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Kolumnen

Jeff-Jas-Kolumne: Same procedure as every year?

Der 1. FC Köln macht zum Jahresstart das, was er wohl am besten kann. Das geht unserem Autoren trotz schleichender Entfremdung ans Herz, doch auf selbigem liegt ihm Anfang 2021 so einiges. Die neue Jeff-Jas-Kolumne.

Foto: Frederic Scheidemann/Getty Images

Leev Lück,
wie jedes Jahr quält mich die Frage. Bis wann muss eigentlich noch ein frohes Neues gewünscht werden, falls man sich bis dahin noch gesehen hat? Letztlich auch egal, denn für euch breche ich natürlich gern mit sämtlichen Konventionen und hoffe, ihr seid anders als der 1. FC Köln gut ins jetzt schon fast zwei Wochen laufende Jahr gekommen. Trotz Coronavirus-Pandemie, die uns das Leben nun wahrlich nicht gemütlich macht. Immerhin habe ich den Jahreswechsel entspannt verbringen können: Keine Böllerei, keine Straßenschlachten, kein gigantischer Kater an Neujahr. Im besten Home-Office-Jogginganzug hätte ich um ein Haar sogar schon kurz vor 23 Uhr den Abend beschlossen – man wird nicht jünger, Freunde!

Deutlich unentspannter geriet derweil der Start ins Fußballjahr 2021: Konnte man in normalen Jahren sich noch locker für die Bundesliga warmlaufen, sich in Trainingslagern an der Algarve, in der Türkei oder in Spanien auch als Fan die nötige Frühform (inklusive ungesundem Teint) holen, ging es jetzt bereits am 2. Januar weiter mit dem Spielbetrieb. Am 2. (!) Januar. Da habe ich sonst noch das Erinnerungspuzzle zusammengesetzt, wie ich am Neujahrsmorgen nach Hause gekommen bin. Oder mich auf irgendein FC-Testspiel gegen den russischen Meister gefreut, der sich dann aber mehr wie die Kellnermannschaft des Hotels präsentierte. Oder ganz früher: Hallenturniere. Alfons Higl als fliegender Torwart. Budenzauber. In Städten wie Riesa. Das waren noch geile Zeiten!

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Der 1. FC Köln berührt mich nicht mehr wie früher

Außerdem: Wenn ich mir anschaue, wie der FC so vor sich stümpert, hätte ich definitiv eine längere Winterpause bevorzugt. Es war selbst in der guten Phase vor der kurzen Weihnachtspause kein Feuerwerk (war ja auch verboten, höhö), was unsere Halbgötter in rot-weiß auf den Platz brachten. Aber die Auftritte gegen Augsburg und in Freiburg taten in den Augen weh – unabhängig von den Ergebnissen. Ich neige nicht oft zu polemischen Anfällen (okay, doch), aber frage mich manchmal schon, was da unter der Woche am Geißbockheim eigentlich gemacht wird. Das offensichtliche Ziel scheint jedenfalls Rumpelfußball der allerbittersten Sorte zu sein, anders kann ich mir das leider nicht mehr erklären. Und wenn ich schaue, wie die keinesfalls besser betuchte Konkurrenz auftritt, hätte ich fast so etwas wie Neid empfunden.

Die Emotionen früherer Tage, sie sind größtenteils weg. Ich habe das Gefühl, Corona hat meine Entfremdung von dieser Kommerzmaschine Profifußball nur noch beschleunigt.

Tue ich aber nicht. Und das ist das eigentlich Traurige derzeit: Mich berührt der 1. FC Köln nicht mehr. Okay, er berührt mich schon noch, sonst würde ich zum Beispiel nicht gerade vor meinem Notebook sitzen und eine Kolumne schreiben. Aber er berührt mich nicht mehr, wie er es vor Jahren noch getan hat. Ich rege mich während des Spiels noch auf. Manchmal sogar noch, wenn ich ganz doll an das Gestümpere denke (wie gerade). Aber: Die Emotionen früherer Tage, sie sind größtenteils weg. Ich habe das Gefühl, Corona hat meine Entfremdung von dieser Kommerzmaschine Profifußball nur noch beschleunigt. Ich frage mich: Bin ich nicht eigentlich im weitesten Sinne der Eventfan, den ich immer bedauert habe?

Gibt es eigentlich einen passenden deutschen Begriff für „tonedeaf“?

Denn das, was den FC für mich ausmacht: Es ist praktisch inexistent. Meine Sitznachbarn in Müngersdorf, das Wegbier mit Freunden am Kiosk an der Aachener Straße, die leidenschaftlichen Diskussionen über das Spiel, den Verein sowie Gott und die Welt mit den Jungs und Mädels? Alles weit weg derzeit. Und ich bin keinesfalls alleine mit dieser Entfremdung vom Fußball, vom 1. FC Köln. Unsere Whatsapp-Gruppe zum FC, in der es sonst nicht nur während der Spiele eskalierte: Ähnliche Atmosphäre wie im Leverkusener Stadion. Hitzige Debatten über Taktik, Spieler, Trainer, Sportdirektoren, Vorstände? Fehlanzeige. Bei anderen Themen im Fußball fliegt einfach das Tumbleweed durch den Kanal. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich werde den FC vermutlich immer lieben, aber er macht es einem derzeit einfach nicht leicht.

Aber auf keinen Fall ausschließlich er: Wenn ich mir anschaue, wie Vereine und Verbände inmitten dieser grassierenden Pandemie agieren, dreht sich mir der Magen um. Karl-Heinz Rummenigge hat zehn Monate nach Beginn dieser Scheiße immer noch nicht verstanden, warum die Mund-Nasen-Maske so heißt und wie dieses verdammte Ding zu benutzen ist. Der DFB zerlegt sich in dem x-ten Machtkampf anstatt wirkungsvolle Lobbyarbeit für die zahllosen Amateurclubs in Not zu leisten. Beim VfL Wolfsburg muss Marin Pongracic auflaufen, obwohl er noch sichtlich mit seiner Covid19-Erkrankung zu kämpfen hat. Ein medizinisches Protokoll zum Wiedereinstieg infizierter Spieler gibt es immer noch nicht, obwohl Langzeitfolgen nicht auszuschließen sind. Und während in der realen Welt Menschen wortwörtlich um ihr Leben kämpfen, sinniert man in Köln über die Hoffnung, im Frühjahr wieder Zuschauer ins Stadion zu bekommen, anstatt wenigstens einmal für zwei Wochen dankbar zu sein, dass die große Show derzeit überhaupt fortgesetzt werden darf. Gibt es eigentlich einen passenden deutschen Begriff für das englische „tonedeaf“?

Der neueste heiße Scheiß: Fantoken

Wo ich mich gerade in Rage geschrieben habe: Dass es nicht einmal sportlichen Misserfolg braucht, sondern auch ein fußballerischer Höhenflug genutzt werden kann, um den eigenen Verein zu zerlegen, beweist ein Blick nach Stuttgart. Der bisherige Fanliebling Thomas Hitzlsperger, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der VfB AG, positioniert sich öffentlich gegen den bei den Anhängern hoch angesehenen Vereinspräsidenten Claus Vogt und will sich dessen Amt unter den Nagel reißen. Aufgemerkt: Ähnlich wie beim FC kontrolliert der Verein als Hauptanteilseigner die Geschicke der ausgelagerten Profiabteilung. Dieser kritischen Kontrolle und der Aufarbeitung eines Datenskandals will sich Hitzlsperger und wollen sich die Strippenzieher im Hintergrund wohl entziehen. Wieder einmal scheuen die beteiligten Kräfte Schlammschlachten in aller Öffentlichkeit zum Schaden des Clubs nicht. Ein Verhalten, das sich offensichtlich durch die Fußballbranche zieht. Parallelen zu den Vorkommnissen bei unserem Herzensverein inklusive.

Wie weit die Entscheider in den Vereinen mittlerweile den Kontakt zur Basis verloren zu haben scheinen, zeigt sich bei Borussia Dortmund. Die schwarzgelbe Traditions-Aktiengesellschaft vom Borsigplatz will seine Anhängerschaft mit einem Fantoken noch mehr melken. Fan-WAS? Genau das habe ich auch gedacht. Offensichtlich können BVB-Anhänger bald sogenannte „Token“ erwerben, um bei kleinere Entscheidungen ein Wort mitsprechen zu können. Interaktion, Customer Journey, Monetarisierung, Gamification und so. Fehlt nur noch „Blockchain“ und das ultimative Business-Bullshit-Bingo wäre bei Borussia perfekt. Zur Verwunderung aller finden diese Pläne nicht den „Daumen hoch“ vieler Fans, die natürlich befürchten, dass Mitbestimmung bald eine Frage des Geldbeutels sein könnte. Ein Protestbanner am Stadion hing am Spieltag allerdings nicht allzu lange, einen Satireaccount bei Twitter, der das Kauderwelsch der Macher persiflierte, indem er es einfach nur zitierte, veranlasste den BVB-Partner zu einem Statement.

Wo ist der Impfstoff, Dietmar Hopp?

Aber ist das die Zukunft des Verhältnisses zu der eigenen Anhängerschaft? Oder zumindest ein Teil? Dass sich das Mindset (um in deren Sprache zu bleiben) in der Bundesliga durchgesetzt hat, die Fans größtenteils als Kunden und Absatzmarkt wahrzunehmen, war mir schon länger klar. Welche Ausmaße das annehmen kann, schockiert dann aber irgendwie schon, wenn man es im Live-Betrieb mitbekommt. Das gilt auch für die ersten Annäherungen, einem Anteilsverkauf beim 1. FC Köln das Wort zu reden. Wie das Fan-Projekt in seiner aktuellen „Kölsch live“-Ausgabe den Zeh ins Wasser tippt, um zu schauen, wie kalt es ist, hat mich nicht überrascht, aber doch enttäuscht. Wer sich am Geißbockheim etwas umhört, dem sind die Gedankenspiele rund um einen strategischen Partner längst nicht mehr unbekannt. Sollte das allerdings in die Tat umgesetzt werden, dann war es das für mich beim FC – so schwer mir der Abschied auch fallen wird.

Fussball, 1.BL Saison 2016/2017, Spieltag 5, 1.FC Koeln vs RB Leipzig 25.09.2016, Rheinenergiestadion Köln, 1.FC köln Fans Transparent mit der Aufschrift Köln bleibt investor frei, Anti RB Leipzig Football 1 BL Season 2016 2017 Matchday 5 1 FC Cologne vs RB Leipzig 25 09 2016 RheinEnergie Stadium Cologne 1 FC Cologne supporters Transparent with the Inscription Cologne remains Investor free Anti RB Leipzig

Foto: imago images / Chai v.d.Laage

Vielen Fans scheint derzeit der Abschied aber gar nicht mehr so schwer zu fallen. Wer sich beispielsweise die TV-Quoten der Partien im frei verfügbaren Fernsehen betrachtet, der wundert sich schon, auf welchem Weg „König Fußball“ bei den Konsumenten ist. Der Bundesliga-Jahresabschluss vor Weihnachten zwischen dem BVB und Union Berlin sahen beispielsweise weniger Zuschauer als das Konkurrenzprogramm „Der kleine Lord“. Verständlich, aber nicht die einzige Schlappe vor den TV-Geräten: Schon die deutsche Nationalmannschaft bekam den Liebesentzug an der Glotze zu spüren – die Folgen einer Entwicklung, die sich auch beim Ticketabsatz für die DFB-Heimspiele zeigt. Lange genug haben die Verantwortlichen gedacht, der Hype würde ewig halten und ihn ausgepresst wie eine reife Zitrone. Jetzt zeigt sich: Auch des Deutschen liebstes Kind kommt irgendwann einmal auf die stille Treppe, wenn es sich nur lang genug daneben benimmt. Ob das auch die Bundesliga-Clubs verstehen? I daut it! Bleibt für 2021 nur noch eine wichtige Frage: Wo ist der Impfstoff, Dietmar Hopp?

Bleibt gesund!

Euer Jeff Jas

In unregelmäßigen Abständen schreibt Jeff Jas an dieser Stelle über die groben Fouls und versteckten Nickligkeiten im Fußball, die Diskussionen auf dem Platz, an der Seitenlinie, in der Kabine, auf der Tribüne und an der Theke. Er fühlt sich überall zuhause, wo der Ball rollt: Vom Aschenplatz auf der Schäl Sick über das Müngersdorfer Stadion im Kölner Westen bis zu den Hochglanzarenen dieser Welt.

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