Immer und immer wieder. In Dauerschleife. Anlauf, Antippen, Vollspann, Einschlag, Jubel. Immer und immer wieder. Sky. Sportschau. Aktuelles Sportstudio. FC-TV. Ganz so, als müsste man sich noch davon überzeugen, was da eigentlich passiert ist. In der 91. Minute fasste sich Marcel Risse, verbal überzeugt von Anthony Modeste, ein Herz und wuchtete den Ball aus über 30 Metern ins Mönchengladbacher Tor. 2:1 effzeh – eine emotionale Eruption, Freudentaumel glücklicher Geißböcke, ein Treffer so unendlich tief ins Borussen-Herz. Ein Derbysieg, der schöner kaum sein konnte: Zurückgelegen, hinterher gelaufen, reingebissen, abgeschossen. Wer redet schon über „verdient“, wer interessiert sich für die künstlerisch wertvolle B-Note? Schmeckt der Triumph nicht sogar noch süßer, wenn er einem etwas überraschend in den Schoß fällt?
Der dritte zuckersüße Derbysieg auf fremdem Geläuf in den letzten 25 Jahren, der dritte Derbysieg in Mönchengladbach, den der Autor dieser Zeilen bewusst erlebt hat, der dritte Derbysieg bei der Borussia, der am Ende ein 2:1 als Ergebnis stehen hat. Im September 1992 waren es Andrzej Rudy und Frank „Mach et, Otze“ Ordenewitz, die sich für immer in die Kölner Geschichtsbücher schrieben. 16 Jahre später trug die Heldengeschichte die Namen Fabrice Ehret (welch ein Torjubel!) und Milivoje Novakovic (was für ein Freistoß!). Nun begrüßen wir als Neuzugänge in der effzeh-Ruhmeshalle gleich ein Trio: Anthony Modeste, der sich von Gladbachs Vestergaard geschickt zum Ausgleich anköpfen ließ. Marcel Risse, dessen Distanzhammer den effzeh in Ekstase versetzte. Und Thomas Kessler, dessen Paraden die Grundlage für den Derbysieg bedeuteten.
Ein “Pausenclown” mit starken Reflexen
Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images
Jener Kessler, der den am Knie verletzten Stammtorhüter Timo Horn vertreten musste. Dessen Eignung für diese Aufgabe (ausgerechnet im Derby!) infrage gestellt wurde. Der bei seinem letzten Bundesliga-Einsatz am letzten Spieltag der vergangenen Saison in Dortmund bei beiden Toren keine sonderlich herausragende Figur gemacht hatte. Der angesichts der Ersatzrolle hinter Horn kaum Spielpraxis sein Eigen nennen kann. Und genau dieser „Pausenclown“ (schöne Grüße an alle despektierliche Kritiker!) macht einen überragenden Job: Ruhig, souverän, reaktionsschnell. Gegen Hazard im Eins-gegen-Eins früh mit einem starken Reflex. Beim überaus verdienten Gegentor, um das der effzeh gebettelt hatte, völlig schuldlos. Bei Traores Freistoß mit dem Aluminium und dem Glück im Bunde. Gegen Wendts fiesen Aufsetzer stabil. Und in der 78. Minute mit der Monstertat: Johnson allein im Strafraum vor ihm, Kessler pariert dank Weltklasse-Reflex. Die Basis gelegt für Risses Auftritt, der unsere Herzen schier zur Explosion brachte.
Lange hatte es tatsächlich danach nicht ausgesehen: Der effzeh legte in der ersten Hälfte einen klassischen Derby-Auftritt aufs Parkett. Zu zögerlich, zu fehlerbehaftet, zu wenig Zugriff. Gegen einen Gegner, der zeigte, warum er in den letzten Jahren in den Tabellenregionen stand, wo aktuell die Stöger-Schützlinge zuhause sind. Spielstark, kombinationssicher, aggressiv dominierte die Borussia das Duell der rheinischen Rivalen nach Belieben. Dass es zur Pause lediglich 1:0 stand, konnte sich der effzeh recht unverdient ans Revers heften. Wie schon in Berlin und in Frankfurt verpennte das Team die ersten 45 Minuten. Aber: Wie schon bei den beiden Begegnungen biss sich der effzeh nach dem Seitenwechsel zurück in die Partie. Wieder einmal hatten sich Peter Stögers Umstellungen bemerkbar und bezahlt gemacht. Heintz flankte, Modeste hielt den Schädel in Vestergaards Klärungsversuch. Ausgleich, 12. Saisontor des Franzosen. Glücklich, aber: Kräht kein Hahn nach. Das erste Kölner Derbytor im Borussia-Park seit Novakovic 2011.
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Kein Traum, keine Parallelrealität
Danach: Hin. Her. Hin. Her. Atemberaubend. Nervenzerfetzend. Kessler gegen Johnson. Elvedi vor Rudnevs. Und als alle dachten, dieses Derby geht mit einem schiedlich-friedlichen Remis zu Ende, kam Marcel Risse. Wollte zunächst eigentlich den Ball aus dem Halbfeld in den Strafraum flanken. Ließ sich von Anthony Modeste überreden, es nicht zu tun. Salih Özcan tippte die Kugel leicht an, Risse nahm Maß und schoss den effzeh endgültig ins Derby-Glück. Emotionale Eskalation pur. Der Rest war: Zittern bis zum Abpfiff, Gänsehaut am ganzen Körper, Tränen in den Augen. Die Nummer Eins am Rhein heißt 1. FC Köln. Fünf Punkte vor Le – WER? – kusen, neun Punkte vor Mönchengladbach. Und: 21 Zähler insgesamt, nur drei weniger als die großen Bayern. Am 11. Spieltag. Kann uns jemand sagen, dass das kein Traum ist und wir nicht irgendwann unsanft in einer Parallelrealität aufwachen?