Eine besondere Gabe war letztlich auch die Führungsqualitäten des Euskircheners. Overath hatte die Spielmacher- und Regisseur-Rolle eingefordert, sie auch vom Verein zugesprochen bekommen und lebte sie quasi diktatorisch aus. Über ein Jahrzehnt lang war er der alles bestimmende Alleinherrscher am Geißbockheim. Gut gelitten und respektiert war er im Team hauptsächlich aufgrund seines großen spielerischen Vermögens. Bei Flohe war das anders, dieser war eher der Kumpeltyp, mit dem man die sprichwörtlichen Pferde stehlen konnte.
Mit Overath mal „einen trinken gehen“? Nein, dafür war der Weltstar und Asket nicht zu haben, weil es schlicht nicht seiner Persönlichkeit entsprach. Mit „Flocke“ ging das schon viel eher, dieser ging auch in der sprichwörtlichen dritten Halbzeit schon mal steil, übertrieb es dabei aber nie. Seine vom Boulevard gerne aufgegriffenen Besuche in der kölschen Rotlichtszene gab es sicher, spielten sich aber zumeist nach seiner Fußball-Karriere ab. Da wird gerne etwas übertrieben. Aber er war schon immer vorne dabei, wenn es mit den Kollegen und Mitspielern etwas zu feiern galt.
Nach dem Double-Triumph das schnelle Ende
Als Overath nicht mehr das Zepter schwang, wurde Flohe auch wie selbstverständlich zum Kapitän gewählt. Anfangs hatte diese Rolle dem sensiblen Techniker noch Probleme bereitet, doch mit der Zeit etablierte er sich als „Erster unter Gleichen“: Als einer, der voran ging, der sich auch für Drecksarbeit nicht zu schade war. Anders als Overath konnte „Flocke“ auch mal die Grätsche auspacken. Er hatte sich über die Jahre eben weiter entwickelt und die Rolle als Spielgestalter war sicher auch dem Reifeprozess geschuldet. Allerdings hätten die Verantwortlichen diese Form beim FC etwas früher ausprobiert und im Mittelfeld etwas mehr „Demokratie“ gewagt, dann wären die „Geißböcke“ wohl weniger ausrechenbar gewesen. Doch dazu kam es nicht und beweisen, dass es automatisch Erfolg gebracht hätte, kann auch niemand.
Allerdings waren Jahre vergangen und auch „Flocke“ war nicht jünger geworden. Im Double-Jahr feierte er bereits seinen 30. Geburtstag. Seinerzeit galt die Dreißig als magische Grenze im Fußball. Es war der Zeitraum, bei dem viele Spieler quasi einen Schritt vor dem Karriereende standen. Es gab natürlich Ausnahmen, aber in der Summe waren dies bei weitem nicht so viele Spieler wie heutzutage, die auch jenseits der 30 noch für lange Karrierejahre planten. Man kann heute darüber diskutieren, ob die Ablösung Overaths – über die wenig stilvolle Art und Weise soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden – zu spät erfolgte. Aus Flohes Sicht kam sie gerade noch rechtzeitig, aber es blieb nicht mehr viel Zeit, die Ernte für ein langes Warten auf die richtige Position einzufahren.
Doch wie so oft in Flohes Karriere machten Verletzungen dieser Planung ein Ende. Die WM-Verletzung aus dem Turnier im Jahr 1978 schleppte Flohe die ganze Saison 1978/79 mit durch, der Verein verpasste unglücklich das Finale um den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) und nach einem schlechten Spiel mit roter Karte wurde Flohe suspendiert. Ein himmelschreiend ungerechtfertigter Akt von Trainer- und Vereinsführung, der letztlich zum unwürdigen Wechsel zum Ligakonkurrenten 1860 München führte. Ein bis heute kaum nachvollziehbarer und unverzeihlicher Fehler. Der Rest ist nur allzu bekannt: Die schwere Verletzung nach Paul Steiners Horror-Foul beendete die Karriere des begnadeten Fußballers und leitete eine lange Phase mit gesundheitlichen Problemen ein. 2010 brach Flohe auf offener Straße zusammen, fiel drei Jahre in ein Wachkoma und wurde am 15. Juni 2013 schließlich von seinen Leiden erlöst.
Das Erbe des Heinz Flohe
Sieben Jahre nach seinem Tod ist „Flocke“ nun nicht mehr der vergessene Spieler, der er leider auch hier im Raum Köln in der breiten Öffentlichkeit viel zu lange war. In Köln und Umgebung gilt er jetzt als „gesetzt“, wenn es um die größten Spieler des Vereins geht. Er gehört zu den „großen Drei“, die Thielen nannte: Schäfer, Flohe, Overath – das ist das FC-Dreigestirn für die Ewigkeit. Es ist daher auch kein Zufall, dass gleich drei Denkmäler für ihn in kürzester Zeit entstanden. Einmal in Form eines echten Denkmals, welches der Kölner Künstler Anton Fuchs entwarf. Seit 2014 ist der Platz hinter der Südkurve nun Flohes Heimat geworden. Unzählige Fans haben sich bereits mit ihm fotografieren lassen. Sein Ehrenmal gilt als Treffpunkt („Wir treffen uns beim Flocke …“), was wunderbar passt, war Flohe doch immer schon jemand, der Fannähe lebte. Alleine schon deswegen kann er nicht mehr in Vergessenheit geraten.
Dass alles nicht nur Einbildung war oder Überhöhung war, beweist das Film-Denkmal, welches Frank Steffan mit seiner emotionalen Dokumentation erschaffen hat. Der Film „Heinz Flohe – Der mit dem Ball tanzte“ lässt Flohes unglaubliche Spielkunst visuell noch einmal aufleben. Jedem Fußballfreund lacht das Herz im Leib, wenn er oder sie die spektakulären Spielszenen bestaunt. Ebenso bestätigen die prominenten Zeitzeugen die Einzigartigkeit Flohes. Laut Franz Beckenbauer „gehörte er zu den besten Technikern der Welt“. Auch Günter Netzer zeigte sich beeindruckt: „Er ist so unglaublich gut gewesen, hat Dinge gemacht, die keiner von uns konnte, auch die ganz großen Spieler Deutschlands nicht.“ Jupp Heynckes sah in Flohe „einen Artisten, einen Brasilianer.“ Bei ihnen hat es nie einen Zweifel gegeben, ob er zu den ganz großen deutschen Spielern gehörte. Auch Wolfgang Overath, der sich übrigens als FC-Präsident stark für Flohe und seine Familie während des Wachkomas einsetzte, bestätigte, „dass Flocke kein System gebraucht hat und aufgrund seiner außerordentlichen Fähigkeiten in jeder Mannschaft hätte bestehen können“.
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