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Interviews

Modeste als Nationalspieler? “Für viele ist er immer noch ein Chancentod”

Ein Kölner Franzose auf der Jagd nach der Torjägerkanone – aber ohne Chance in der Nationalmannschaft. Wir haben uns mit Frankreich-Experte Ali Farhat über Modestes Perspektiven in der Équipe Tricolore unterhalten.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Erneut wurde Anthony Modeste nicht für die Nationalmannschaft nominiert – trotz seiner bisherigen 22 Saisontore. War die Nicht-Nominierung eine Überraschung für dich?

Nein, nicht wirklich. Der Name Anthony Modeste war bisher nie in irgendeiner Form mit der Nationalmannschaft verbunden. Er spielte am Ende der Saison 15/16 keine Rolle für die Europameisterschaft, obwohl er in 36 Saisonspielen 18 Tore erzielt hatte. Auch im Herbst war er kein Thema, zu dieser Zeit stand er wieder bei elf Toren in neun Spielen. Jetzt ist das genauso, er kämpft zwar mit Lewandowski und Aubameyang um die Torjägerkanone, für Didier Deschamps reicht das allerdings wohl trotzdem nicht.

Wie verfolgt man denn in Frankreich seine Leistungen? In Deutschland hat man den Eindruck, dass er nicht wirklich wertgeschätzt wird, weder von den Medien noch von den Zuschauern. Spielt seine bescheidene Vergangenheit in der Ligue 1 da eine Rolle?

Um Modestes Leistungen zu verstehen, müsste man erstmal die Bundesliga verfolgen, das ist aber in Frankreich nicht wirklich der Fall. Die Bundesliga ist weitaus weniger bekannt als die Premier League, la Liga oder die Serie A. Warum genau das so ist, kann ich nicht sagen – vielleicht ist es die Sprachbarriere, oder auch die Tatsache, dass in Deutschland wenige Franzosen spielen.

Wenn in der Bundesliga viele Tore fallen, dann liegt das daran, dass man spielt, um zu gewinnen – in der Ligue 1 spielt man, um nicht zu verlieren.

Trotzdem muss man in diesem Zusammenhang zwei Dinge berücksichtigen: In Frankreich tut man sich sehr schwer damit, zu glauben, dass ein Spieler sich weiterentwickeln kann. Für viele Franzosen ist Modeste also immer noch derselbe Spieler wie in Bordeaux, also ein Chancentod, der selten clever vor dem Tor agiert. Hinzu kommt, dass die Bundesliga in Frankreich als eine Liga angesehen wird, in der viele, manchmal zu viele Tore fallen. Daher kommt der Reflex, dass man denkt: Wenn ein Spieler wie Modeste viele Tore schießt, dann liegt das daran, weil es in der Bundesliga einfacher ist. Natürlich ist das absolut falsch. Wenn in der Bundesliga viele Tore fallen, dann liegt das daran, dass man spielt, um zu gewinnen – in der Ligue 1 spielt man, um nicht zu verlieren.

Französische Luxusprobleme

Zugegebenermaßen verfügt Deschamps aber auch über viele starke Optionen: Giroud, Gameiro, Griezmann, Mbappé – andere Spieler wie Benzema oder Lacazette sind nicht mal dabei. Trotzdem sollte es aber dennoch ein Kriterium sein, dass man bei einer Torquote wie der von Modeste in einer Top-Liga für die Nationalmannschaft nominiert wird, oder?

Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Es stimmt schon, Frankreich hat ein Luxus-Problem im Moment. Bafé Gomis wurde auch nicht nominiert, er steht momentan bei 16 Toren in 24 Spielen mit Marseille. Normalerweise müsste man auch nominiert werden, wenn man so konstant und so gut spielt, wie Modeste es derzeit tut. Alleine, um ihn mal zu testen. Dann hat aber auch jeder Trainer seine eigene Logik, seine eigene Arbeitsweise. Viele führen auch das Argument an, dass Modeste nicht in einem europäischen Wettbewerb spielt. Natürlich spielt man nicht alle zwei Wochen gegen Barcelona, Real oder Juve – in Europa gibt es auch andere Mannschaften, die weniger bekannt sind. Hinzu kommt, dass die Bundesliga laut dem UEFA-Koeffizienten die zweitbeste Liga in Europa ist. Wenn man dort regelmäßig trifft, kann man doch so schlecht nicht sein.

Ohne die Details zu kennen: Gibt es tatsächliche Gründe, Modeste nicht zu nominieren? So etwas kann ja auch immer taktische, persönliche oder sogar politische Gründe haben…

Ich glaube, dass Didier Deschamps ein Trainer ist, der sehr stark auf den Zusammenhalt in der Gruppe setzt. Blaise Matuidi, Olivier Giroud und Moussa Sissoko sind die Spieler, die er bisher am häufigsten eingesetzt hat. Dennoch hatten alle diese Spieler irgendwann mal ein Formtief, Deschamps hat trotzdem an ihnen festgehalten.

Trotz der überragenden Leistungsdaten von Modeste erwähnt ihn Deschamps fast nie – was hältst du von Deschamps’ Art und Weise des Umgangs?

Ich bin mir nicht zu 100 % sicher, ob man Deschamps und seinen Trainerkollegen wirklich glauben kann, wenn sie sagen, dass sie Modeste beobachten. In diesem Falle hatte er ihn schon früher auf dem Radar haben müssen, und zwar als Modeste angefangen hat, in Köln zum Torjäger zu werden, spätestens also im November letzten Jahres. Aber ich glaube, man sollte nicht zu sauer auf ihn sein: Die Bundesliga wird eben in Frankreich nicht sehr wertgeschätzt. Man hört dann immer Sätze wie “Es gibt keine Spannung, Bayern wird immer Meister”, “Die Stadien sind hübsch” oder auch “Es fallen viele Tore”. Insgesamt gibt es aber nicht viele Leute, die die Startelf von jeder Bundesliga-Mannschaft aus dem Kopf wissen…

Für viele Franzosen ist Modeste also immer noch derselbe Spieler wie in Bordeaux, also ein Chancentod, der selten clever vor dem Tor agiert.

Bei Twitter benutzt du ab und an den Hashtag #Modeste2018. Siehst du tatsächlich eine Zukunft für ihn in der Nationalmannschaft? Anders gefragt: Kann Modeste mit seinen 28 Jahren noch damit rechnen, irgendwann das Trikot der Équipe Tricolore zu tragen?

DIe Hoffnung stirbt zuletzt. Ich würde es sehr gerne sehen, dass er nominiert wird. Wenigstens einmal, um ihn zu testen, um zu schauen, ob er die Qualität hat. Der Junge verdient es einfach. Mit ein wenig Abstand ist es ja auch tatsächlich unglaublich, was er derzeit in Köln abliefert. Er hat einen langen Weg hinter sich, war vielleicht weniger talentiert als die anderen, und er weiß das. Er musste arbeiten, um dorthin zu kommen, wo er jetzt ist.

“England wäre eine Option für ihn”

Richten wir unseren Blick mal auf die deutsche Nationalmannschaft. Dort spricht man von Stürmern wie Gomez, Wagner oder Werner. Im Vergleich mit Frankreich klingt das ja fast lächerlich…

Nein, das ist eben die derzeitige Situation. Mit Alex Meier ist es ja ähnlich. Die Situation ist das Ergebnis eines Prozesses, in dem vorrangig Flügelspiel- und Mittelfeldspieler ausgebildet werden. Vielleicht ändert sich das eines Tages, aber bis dahin muss man mit dem auskommen, was man zur Verfügung hat. Mit der Gefahr, dass man irgendwann wieder mit diesem schandhaften Konzept der “falschen Neun” spielen muss.

Modeste ist eine Nummer neun, die momentan Tor um Tor schießt, weswegen auch China auf ihn aufmerksam geworden ist. Wäre ein Transfer für dich eine gute Entscheidung, egal ob China oder England? Ist Marseille für ihn tatsächlich eine Option?

Nein, bitte alles außer China. Das kann er machen, wenn er am Ende der Karriere ein bisschen Kohle braucht. Für den Moment funktioniert er ja blendend in Europa. Vielleicht ist England für ihn wieder eine Option, seine Körperlichkeit gibt das auf jeden Fall her. Ich glaube aber, dass es für einen Spieler wichtig ist, dass er sich dort wohl fühlt, wo er gerade ist. Für einen Angreifer ist das Vertrauen in sich selbst noch wichtiger. Was Marseille betrifft: Ich würde erst einmal abwarten, in welche Richtung sich das Projekt entwickelt.

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