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Lebenswege beim 1. FC Köln: Massimo Cannizzaro – “Der, der den Ball duzte”

Wie ergeht es ehemaligen Jugendspielern des 1. FC Köln, die den Sprung zu den Profis nicht geschafft haben? Autor Kurt Ludwigs traf Massimo Cannizzaro, der, einst ein großes Talent, auch die negativen Seiten des Geschäfts kennenlernte.

Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images

Auch nach seiner aktiven Karriere bleibt der Fußball ein wichtiger Teil seines Lebens. Er führt mit dem ehemaligen Kölner Profi Lukas Sinkiewicz beim SV Lövenich/Widdersdorf und in der Eifel Fußball-Feriencamps für Kinder und Jugendliche durch. Als Spielerberater ist er fast jedes Wochenende auf den Fußballfeldern des Westens zu finden, um die von ihm betreuten Spieler zu begleiten. Hat er einmal an einem Wochenende keine Termine und auch keine Schmerzen, spielt er für die Traditionself des 1. FC Köln unter Teammanager Stephan Engels und trifft dort auf viele Weggefährten wie Colin Bell, Karsten Baumann und Alexander Voigt.

„Aufgrund meiner vielen Verletzungen geht es nur mit angezogener Handbremse“, sagt der nun ehemalige Profi. „Und trotzdem komme ich oft drei Tage hinterher kaum die Treppe ʻrunter. Meine Frau sagt oft, ich solle mir das nicht mehr antun.“ Ein Grinsen huscht über sein Gesicht: „Mit Fußball geht nicht, aber ohne geht auch nicht!“

Eine neue Trainingsmethode als “Baby”

Sein „Baby“, wie er es nennt, ist die „1vs1 Life Soccer Academy“, die er mit italienischen Partnern ins Leben gerufen hat. „1vs1 ist eine innovative Trainingsmethode zur möglichst realitätsgetreuen Vermittlung und Einübung grundlegender technischer Fertigkeiten wie An- und Mitnahme des Balles, Torschuss und Passspiel“, erläutert Cannizzaro.

„Zentraler Bestandteil ist die Arbeit mit der Ginga-Wall, einer hinsichtlich unterschiedlicher Neigungswinkel verstellbaren und transportablen Trainingswand. Soll eine Trainingsgruppe zum Beispiel den sicheren Volleyschuss mit dem linken Fuss üben, schießen die einzelnen Spieler – in hohem Tempo hintereinander auf die Ginga-Wall zu laufend – den Ball auf die schräg nach oben gerichtete Trainingswand, woraufhin der Ball so nach oben abgelenkt wird, dass er die perfekte Höhe für einen Volleyschuss bekommt.“

Ich möchte mit dieser Methode etwas nachbilden, was es heute nicht mehr gibt – das Bolzplatz-Feeling.

Massimiliano Allegri, sechsfacher italienischer Meister mit dem AC Mailand und Juventus Turin und seit 2014 Trainer der „Vecchia Signora“, der „alten Dame“, war von der Präsentation der 1vs1-Methode so beeindruckt, dass er sie im Trainingsbetrieb aller Jugendmannschaften von Juventus verankern will. Einer der Repräsentanten der “1vs1 Life Soccer Academy” ist Dino Baggio, 60-facher italienischer Nationalspieler und UEFA-Pokalsieger mit Juventus Turin und dem AC Parma.

Bolzplatz-Feeling als Zielsetzung

„Ich möchte mit dieser Methode etwas nachbilden, was es heute nicht mehr gibt – das Bolzplatz-Feeling“, erklärt Cannizzaro. „Als ich ein kleiner Junge war, hat mich meine Mutter sonntags und in den Ferien über Tag nie gesehen; ich war auf dem Bolzplatz. Dort habe ich mich mit meinen Freunden Stunde um Stunde mit dem Ball beschäftigt, im Spiel die Techniken erlernt, die notwendig sind, um den Ball perfekt zu beherrschen, oder wie ich es ausdrücke: den Ball zu duzen.“

Mir kommen die Video-Ausschnitte des Pokalspiels der Erfurter gegen Bayern München in den Sinn. Die enge Ballführung, das sichere Verarbeiten auch von scharf geschossenen Flanken, das schnelle Zurückziehen des Balles, um den Gegenspieler ins Leere laufen zu lassen, ja, den Ball duzen, das konnte Massimo Cannizzaro.

„Die Kinder und Jugendlichen finden heute andere Bedingungen vor“,  fährt er fort. „Sie haben auch oft nicht die Zeit, sich den ganzen Tag mit dem Erlernen von Ballfertigkeiten zu beschäftigen. Also haben wir die Vermittlung dieser Techniken so verdichtet, dass sich die Trainierenden die ganze Trainingszeit von 90 Minuten hindurch aktiv mit dem Einüben dieser Fertigkeiten beschäftigen und so eine hohe Trainingsintensität erreicht wird.“ Auch aus der Bundesliga haben einige Vereine schon ihr Interesse an der Trainingsmethode und der Ginga-Wall bekundet.

“Gänsehaut bei der Hymne” – Cannizzaro über den 1. FC Köln

Dann frage ich ihn, wie sein heutiges Verhältnis zu seinem ersten großen Verein, dem 1. FC Köln ist. „Ich habe viele schöne Erinnerungen an die Zeit am Geißbockheim“, sagt er. „Es gibt wohl nur ganz wenige Vereine, die ihre Anhänger so emotionalisieren wie der FC.“ Er hält einen Moment inne. „Wissen Sie, wenn ich die Hymne höre und 50.000 Zuschauer im Stadion mitsingen, bekomme ich auch heute noch eine Gänsehaut!“

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Das letzte Mal im Stadion war er beim ersten Spiel der Rückrunde gegen den VfL Bochum, das der FC mit 2:3 verlor. Bei den Fußballergebnissen vom Wochenende fragt er aber nicht zuerst, wie der FC gespielt hat. „Da will ich zuallererst wissen, wie meine Jungs gespielt haben!“, sagt er. Seine „Jungs“ sind seine Söhne Simone (10), der für die 1. Jugend-Fußball-Schule Köln aufläuft und Luca (7),  der in Widdersdorf beim SV Lövenich spielt und in der nächsten Saison seine Fußballschuhe für die U8 des 1. FC Köln schnüren wird.

Sein Rat an seine fußballbegeisterten Söhne

Haben sie das Talent des Vaters geerbt? „Simone ist Mittelstürmer und in manchen Aspekten seines Spiels erkenne ich mich wieder“, erklärt der Vater. „Auch er schießt viele Tore, weil er sehr gut spekuliert und im Strafraum mit seinen schnellen Bewegungen schwer zu verteidigen ist.“ Er macht eine kurze Pause. Da ist es wieder, das verschmitzte Lächeln. „Manchmal schimpfe ich mit ihm, weil er nicht aktiv genug am Spiel teilnimmt und mehr laufen müsste.“

Er sagt es nicht, aber ich glaube herauszuhören, dass die letztgenannten Eigenschaften auch auf den jungen Massimo zugetroffen haben. “Luca ist ein ganz anderer Spielertyp“, fährt Cannizzaro fort. „Er läuft viel, ist schnell und beackert das ganze Spielfeld; seine endgültige Position muss er natürlich noch finden, wahrscheinlich wird er später einmal irgendwo im Mittelfeld spielen.“

https://www.instagram.com/p/BlbRiYDg4Wy/

Würde er seinen Söhnen raten, den Weg ihres Vaters zu beschreiten und Fußballprofi zu werden? Cannizzaro überlegt einige Augenblicke lang. „Wenn sie die Leidenschaft haben, ihren Traum zu leben und bereit sind, dafür vieles zu opfern, dann ja“, sagt er schließlich. „Man muss allerdings als junger Spieler vorher wissen, dass trotz aller Opfer der Weg möglicherweise nicht höher als bis zur Bezirks- oder Landesliga führt.“

Die positiven und negativen Seiten des Geschäfts

Er hält kurz inne. „Andererseits kann der Fußball sehr viele Dinge vermitteln, die für die Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Menschen wichtig sind“, sagt er. „Man lernt, Regeln einzuhalten, sich in eine Gemeinschaft einzubringen und auch sich durchzusetzen. Man entwickelt Biss, lernt mit Niederlagen und Rückschlägen umzugehen, erkennt die Bedeutsamkeit von Disziplin. Also: Wenn sie genug Talent und Leidenschaft haben, ja, dann sollen sie eine Fußballkarriere anstreben, und natürlich würde ich sie dabei unterstützen.“

Ich habe auch die andere Seite kennengelernt. Aber ich habe aufgehört zu hadern. Ich habe meinen Frieden damit gemacht!

Wie sieht die Bilanz seiner eigenen Fußballkarriere aus? „Ich habe dem Fußball unglaublich schöne Momente zu verdanken“, sagt er nach einigem Überlegen. „Ich habe tolle Menschen kennengelernt, viele Freundschaften geschlossen;  Zehntausende im Stadion haben meine Tore bejubelt und sich an meinen Tricks erfreut.“

Foto: privat

Er rührt in seinem Latte Macchiato. „Aber ich habe auch die andere Seite kennengelernt“, sagt er dann. „Die unendlich vielen Verletzungen, die Schmerzen, die endlosen Stunden auf dem Behandlungstisch und im Reha-Training, die Chancen, die mir genommen wurden, höherklassig zu spielen. Aber ich habe aufgehört zu hadern. Ich habe meinen Frieden damit gemacht!“

Positiv geblieben trotz Rückschlägen

Der letzte Satz schwingt noch nach, als wir uns verabschieden. Auf dem Weg zu meinem Auto schaue ich zur Glasfassade des kleinen Cafés zurück. Dort sitzt er immer noch, Massimo Cannizzaro, telefoniert, stimmt Termine ab, schmiedet Pläne. Er hat das Auf- und Ab eines Fußballerlebens erlebt wie kaum ein zweiter, hat aufgrund der zahlreichen Blessuren und der nicht zustande gekommenen Vertragsabschlüsse bei höherklassigen Vereinen kaum mehr als kurze Gastspiele auf der großen Bühne des Fußballs gegeben.

Aber er ist positiv geblieben und mir scheint, er hat seine Mitte gefunden, mit seiner Frau Bina, mit der er seit Schulzeiten zusammen ist und die ihn einen Perfektionisten nennt, und mit seinen Söhnen Luca und Simone, die vielleicht einmal fußballerisch in die Fußstapfen ihres Vaters treten werden. Wer weiß…

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