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Kolumnen

Mit Schland gegen die Langeweile

“Gegenwartsbewältigung” – gelegentlich zynische Betrachtungen rund um den Fußball. Die effzeh.com-Kolumne von Christopher Kohl.

Public-Viewing kann so spannend sein | Foto: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

Die Fußball-Europameisterschaft steht bevor. Dabei täuschen die üblichen völkischen Nebenklänge darüber hinweg, dass der nationalmannschaftliche Fußball zusehends bedeutungsloser und qualitativ minderwertiger wird. Die Gelddruckmaschine, die sich Profifußball nennt, schwingt sich in diesen Zeiten zu Hochform auf. Dass Coca-Cola schon vor Jahren als Determinist der deutschen nationalen Fankultur in Erscheinung getreten ist, belegt, welch erbärmlicher Wanderzirkus vor den Augen der Öffentlichkeit durch die Welt zieht. Dabei täuscht das Spektakel nur darüber hinweg, dass der Vereinsfußball längst die Hauptrolle spielt. In Köln sowieso.

Jupp Schmitz, Kneipier in der Köln, freut sich schon: „Demnächst ham mer widder Fußball. Do kumme die Lück ze uns, loore die Spille un drinke uns de Kneip leer. Un parallel sin se och noch jot drup.“ Da spricht der kölsche Geschäftsmann das aus, was viele denken. Es gibt wohl kein Ereignis, das landesweit einen derartigen Alkoholkonsum verursacht wie Fußballturniere, an denen „Die Mannschaft“ teilnimmt. Und da die teutonischen Recken (bis auf den Farbigen J. Boateng und den Mekkapilgerer M. Özil, wie kürzlich die medial einflussreichsten Menschen Deutschlands (AfD) bemerkten) zumeist das Volk mit Erfolgen zu begeistern wissen, wollen alle ein Teil des nationalen Erfolgs sein. Und müssen gerade wir als Deutsche uns wirklich immer (!) Patriotismus verkneifen? Dürfen wir nicht auch mal stolz sein? Die Vergangenheit nicht mal hinter sich lassen? Ja! Darauf erstmal ein Kölsch vom Fass. Isset nit schön?

Schwarz-Rot-Gold, überall | Foto: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

Schwarz-Rot-Gold, überall | Foto: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

Ja, es ist nicht schön. Überhaupt nicht. Wenngleich der Stolz der Nation nach wie vor die Massen emotionalisieren kann (Danke nochmals an Michael Meier für diesen tollen Begriff!), ist die sportliche Qualität im Vergleich zum Vereinsfußball kontinuierlich sinkend. Was schon bei der WM 2014 offensichtlich wurde, wird in allen übrigen Spielen der Nationalmannschaften bewiesen. Das Tempo ist wesentlich geringer, die Spieler weichen Zweikämpfen aus, spielen taktisch simpler und Tore wirken allzu oft wie Zufallsprodukte. Freundschafts- und Qualifikationsspiele sind nicht erst seit vorgestern moderne Gladiatorenkämpfe mit Holzschwertern, sie nehmen diese Rolle schon lange ein. Was in Rom Brot und Spiele waren, sind nun Bier und Fußball. Die sich zu Nationaldevotionalien tragenden Klatschaffen degradierenden Menschen (die alle zwei Jahre natürlich schon immer Fußballfans waren) tragen ihren Teil dazu bei, dass der Zirkus weitermachen darf.

Fußballkonsum als Grundtugend

Auch viele Fans, die ihr Fantum primär über die Vereinszugehörigkeit definieren, freuen sich darüber, dass es in den nächsten Wochen eine Menge Fußball im TV zu sehen gibt. Fußballkonsum ist schließlich eine Grundtugend, viele fiebern tatsächlich auch mit. Gerade effzeh-Fans halten es natürlich mit Jonas Hector und Lukas Podolski. Und dennoch stellt die Suche nach Europas Meistern eine Kaschierung der sommerpausenbedingten Langeweile dar. Ein Derbysieg wird immer einen höheren Stellenwert haben, als ein Erfolg oder auch ein Titel der Nationalmannschaft.

Die Begleiterscheinungen solcher Turniere sind unzumutbar. Überall die überbordene Pseudoidentifikation, die strafenden Blicke und Kommentare, wenn man nicht mitmacht, Trikots wohin man sieht und überall Leute, die einem von dem ganz tollen Spiel des Vorabends erzählen, obwohl sie Boateng nicht von Özil und Podolski nicht vom Rest unterscheiden können. Wahrhaft scheußlich sind zudem sogenannte Public-Viewing-Events, die im Wesentlichen von eben genannter Gruppe bevölkert werden, außerdem von solchen, die irgendwo „dabei sein“ wollen und jenen, die sich einfach mal richtig cool fühlen möchten. Der Turnierfußball als Event? Nicht ganz. Er steht für einen gewaltigen nationalen Opportunismus, der in der Lage ist, alles weitere auszublenden und den kompletten Alltag zu vereinnahmen.

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Die Medien bedienen ihn vorzüglich. “Spiegel Online” analysiert schon Tage vorher die Bereiche, in denen „Deutschland schon Europameister“ sei, die gebührenfinanzierten Spartensender ARD und ZDF schicken ganze Legionen nach Frankreich, um Ausschau nach Neuigkeiten zu halten (wenn man verpassen sollte, wie Andre Schürrle sich die Ohren putzt und sich dabei verletzt – nicht auszudenken!) und das ZDF stellt Trantüte Oliver Kahn eine elf Meter lange LED-Leinwand zur Verfügung, an der Kahn so lange analysieren und rumpatschen darf, bis auch die letzten Zusehenden genervt das Programm gewechselt haben. Grotesk mutet es an, wenn sich Freyse Pitter und Schönenbörns Jörg in einem Interview darüber auslassen, dass man gemeinsam reise, um Geld zu sparen, aber eine elf Meter lange Leinwand anpreisen, als gäb’s Rievkooche für umme und alle. Immerhin sparen sich die öffentlich-rechtl… äh, geschundenen Sender so das Möbeltragen im Studio. Klasse, oder?

Guckt man eher im Vorbeigehen: EM 2016 | VALERY HACHE/AFP/Getty Images

Guckt man eher im Vorbeigehen: EM 2016 | VALERY HACHE/AFP/Getty Images

Spürbarer Übersättigungseffekt

Wer den modernen Fußball verabscheut, muss den alten außerdem nicht verklären. Es gibt ja auch so etwas wie zivilisatorischen Fortschritt: während nach dem Berner Wunder aus deutschen Kehlen ein kräftiges „Deutschland über alles!“ mit ängstlichem Echo aus der internationalen Politik in die Welt hinausdröhnte, waren die meisten Leute sechzig Jahre nach dem ersten Titelgewinn einfach zu besoffen, um noch irgendetwas verständliches zu blubbern. Und wer würde sich heute noch Heribert Faßbender mit Spezi Kalle Rummenigge am öffentlich-rechtlichen Kommentatorenpult wünschen? Nichtmal Steffen Simon und Bela Rethy könnten einen dazu verleiten (hin und wieder ist’s aber auch schwer, zugegebenermaßen). Früher war bekanntlich nichts besser, sondern anders. Vielleicht tritt der spürbare Übersättigungseffekt auch deshalb ein, weil die Informationen früher seltener und schwerer zugänglich waren. Paradoxerweise waren die Spieler, zumindest abseits des Platzes, unterhaltsamer. Welcher Fußballer würde sich etwa heute noch trauen, ein neues Staatsoberhaupt als nationales Unglück zu bezeichnen?

Und irgendwie schließt sich so der Kreis. Der Übersättigung folgt der Rückzug zum Vertrauten, also zum effzeh. Spannender als alle redundanten Vorberichte zur EM sind die Äußerungen Jörg Schmadtkes in der Presse zu potentiellen Neuzugängen. Oder welchen Schuppen Peter Stöger gerade auf Malle inspiziert hat. Oder ob Lukas nach der EM seine Rückkehr verkündet. Die sich seit Wochen aufstauende Langeweile ob der Bundesligapause wird demnächst durch ein paar schwache Spiele irgendwelcher Nationalmannschaften zwar erstmal unterdrückt, doch bricht sie so richtig aus. Bis zur ersten Pokalrunde vom 19.-22. August ist’s noch lange hin. Dann geht der richtig moderne Fußball wieder los. Der effzeh ist mittendrin. Irgendwie lässt es einen ja dann doch nicht los. Bis dahin freuen wir uns zumindest für Schmitzens Jupp.

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