Man könnte fast meinen, die rot-weißen Götter seien Schönwetterfußballer. Während man vor einer Woche im strömenden Regen von Freiburg eine eher bescheidene Leistung sah, zeigte sich die Mannschaft von Peter Stöger bei strahlendem Sonnenschein von ihrer besten Seite.
So viel geboten wie am Sonntag bekam man rund ums RheinEnergie Stadion in dieser Saison wohl noch nie. Abseits des Platzes: Zwei leere Stehplatzränge, ein Fan-Marsch, eine Blaskapelle im Oberrang und unkoordinierte Laola-Wellen. Auf dem Platz: Zwei Elfmeter, ein Platzverweis, ein überragender Japaner, ein sehr starker Japaner, fünf Tore, drei Aluminiumtreffer und das effzeh-Tor des Jahres. So, jetzt erst einmal runter vom Pferd und alles von vorne.
Ausgangslage
Ungewissheit. Genau die dominierte vor dem Spiel. Erstmals musste die Mannschaft dank der Strafe des DFB vor einer halbleeren Südkurve spielen, die allerdings schnell mehr Stimmung produzierte, als eine volle, aber uneinige Südkurve in den beiden Spielen zuvor. Dabei musste der effzeh aber nicht nur auf die veränderte Zuschauersituation reagieren, sondern auch mit dem latent nervigen Abstieggespenst klarkommen, das die gesamte Saison über irgendwo weit oben im Dachboden haust, aber nie so richtig verschwinden will.
Gegen Freiburg hatte man es nämlich mal wieder nicht geschafft, sich entscheidend abzusetzen von den ganzen Dinos und Schwaben und Mitaufsteigern im Tabellenkeller. Und jetzt kam ja mit der TSG Hoffenheim eine Mannschaft, die um die Europa League mitspielt. Genau da war aber auch schon klar: Liegt dem effzeh. Eigentlich.
Personal
Deyverson angeschlagen, Slawo Peszko gelbgesperrt. So war Peter Stöger zum Handeln gezwungen und nahm es mit Alphaville: “I will wait here for my man tonight. It’s easy when you’re big in Japan.” Mit Kazuki Nagasawa und Yuya Osako standen erstmals in dieser Saison beide FC-Japaner gemeinsam in der Startelf. Damit setzte der Österreicher auf etwas weniger körperliche Präsenz, dafür aber weitaus mehr auf Technik und Handlungsschnelligkeit. Kurzum: Er setzte auf die goldrichtige Karte.
Hoffenheim begann ganz weihnachtlich im Tannenbaumsystem. Gegenüber dem Pokalfight gegen den BVB standen Jin-Su Kim und der erst 18-jährige Nadiem Amiri für Torjan und Schwegler in der Startformation. Vorne warteten mit Volland, Firmino und Schipplock schwere Kaliber auf die FC-Defensive.
Spielverlauf
Die schweren Kaliber schossen auch gleich einmal drauf los. Die TSG startete blitzschnell und mit enormem Druck in die Partie. Von einem frühen Tor gegen Köln träumt man ja als gegnerisches Team. Bereits in der erste Minute wackelte der Pfosten nach einem Schuss von Firmino. Bereits in der dritten Minute hätte es allerdings auf der Gegenseite Elfmeter geben müssen, nachdem Südkoreaner Kim den wieselflinken Osako im Strafraum umgestoßen hatte. Doch Schiedsrichter Peter Sippel tat genau das, was einer angeschlagenen Fankurve so richtig gut tut: Er pfiff so richtig schlecht. Den Strafstoß pfiff er jedenfalls schon einmal nicht. Bis zur 20. Minute ging es weiter wüst hin und her. Als Kölner Fan war man völlig überfordert mit der ungewohnten Fülle an großen Chancen auf beiden Seiten. Kennt man ja sonst eher nicht.
Timo Horn war glücklicherweise wenig überfordert und rettete gleich mehrfach mit starken Paraden. Doch der effzeh hielt ansonsten sehr gut mit und in Minute 20 bekam Yuya Osako schließlich seinen Elfmeter. Nachdem er Eisen Ermin überrumpelt hatte, stoppte der Bosnier Osako im Strafraum unfair. Ein Job für Agent Matze. Der guckte Oliver Baumann aus und eierte den Ball mit höchster Souveränität und voller Absicht mittig durch die Beine des 1899-Keepers.
Vier Minuten später hätte es gleich wieder Strafstoß für den effzeh geben können, als Rudy nach einem Drehschuss von Osako mit der Hand an den Ball ging. Aber zwei Elfmeter in vier Minuten wären auch zu viel des Guten gewesen, weswegen Sippels Pitter nicht pfiff. Bis zur Pause dann Ping Pong. Hin her, her hin. Feinster Offensivfußball auf beiden Seiten. Der effzeh, durch den asiatischen Einschlag plötzlich deutlich kombinationssicherer und zielstrebiger, hätte kurz vor Pause auf 2:0 erhöhen können, als Anthony Ujah aus zwei Meter und spitzem Winkel das halbleere Tor hätte treffen müssen, Hennes aus lauter Angst an der Seitenlinie den Ball aber telepatisch gegen den Pfosten lenkte.
Dafür durfte der Nigeranier dann aber ganz weit entfernt und ohne Gefahr für den Geißbock in der zweiten Hälfte auf der anderen Seite jubeln. Nagasawa und Osako kombinierten sich total superkickerlike durch Hoffenheims Hintermannschaft. Osako bediente den Sturmpartner mit einem wundervollen Steilpass und der Tünn zog auf Gedeih und Verderb ab zur komfortablen Führung. Im Stadion wurde kurz darauf die Welle geprobt, damit alle anderen Menschen in Deutschland auch sagen können, wie bescheuert die Kölner doch sind, dass sie nach 55 Minuten beim Stand von 2:0 Laola machen. So kam es wie es kommen musste: Der effzeh wurde plötzlich deutlich passiver, was in der 69. Minute schließlich bestraft wurde, als Pawel Olkowski gegen den einschussbereiten Modeste die Notbremse zog. Der Pole flog runter, Polanski ballerte den Elfmeter rein und statt Laola herrschte wieder Furcht.
Die dauerte aber nicht lange an, als Jonas Hector nur kurze Zeit später beschloss, das Tor des Jahres zu erzielen. Dazu noch mehr beim Spieler im Fokus. Hier nur so viel: Als der Ball zum 3:1 im Netz einschlug, herrschte im Stadion eine Mischung aus kollektiver Ekstase und Unglaube. Zwei Minuten vor Schluss kehrte die Furcht allerdings doch noch einmal zurück, als Kevin Volland das Leder von der rechten Seite gegen den Pfosten donnerte, Schiri Sippel diesen aber als Kölner Spieler sah und eine Ecke gab, die Modeste schließlich reinköpfte. Doch die Kampfeinheit des effzeh um den eingewechselten Thomas Bröker rettete am Ende den Wahnsinnssieg nach einem Wahnsinssspiel über die Zeit.
Spieler im Fokus
Yuya Osako: Bei seinen letzten Einsätzen deutete der Stürmer bereits an, dass er viel mehr drauf hat, als er in seiner Katastrophenhinrunde gezeigt hatte. Gegen Hoffenheim explodierte Osako komplett. Flink, bärenstark in der Ballverarbeitung und auch klasse mit dem Rücken zum Tor. Fast jeder Angriff lief über den Japaner, der von Hoffenheims Deckung nie in den Griff zu bekommen war. Überragend. Yuya O, Fußball-Buddha!
Kazuki Nagaswa: Der Mittelfeldspieler war zwar nicht ganz so auffällig wie sein Landsmann, brachte aber ein technisches Element in die Offensive, die dem effzeh bislang so oft fehlte. Sehr ballsicher und mit einem guten Auge für den Mitspieler. Also das Gegenteil von Slawo Peszko.
Jonas Hector: An dieser Stelle muss ich mal ganz kurz ausholen und persönlich werden. Ich bin zwar erst 89 geboren, doch bis zum letzten Triumph in Brasilien war mir keine WM so präsent wie die 1990. Meine Eltern hatten eine Videokassette mit den Highlights aus Italien. Kommentiert von Jörg Wontorra. Immer wenn mein Bruder und ich krank waren und nicht in die Schule konnten, haben wir diese Videokassette angesehen. Ich kann wohl noch immer jeden von Wontorras Sätzen auswendig. Im Spiel Italien gegen die Tschechoslowakei schoss Roberto Baggio nach einem sensationellen Solo von der Mittellinie ein Tor, das irgendwie meine Kindheit prägte (Schaut’s euch an). Und Jonas Hector startete sein Solo eigentlich von genau der gleichen Stelle und umkurvte gefühlte 100 Hoffenheimer wie Slalomstangen. Als der Ball dann im Tor landete, war ich nur noch am Ende. Hector = Baggio. Wahnsinn. Achso: Der Linkverteidiger machte auch sonst ein bockstarkes Spiel.
Timo Horn: Das 3:2 muss er haben, ansonsten sensationeller Rückhalt. Also alles wie immer.
Fazit
Eine Nacht geschlafen und noch immer ganz durcheinander. Im bis dato besten Heimspiel der Saison geht der effzeh als verdienter Sieger vom Feld. Es ist so ein Spiel, nach dem man grenzenlos euphorisiert ist und denkt, dass man die Hertha dann sowieso wegputzt. Wird nicht so kommen, denn immer wenn wir am Europapokal schnuppern, wird es dann doch nichts.
Jetzt sollte man aber erst einmal ein furioses Heimspiel mit Drama, Action und jeder Menge Offensivpower feiern, wo der FC in Unterzahl mit zwei Super-Japanern und Jonas Baggio siegte. Und wer weiß, vielleicht fällt der Reiter dann ja nächste Woche nicht wieder in den Sumpf.
Stimmen
Peter Stöger: Es war ein unglaublich intensives und abwechslungsreiches Fußballspiel. Wir haben unsere Möglichkeiten abgerufen, selbst am Spiel teilgenommen und alles reingeworfen, was in unserer Mannschaft steckt. Bei so vielen Torchancen hätte das Spiel auch anders ausgehen können. Wir haben ein großes Spiel abgeliefert und darauf können wir stolz sein.”
Jonas Hector: “Irgendwann bin ich aus der Sache nicht mehr rausgekommen. Am Ende hatte ich natürlich auch das nötige Glück.” (über sein Solo)
Matthias Lehmann: “Die anderen konnten vorlegen. Es war doch wieder ein Spektakel, zum Glück mit einem guten Ende für uns. Das war kein Meilenstein, eher ein kleiner Schritt. Jetzt haben wir wieder ein Polster. In Berlin haben wir jetzt ein schönes Auswärtsspiel, da können wir einen etwas größeren Schritt machen.”
1. FC Köln: Horn – Olkowski, Maroh, Wimmer – Hector – Lehmann, Vogt – Risse, Nagasawa – Osako (81. Bröcker), Ujah (75. Matuschyk)
TSG Hoffenheim: Baumann – Beck, Strobl, Bicakcic, Kim (62. Modeste) – Rudy, Polanski – Volland, Firmino, Amiri (52. Zuber) – Schipplock (62. Szalai)
Tore: 1:0 Lehmann (20.), 2:0 Ujah (54.), 2:1 Polanski (70.), 3:1 Hector (80.), 3:2 (Modeste 88.)
Gelbe Karten: Bicakcic (19.), Maroh (30.), Vogt (44.), Lehmann (72.), Beck (81.)
Rote Karten: Olkowski (69.)
Schiedsrichter: Peter Sippel (München)
Zuschauer: 45.000