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Interviews

Lebenswege beim 1. FC Köln: Siggi Marti – im Fußball zu Hause

Siggi Marti trägt nicht nur den Geißbock im Herzen, sondern arbeitet auch seit deutlich über 40 Jahren im Fußballbusiness, hat sehr viel gesehen und erlebt und erzählt im ausführlichen Lebenswege – Interview über sein Leben als Spieler, Scout, Trainer und Dozent.

Siggi Marti, 2. von links, mit Rainer Thomas, Frank Schaefer und Hans Kirsch 2006 in Bitburg (Foto: privat)

Inwieweit ziehen Sie im Scouting bei der KAS Eupen Plattformen wie Wyscout oder Impect hinzu?

Das spielt heutzutage eine immer größere Rolle. Das dort verfügbare Datenmaterial ist hilfreich, um einen Spieler zu lokalisieren, der zu dem zuvor erwähnten Anforderungsprofil passen könnte. Die heutige Vorgehensweise, in der zunächst das verfügbare Datenmaterial auf interessante Spieler gesichtet wird, hat das Scouting zweifellos ökonomischer und zielgenauer gemacht.

Dabei gibt es statistische Werte, die recht leicht zu erheben sind, aber doch eine erhebliche Aussagekraft haben wie Schnelligkeit, Anzahl der geschossenen Tore, Assists oder Schussgeschwindigkeit.

Bei anderen Parametern ist das schon schwieriger. Das trifft etwa auf Zweikampfwerte zu, die auf bestimmten Plattformen dargestellt werden, wobei dies aber gelegentlich fragwürdig ist. Ein Beispiel: Bei dem ein oder anderen Anbieter bewertet man eine Szene, wenn ein Spieler alleine durchgebrochen ist und z.B. der Verteidiger den Ball ins Aus tackelt, als verlorenen Zweikampf für den Abwehrspieler.

Oder die sogenannte Passquote. Hier muss man auf jeden Fall genauer hinschauen, denn ein Innenverteidiger kann eine Passquote von 100% haben – bei einem Raumgewinn von minus 80 Metern. Daher sind diese Werte nicht immer aussagekräftig.

Aus diesem Grunde haben einige Vereine auch eigene Logarithmen zur Erfassung und Interpretation statistischer Daten entwickelt etwa unter Einbeziehung von IMPECT, einer Analyseplattform von Stefan Reinartz und Jens Hegeler, mit der Packing-Rate und der Anzahl der pro Pass überspielten Spielern.

Jürgen Gelsdorf, Edwin Boekamp, Michael Skibbe und Siggi Marti bei der U21-EM 2006 in Portugal (Foto: privat)

Um zur KAS Eupen zurückzukommen, versuchen wir nach der Erstellung der Profile für Neuverpflichtungen darauf passende Spieler zu lokalisieren, dann aber folgt der wichtigste Schritt, das Live-Scouten. Den Blick auf die Leistungen und das Verhalten eines Spielers auf, aber auch jenseits des grünen Rasens kann keine Plattform und keine Software ersetzen. Die Sichtungen vor Ort, der persönliche Kontakt sind unerlässlich, um ein wirkliches Bild des Spielers zu erhalten und gegebenenfalls abzuklopfen, ob eine Verpflichtung Sinn macht.

Um den Blick einmal zu weiten: Eupen ist unweit der deutschen Grenze gelegen, nur einen Katzensprung von Aachen entfernt. Hat es da mal die Überlegung gegeben, eine Kooperation zwischen der Alemannia und der KAS Eupen zu vereinbaren?

Diese Überlegungen gab es immer mal wieder. Es ist ja auch so, dass einer unserer Scouts, Peter Hackenberg, alter Alemanne ist. Vor kurzem haben die Aachener wegen zwei unserer U21-Spieler angefragt. Aber wir geben die nicht ab, weil unsere U21 den Platz behaupten muss, den sie zur Zeit belegt, um in der kommenden Spielzeit in der nächsthöheren Liga zu spielen. Abgesehen davon haben wir einige Male versucht, Spieler nach Aachen auszuleihen oder von dort zu holen. Das hat aber aus den unterschiedlichsten Gründen nie funktioniert.

Zurück zum Scouting: Jetzt haben wir ausgiebig über Ihre Zeit als Scout gesprochen, aber dabei noch nicht die Frage beleuchtet, was eigentlich einen guten Scout ausmacht. Welche Fähigkeiten sollte er besitzen?

Auf jeden Fall sollte er in der Lage sein, akribisch zu arbeiten, denn Scouting ist eine Tätigkeit die sich aus vielen Einzelaspekten zusammensetzt. Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die ein Scout im Blick haben muss und die eine Voraussage ermöglichen, ob ein gescouteter Spieler für den Verein eine Verstärkung darstellen kann.

Neben der Akribie benötigt man auch ein gerütteltes Maß an Flexibilität, denn als Scout in Diensten eines Proficlubs ist man eigentlich immer auf Stand-by. Ich erinnere mich etwa an eine Sichtung, die ich 2004 in Trier gemacht habe und einen Anruf, als ich schon auf dem Rückweg auf der A61 war. Es war unser damaliger sportlicher Leiter Andreas Rettig, der mir mitteilte, dass ich sofort wenden und in die Schweiz fahren sollte, um dort an den nächsten beiden Tagen Spiele in Zürich und Genf zu sehen. Da ich für Trier natürlich keinen Koffer gepackt hatte, musste ich erstmal in der Schweiz auf Einkaufstour gehen, um mir Übernachtungsutensilien zu kaufen.

Gehört es auch zu den Anforderungen an einen guten Scout, dass er Misserfolgserlebnissen gegenüber relativ resistent ist?

Auf jeden Fall! Und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Manchmal bekommt man einen interessanten Spieler nicht, weil der sich für einen anderen Verein entscheidet. Andererseits kommt es aber auch vor, dass man einen Spieler an der Hand hat, den man für geeignet hält, der aber von den sportlich Verantwortlichen abgelehnt wird.

Lilian Laslandes (links neben Markus Kurth) in der Saison 2001/02 (Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Und dann gibt es noch die dritte mögliche Variante: 2002 haben wir etwa vom Scouting-Team des 1. FC Köln den Spieler Lilian Laslandes empfohlen, der dann auch verpflichtet wurde. Laslandes hatte zu diesem Zeitpunkt eine Topquote in der französischen Ligue 1, einer der Topligen Europas.

Ewald Lienen war damals Trainer und sah mit an, wie Laslandes in seinem ersten Spiel den Pfosten traf und ein Abseitstor erzielte, das aber niemals Abseits war. Danach spielte er keine Rolle mehr, wurde immer nur eingewechselt und erzielte kein einziges Tor für den FC. Wobei wir, als wir ihn empfohlen haben, darauf hingewiesen haben, dass er ein Spieler ist, der immer spielen muss, damit er einen Rhythmus entwickelt.

Wir waren damals alle total überzeugt von ihm, aber er hat hier keinen Fuß auf die Erde bekommen. Daraufhin ging er nach Frankreich zurück und wurde zweimal hintereinander Torschützenkönig. Aber sein Fall ist klassisch: Der Trainer, der ihn holt, wird entlassen, der neue Trainer hat andere Vorstellungen, ein oder zwei Verletzungen kommen hinzu, der Spieler wird zum Fehleinkauf. Schlecht für den Verein, nicht schön für die beteiligten Scouts.

Und ein weiteres: Wir in Eupen versuchen immer an der oberen Grenze zu scouten und müssen uns deswegen immer die Frage stellen, ob ein bestimmter Spieler überhaupt machbar ist für uns. Es gibt eine große Anzahl an Konkurrenten, die für einen solchen Spieler interessanter sein könnten. Das bedeutet, dass wir die ersten 15% auf unserer Liste nur schwer bekommen können. Trotzdem ist es uns gelungen u.a. mit Edo Kayembe (jetzt FC Watford) und Emmanuel Agbadou (jetzt Stade Reims) zwei Spieler zu verpflichten und dann für eine Ablöse von mehreren Millionen zu verkaufen.

Und da kommt es natürlich auch zu Diskussionen im eigenen Verein. So kann es beispielsweise passieren, dass die Scoutingabteilung einen Spieler will, der Vorstand auch, aber der Trainer nicht. Holt man jetzt diesen Spieler gegen den Willen des Trainers? Wir hatten mal einen solchen Fall, der Spieler ist dann nicht verpflichtet worden, ging in eine andere Liga und wird da jedes Jahr Torschützenkönig. Auch das passiert und auch damit muss man umgehen können.

Und eines sollte ein Scout nicht haben: Angst vor dem Fliegen (er lacht). Ich erinnere mich an eine Begebenheit im Jahr 2013, als ich mit Martin Vogelsänger, einem Scout von RB Leipzig, mit dem Flugzeug von Düsseldorf nach Oslo unterwegs war, um ein U19 EM Qualifikationsspiel zu sehen. Auf der Höhe von Hannover teilte der Pilot uns dann mit, dass das Flugzeug umkehren müsse, weil die Crew einen „komischen“ Geruch festgestellt hatte. Als wir dann wieder in Düsseldorf gelandet sind, sahen wir beim Anflug unten auf der Landebahn schon fünf Feuerwehrwagen stehen, was unser mulmiges Gefühl noch erhöht hat. Aber alles ist gutgegangen. Wir sind dann über Kopenhagen nach Oslo geflogen und sind nur 15 Minuten zu spät zum Spiel gekommen.

Stimmt das, dass auch im frühen Nachwuchsbereich schon sehr intensiv gescoutet wird?

Das ist richtig und diese Jugendscouts sind für mich auch die wahren Helden. Wenn ich z.B. einen 26jährigen Spieler in der Bundesliga scoute, dann weiß ich, dass der sein Können schon mehrere Jahre auf höchstem Niveau bewiesen hat.

Als Dozent  an der Sporthochschule Köln und was bedeutet Treue im Profifußball?

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