Ein Gegenbeispiel: Ich erinnere mich an ein D-Jugend-Spiel zwischen dem FC und Borussia Dortmund vor einigen Jahren. Ein Wahnsinnstempo, rassige Zweikämpfe, eine packende Partie. Ein offensiver Außen war dabei, der gerne ins Dribbling ging und dabei auch schon mal nach innen zog. Nach kurzer Zeit bekam er von seinem Trainer die Ansage, dass er ausgewechselt wird, wenn er nicht an der Linie bleibt. Das wäre in Belgien eher undenkbar. Hier ermuntern die Trainer ihre Spieler in den Jugendspielen dazu, ins Dribbling zu gehen, auch wenn es das erste oder zweite Mal nicht funktioniert hat. Und deshalb gibt es ihn hier – den dribbelstarken Außenspieler, der überall von allen gesucht wird.
Dabei sah es vor knapp 20 Jahren noch recht finster in unserem Nachbarland aus. Für die Europameisterschaften 2004 und 2008 konnte sich die belgische Nationalelf genauso wenig qualifizieren wie für die WM 2006, und doch haben diese drei Misserfolge den Anstoß dazu gegeben, dass Dinge nicht nur geändert, sondern deutlich verbessert wurden – auch im Nachwuchsbereich. Wie konnte das gelingen?
Das war vor meiner Zeit in Belgien. Wie ich erfahren habe, hat man damals alles auf den Prüfstand gestellt und einige strategische Entscheidungen getroffen, die zukunftsweisend waren und sich im Rückblick als vollkommen richtig erwiesen haben. So wurden in den frühen Jugendnationalteams Schattenkader eingerichtet, in die Spieler berufen wurden, die zwar körperlich noch nicht so weit waren, dafür aber großes fußballerisches Talent besaßen. Kevin de Bruyne zum Beispiel ist aus einem solchen Schattenkader hervorgegangen.
Christoph Henkel (Bildmitte) bei der Verabschiedung von Mannschaftskapitän Luis Garcia (Foto: KAS Eupen/David Hagemann)
Oder ein anderes Beispiel: In Belgien wird die Einteilung der Nachwuchsspieler nicht so rigide gehandhabt wie anderswo. In Eupen haben wir so die Möglichkeit, beim Verband Spieler zu melden, die etwa eine Altersstufe heruntergehen, weil sie körperlich noch nicht so weit sind. Auf diese Weise wird das Entwicklungsalter stärker berücksichtigt als das kalendarische Alter – ein Ansatz, der unter dem Begriff „Biobanding“ Einzug in die Nachwuchsförderung von Spitzenklubs im In- und Ausland gehalten hat. Durch all diese Maßnahmen stellte man sicher, dass die Erfassung und Förderung von talentierten Nachwuchsspielern verbessert wurde und das ist möglicherweise ein weiterer Grund dafür, dass der belgische Fußball im internationalen Vergleich so gut dasteht.
Im Gegensatz zu Belgien sieht sich die Nachwuchsförderung im deutschen Fußball einiger Kritik ausgesetzt, die sich vor allem auf die Nachwuchsleistungszentren konzentriert. So kommt eine vor kurzem unter der Federführung von Professor Arne Güllich von der TU Kaiserslautern veröffentlichten Metastudie zur Qualität und Effizienz von Nachwuchsleistungszentren in Deutschland unter anderem zu dem Ergebnis, dass diejenigen Nachwuchsspieler, die es hinterher in den Profibereich geschafft haben, mehrheitlich erst ab der U15 in ein NLZ kamen und bis zu diesem Zeitpunkt in ihren Heimatvereinen gespielt haben. Bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass junge Spieler, die von der U8 oder U9 in einem NLZ sind, dort eine Förderung erfahren, die ihrer weiteren Entwicklung nicht immer guttun muss?
Diese Erkenntnis überrascht mich nicht. Ich nehme mal als Beispiel einen U15-Spieler, der fünf- bis sechsmal pro Woche trainiert, auch noch Jugendnationalspieler ist, aus diesem Grund zusätzlich an Lehrgängen teilnehmen muss und das über mehrere Jahre macht. Ich glaube, das macht eine natürliche allgemeine Entwicklung schwieriger und vergrößert die Gefahr von Verletzungen durch Überlastung, auch wenn ein solches Talent viele sehr spezielle Erfahrungen macht, die seine Altersgenossen nicht machen können. Auch die Gefahr, dass ein solcher Spieler ein wenig die Bodenhaftung verliert, darf nicht unterschätzt werden. Das Problem kann dann sein, dass die notwendige Steigerung zur U21 hin oder zu den Profis, wenn es um den Sprung zu den Senioren geht, nicht mehr bewältigt werden kann.
Das mag zum einen daran liegen, dass ein solcher Spieler in ganz jungen Jahren schon sehr viel investieren musste, um seine Ziele zu erreichen, und der Leistungsakku eben nicht mehr voll genug ist, oder eben auch daran, dass er schon ein Stückweit satt ist, weil er als Jugendnationalspieler glaubt, schon sehr viel erreicht zu haben. Deshalb glaube ich, dass eine fußballerische Entwicklung, in der man bis zum Alter von 13 oder 14 im Heimatklub verbleibt und dort die Freude am Spiel und seine individuelle Begabung entwickeln kann, aber noch nicht den vielen Zwängen eines NLZ ausgesetzt ist, sehr förderlich sein kann, um später dann auch den großen Schritt zu den Senioren und dort idealerweise in den Profibereich machen zu können. Dies allerdings auch nur unter der Voraussetzung, dass im Heimatklub eine gute Förderung gegeben ist.
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