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Ehrentribüne

Miso Brecko Fußballgott

Viele kamen, viele gingen, einer blieb. Mit wenig fußballerischem Talent und einer großen Portion Loyalität und Konstanz wurde Brecko zur Identifikationsfigur eines Aufschwungs.

Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Geliebt wurde er nie, denn wirklich gut spielte er nur selten. Miso Brecko trieb nicht wenige Fans an den Rande eines Herzinfarkts und dennoch gibt es keinen amtierenden Spieler, auf den der Verein wohl so stolz sein kann. Nun bestätigte der Slowene, das er dem effzeh ein weiteres Jahr erhalten bleibt. Was früher für Entsetzen sorgte, freut das Publikum heute. Die Geschichte eines Anti-Helden mit diesem einen speziellen Moment im März 2009…

Derbyzeit in Müngersdorf. An einem Samstagnachmittag empfängt der effzeh Mitaufsteiger Borussia Mönchengladbach und liegt bereits mit 1:3 hinten. Alles wie immer also. Das Team von Christoph Daum startet noch einmal eine letzte Schlussoffensive, zehn Minuten sind da noch zu spielen. Langer Ball auf den aufgerückten Marvin Matip. Der legt quer auf Ishiaku. Von dessen Schienbein tropft die Kugel irgendwie nach rechts zu einem Mann mit Glatze, der die Kölner Fans nun seit etwa einem Jahr zur Weißglut trieb. Miso Brecko überlegt nicht lange, eigentlich handelt er sogar extrem schnell, wenn man bedenkt, dass er in der Bundesliga sonst gedanklich immer eine halbe Sekunde zu langsam wirkt. Anvisieren. Abziehen. Abgehen. Müngersdorf in Ekstase, Müngersdorf voller Hoffnung.

© effzeh.com

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Soeben hatte Miso Brecko mit einem fulminanten Rechtsschuss von der rechten Seite einen Doppelpack geschnürt, hatte Gladbachs Keeper Logan Bailly keine Chance gelassen und das Leder bereits zum zweiten Mal in Folge von rechts ins lange Eck geballert. Für den Bruchteil einer Sekunde kam der Gedanke an einen holländischen Flügelflitzer mit Glatze, der das für Real Madrid fast Tag für Tag machte. Dann zurück in die Realität. Miso Brecko hatte gerade einen Doppelpack erzielt, beide Treffer wurden von Manasseh Ishiaku vorbereitet. Die Gesetze der Physik aus den Angeln gerissen. Wenn es an diesem so unfassbaren Tag also nicht möglich war, die Fohlen zu schlagen, wann dann…

Natürlich verlor der effzeh trotzdem. Vier Minuten nach dem unglaublichen Anschluss durch Brecko legte Kevin Pezzoni auf die dümmste Art und Weise Gladbachs Gal Alberman im Strafraum um. Michael Bradley schob an Mondragon vorbei zur Entscheidung. Den effzeh warf das nicht um, nach 34 Spieltagen stand das Daum-Team trotzdem auf Platz 12 der Tabelle mit 39 Punkten.

Alle gingen, einer blieb

Sechs Jahre später scheint sich auf den ersten Blick nichts geändert zu haben. Kölns Erster Fußballclub beendete die Bundesligasaison als Tabellenzwölfter. Mit 40 Zählern. Auf den zweiten Blick ist in der Domstadt aber kein Stein auf dem anderen geblieben. Nur zwei Konstanten blieben: Köln ist noch immer die schönste Stadt der Welt und Miso Brecko ist noch immer ein elementarer Bestandteil dieses so traditionsreichen Vereins.

Wo die Pezzonis, Vucicevics, Chihis, Womés und Daums der Saison 2009 längst vergessen sind und sich deren Fußballleben fernab von Köln abspielt, ist ein 178 Zentimeter großer Slowene als letzter Überlebender noch da. Doch Miso Brecko ist nicht nur trotz aller Kritik, trotz all der schweren Zeiten, trotz all des Chaos, trotz der sportlichen Berg- und Talfahrt geblieben, er ist mittlerweile eine der Identifikationsfiguren in einem Verein, den nicht wenige Experten auf dem Weg nach oben sehen. Dabei verkörpert der 1. FC Köln anno 2015 genau die Tugenden, die auch den noch amtierenden Kapitän der Mannschaft auszeichnen. Defensive Stabilität, unscheinbare Konstanz und Loyalität.

Von schlechten Flanken und dummen Fouls

Seit der Slowene vor etwa sieben Jahren vom Bundesliga-Super-Urgestein mit toller Uhr zum wundervollsten Verein der Welt wechselte, entgegnete man ihm in Köln mit wenig Liebe. Verwunderlich ist es nicht, denn fußballerisch hat es der 75-fache slowenische Nationalspieler während seiner Karriere nie geschafft Bundesliga-Durchschnitt zu erreichen. Sein bester kicker-Notendurchschnitt im Oberhaus? 3,88. Gespielt hat der Mann, der einst als Ersatzmann hinter dem goldenen Außenrist Ümit Özat geholt wurde, trotzdem fast immer.

© effzeh.com

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Seine Flanken fanden nur selten einen Abnehmer, jeder Aufenthalt jenseits der eigenen Hälfte war ein Ausflug in höchst unsicheres Terrain und nicht wenige Stürmer spielten dem Rechtsverteidiger bereits Knoten in die Beine. Unvergessen bleibt eines der dümmsten Fouls der Bundesligageschichte, als Brecko zum Bundesligaauftakt 2009/2010 völlig ohne Not ein Foulspiel an der linken Eckfahne beging, was schließlich zu Dortmunds goldenem Tor führte. Szenen wie diese schießen einem immer wieder in den Kopf. Es gibt wohl nur sehr wenige Menschen, die sich an keinen unglücklichen Moment des Rechtsverteidigers erinnern. War er in der zweiten Liga immer eine verlässliche und solide Lösung in der Verteidigung, merkte man dem heute 31-Jährigen schon früh an, dass das Niveau von Deutschlands höchster Spielklasse an vielen Tagen einfach ein klein wenig zu hoch ist. Und so glich sein Doppelpack im März 2009 auch einem Wunder.

Wenn es für den FC besser wäre…

Ein viel größeres Wunder scheint aber die Tatsache zu sein, dass es die Fans rund um den Geißbock mittlerweile freut, wenn eben jener Miso Brecko wie jüngst im Interview mit der BILD bestätigt, dass er bleibt. Warum das so ist, offenbart dessen Antwort auf die Frage warum er auch bleiben würde, wenn er nicht mehr die Kapitänsbinde trägt, weil er mittlerweile eben nur noch das ist, weswegen er einst geholt wurde: Ein Ergänzungsspieler.

So meinte er: „Ich habe die Binde nie gefordert. Es macht mich stolz, wenn ich sie tragen darf, und ich habe versucht, das Amt so gut es geht auszufüllen. Meine Zukunft hängt nicht an dieser Binde oder an dem Amt. Wenn es für den FC besser wäre, dass jemand anderes Kapitän ist, dann ist das okay. Ich haue nicht ab, nur weil ein anderer die Binde kriegt!“

© effzeh.com

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Wenn es für den FC besser wäre… Anders als so viele Angestellte, die in diesem Verein in den letzten sieben Jahren kamen und gingen, lebt Brecko die richtige Einstellung vor. Wenn gemunkelt wird, dass nicht Miso Brecko einst betrunken ein Auto auf die KVB-Schienen setzte, sondern lediglich für den mehrfach vorbelasteten Landsmann Novakovic den Sündenbock spielte, dann erscheint dieses Szenario höchst realistisch. Nie hörte man ein Wort der Klage, nie eine unrealistische Forderung, nie großkotzige Ankündigungen vom Rechtsverteidiger. Und das in einem Umfeld, das sich durch eben jene Äußerungen auszeichnete.

Miso Brecko verrichtete seine Arbeit immer so gut er es eben konnte im Sinne des Vereins, auch wenn die Arbeit dabei nur selten überdurchschnittlich gut war.

Ein Symbol des Aufschwungs

Seit der Slowene rot-weiß trägt, hat er schon mit weitaus talentierteren Fußballern zusammengespielt, er hat mit Trainern gearbeitet, die voller Lorbeeren empfangen wurden, die Kinder segneten und die modernste Systeme in den Klub brachten, war Bestandteil von einem der kaputtesten Mannschaftsgefügen der neueren Fußballgeschichte wie auch von einer homogenen und jungen Aufstiegsmannschaft. Fakt ist: Viele gingen, Miso blieb, agierte stets zum Wohle des Vereins und ist mittlerweile mit dem Zeugwart und einigen Büroangestellten einer der einzigen Verbliebenen der KGaA.

Verbittert werden wir nun die Zähne zusammenbeißen, ungläubig werden wir den Kopf schütteln und voller Pein werden wir feststellen: Kein Spieler verkörpert derart die DNA des Vereins, kein Spieler steht so sehr für die Tugenden des aufstrebenden FC 2015 wie Miso Brecko. Dabei sei zum Schluss die Frage erlaubt: Ist das wirklich so schlimm?

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