann geplanten Buch zum 100. Geburtstag des Klubs nochmals die Chance zu einer Neuauflage?
Komischerweise bin ich da recht optimistisch, auch wenn es derzeit sportlich gelinde gesagt alles andere als rosig aussieht. Aber: Es kann im Fußball auch relativ schnell wieder in eine andere, bessere Richtung gehen. Beispiele dafür gibt es ja einige. Und wenn dann doch der Worst Case eintreten sollte, zitiere ich gerne effzeh.com: „Aue ist der Europapokal des kleinen Mannes.“ Da ist was dran.
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Dirk Unschuld: “Geißböcke mit Fernweh – Der 1. FC Köln
und seine internationalen Spiele”
166 Seiten, Hardcover ca. 400 Fotos, durchgehend farbig gestaltet
24,90 Euro
erschienen im Verlag Die Werkstatt
ISBN: 978-3-7307-0372-4