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Ehrentribüne

Lebenswege beim 1. FC Köln: Tobias Nickenig – Big Nick, Abwehrkante mit Ballgefühl

Der Lebensweg des Tobias Nickenig: Aus dem Rheinland zum Club seiner Träume, dem 1. FC Köln, harte Arbeit, Verletzungen, eine ereignisreiche Karriere. Nach Erfolgen im Jugendbereich verpasst er den ganz großen Durchbruch in der Bundesliga, spielt in Osnabrück und Aue und wird schließlich Sportdirektor in Thailand. Auch heute noch arbeitet Tobias Nickenig im Fußball-Geschäft.

Tobias Nickenig im Testspiel gegen den FC Grenchen vor der Saison 2006/07 (Foto: imago/Geisser)

Man nimmt ihm das vereinseigene Auto weg und versucht, seine Wohnung zu kündigen. „Ich habe mir juristischen Beistand gesucht und bei der FIFA auf Erfüllung meines Vertrages geklagt, der ja noch fast anderthalb Jahre lief“, erinnert sich der frühere Osnabrücker. Nach der Auflösung des Vertrags kehrt er nach Deutschland zurück. Dort erreicht ihn ein Angebot von Philadelphia Union aus der MLS, mit dem er lange liebäugelt, sich am Ende jedoch dagegen entscheidet. Mit seinen 28 Jahren fühlt er sich noch zu jung für einen Wechsel in die USA.

Schließlich erreicht ihn der Anruf eines ihm wohlbekannten Trainers – Karsten Baumann, der inzwischen das Team des Zweitligisten Erzgebirge Aue betreute. Schnell wird man sich einig, Nickenig unterschrieb einen Einjahresvertrag mit Option und schnürt fortan seine Fußballschuhe für den Klub aus der Bergbau- und Industriestadt zwischen Schwarzwasser und Zwickauer Mulde. Hier trifft er auf ein starkes Team mit Spielern wie Jan Hochscheidt, Marc Hensel, Thomas Paulus – und Torwart Martin Männel. Mit dem Auer Keeper verbindet Nickenig ein besonderes Erlebnis. „Zwei Jahre zuvor geriet ich mit Männel in einem Spiel zwischen Osnabrück und Aue aneinander“, erinnert er sich. „Ich streifte ihn am Hals, worauf er sich theatralisch fallen ließ und eine Rote Karte für mich provozieren wollte. Der Schiri fiel jedoch nicht darauf ein und gab mir noch nicht einmal Gelb dafür.“

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Bewegte Zeiten bei Erzgebirge Aue

Beim ersten Training begrüßt Nickenig den Auer Keeper mit einem Lächeln. „Ich wollte ihm einen Spruch reindrücken, ihn fragen, ob sein Hals immer noch schmerzte“, erzählt er. „Ich hatte gerade dazu angesetzt, als Männel mich unterbrach: ‘Mensch, hör’ bloß auf, mit dieser Szene zieht mich mein Schwager immer noch auf’, sagte er.“ Aue verbringt die ganze Saison in der unteren Tabellenhälfte, sichert jedoch am 34. Spieltag den Klassenerhalt durch einen 1:0-Auswärtssieg beim FC Ingolstadt. Nickenig ergattert sofort einen Stammplatz, kann aber ausgerechnet bei der Partie im Müngersdorfer Stadion gegen den 1. FC Köln nicht mitwirken, da er im Spiel davor gegen Energie Cottbus eine Rote Karte erhalten hat. Trotzdem kommt er auf 24 Einsätze, wodurch sich sein Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert.  Nach der Saison erreicht ihn ein finanziell sehr attraktives Angebot aus China, doch Aue verweigert ihm die Freigabe.

Martin Männel und Tobias Nickenig im Einsatz für Erzgebirge Aue in der Saison 2012/13 (Foto: imago/Karina Hesslang)

Bereits zu Beginn der nächsten Saison spürt der gebürtige Neuwieder, dass seine Zeit im Profifußball begrenzt sein wird. Zu den ständigen Kniebeschwerden gesellt sich auch noch ein schmerzhafter Bandscheibenvorfall. Kontinuierliches Training ist für ihn nicht mehr möglich, trotzdem beißt er die Zähne zusammen, um seine Mannschaft im neuerlichen Kampf um den Klassenerhalt zu unterstützen. „Es kam häufiger vor, dass ich die ganze Woche über nicht trainieren konnte, mich zum Abschlusstraining gequält und dann am nächsten Tag gespielt habe, nur, um danach wieder eine Woche auszufallen“, erinnert er sich. „Ich habe täglich zwei bis drei Schmerztabletten eingenommen, am Spieltag bekam ich dann noch eine Spritze in die Knie, um die 90 Minuten überhaupt durchstehen zu können.“

„Ich habe täglich zwei bis drei Schmerztabletten eingenommen, am Spieltag bekam ich dann noch eine Spritze in die Knie, um die 90 Minuten überhaupt durchstehen zu können.“

Diesmal klappt es mit der Rückkehr ins Müngersdorfer Stadion, allerdings bereitet sie Nickenig wenig Freude, denn zum einen kassiert sein Team eine 1:4-Niederlage beim 1. FC Köln und zu allem Überfluss zieht er sich erneut eine Rückenverletzung zu und muss das Spielfeld noch vor der Pause auf einer Trage verlassen. Im letzten Drittel der Saison kämpfen die Auer verzweifelt um den Verbleib in der 2. Liga. Nickenig trägt am 29. Spieltag durch sein Tor zum zwischenzeitlichen 2:1 zum wichtigen 3:2-Heimsieg gegen Union Berlin bei. Wie so oft spielt er unter Schmerzen. Seine Kniebeschwerden lassen eine Operation – mittlerweile ist dies die siebte (!) – unumgänglich werden, sie ist für Mitte April geplant und würde für ihn das Saison-Aus bedeuten. Die Verantwortlichen der „Veilchen“ wissen darum, beknien ihn jedoch, sich für die entscheidende Partie gegen Dynamo Dresden noch einmal zur Verfügung zu stellen. Wider alle Vernunft läuft er auf und hilft den 2:0-Heimsieg zu sichern, der den Klassenerhalt bedeutet.

Im Einsatz für Aue gegen seinen alten Verein (Foto: imago/Picture Point)

Die zunächst aufgeschobene Knieoperation erfolgt wenige Tage später, zu den postoperativen Schmerzen gesellt sich bei ihm die Ungewissheit über seine Zukunft. Sein Vertrag läuft aus, von Vereinsseite hört er mal dies und dann wieder jenes, alles bleibt schwammig und wenig konkret. Zukunftssorgen werden in dieser Zeit zu seinem ständigen Begleiter. „Ich habe zum ersten Male in aller Deutlichkeit erkennen müssen, dass es im Fußballgeschäft bisweilen alles andere als fair zugeht“, sagt er. „Ich habe meine Knochen für den Verein hingehalten, meine Gesundheit aufs Spiel gesetzt, bin aufgelaufen, als ich eigentlich auf dem Operationstisch hätte liegen müssen. Nach einigem Hin und Her hat man mir schlussendlich mitgeteilt, dass dem Klub das Risiko zu groß erschienen sei, einem Spieler mit meiner Verletzungshistorie einen neuen Vertrag zu geben.“

Verbissener Kampf in der Reha und das Ende der Karriere

Tobias Nickenig steht nun ohne Vertrag da, kämpft jedoch verbissen um die Rückkehr auf den grünen Rasen, quält sich Tag für Tag in der Reha – und stellt Fortschritte fest. Seine Zuversicht erhält auch dadurch Nahrung, dass sich einige Vereine bei ihm melden. So findet sogar ein Treffen mit Aue statt, die ihr Interesse an einer erneuten Verpflichtung bekunden, dies dann aber nicht weiter konkretisieren. Zudem gibt es einige konkrete Angebote aus dem Ausland, unter anderem zwei aus Griechenland und eines aus dem Iran.  Im August ist er dann so weit, dass er an den Übungseinheiten der TuS Koblenz teilnehmen kann, um zu testen, inwieweit sein operiertes Knie den Belastungen eines wettkampfnahen Trainings standhalten kann.

“Ich weiß es noch wie heute: Es war der 19. August, der Geburtstag meines Vaters, als ich nach Hause fuhr und spürte, dass es vorbei war. Ich hatte Tränen in den Augen, wusste, dass ein wichtiger Teil meines Lebens zu Ende ging.”

Schnell muss er merken, dass sein Optimismus verfrüht war, sein operiertes Knie reagiert heftig und lässt eine weitere Teilnahme am Training der Koblenzer nicht zu. „Ich weiß es noch wie heute: Es war der 19. August, der Geburtstag meines Vaters, als ich nach Hause fuhr und spürte, dass es vorbei war“, erinnert er sich. „Ich hatte Tränen in den Augen, wusste, dass ein wichtiger Teil meines Lebens zu Ende ging.“ Er versucht noch einmal alles, will nicht wahrhaben, dass seine Karriere so früh zu Ende ist und muss doch Ende September feststellen, dass es einfach nicht mehr geht. „Ich fiel damals in ein kleines Loch“, gibt er heute zu. „Mir wurde bewusst, dass sich mein Leben von heute auf morgen vollkommen ändern würde. Ich würde viele gewohnte Abläufe vermissen, den Flachs in der Kabine, das tägliche Training, den Kaffee danach mit den Mitspielern, das Adrenalin, das ich beim Spiel verspürte, und den Wettkampf mit den Gegenspielern.“

Sportdirektor in Thailand, Gründung der Globall Sports GmbH und die Bilanz einer Karriere

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