Denn längst hatte Flohe sein Spiel verfeinert und enorm verbessert. In der Saison vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land war er der mit Abstand formstärkste deutsche Mittelfeldspieler. Die Leistungskurve Overaths vor dem Turnier wurde bereits angesprochen, der vermeintlich größte Konkurrent des Kölner Regisseurs in der Nationalelf – Günter Netzer – war 1974 ebenfalls in einer schlechten Verfassung. Flohe hingegen brillierte, war aber lange Zeit von Bundestrainer Helmut Schön im Unklaren gelassen worden, ob er überhaupt mit zur WM darf. Am Ende war „Flocke“ dabei und spielte drei Matches, wurde aber im Finale nicht eingesetzt. Dennoch ist Heinz Flohe Weltmeister geworden, auch wenn er das selbst nie so sah.
Damit ist auch ein weiteres Problem in Flohes Karriere benannt. Zwar landete Flohe schnell in den Kreis der Auserwählten des Landes, aber die Chemie zwischen Bundestrainer Helmut Schön und dem genialen Linksfuß stimmte nicht. Der Kultur und Klassik liebende stille Schöngeist aus Sachsen und der gesellige Rheinländer, der noch dazu ein Fan des Boxens war, sie waren sich vom ersten Tag an fremd. Hinzu kam eine fast schon manische Medienaversion Flohes, der sich nach einem Interview im Sportstudio mit Dieter Kürten so unwohl fühlte und das auch offen zeigte, dass er alle Anfragen dieser Art in der Folge absagte.
Fehlende Medienlobby & Verletzungen
Die Folge war: Flohes oft herausragende Leistungen wurden nicht in der Form wahrgenommen, wie sie medial verarbeitet worden wären, gäbe der „Typ“ mehr her. Ein Günter Netzer sorgte alleine durch seine außerfußballerische Präsenz für mehr Aufsehen. Sein Kölner Konkurrent hingegen hatte schlicht keine Lobby und es gab auch niemanden in seinem Umfeld, der ihn über die Wichtigkeit dieses Umstands aufgeklärt hat. So war zum Beispiel gänzlich „ungeschützt“, als die DFB-Auswahl bei der Heim-WM der DDR unterlag und er in der Folge trotz ordentlichem Spiel als einer der Sündenböcke ausgetauscht wurde.
So wurden weiter die Stars aus München und Mönchengladbach gehypt, insbesondere die „Bild“-Zeitung profitierte vom guten Verhältnis zu den Stars namens Beckenbauer und Netzer, die die Klaviatur der Medien natürlich nutzten und auch in der Nationalelf wie selbstverständlich von ihren Vereins-Mitspielern umgeben waren. Der Bundestrainer bevorzugte daher die Blockbildung und so schafften es nur einzelne Ausnahmen wie eben Wolfgang Overath oder Jürgen Grabowski in die Phalanx der omnipräsenten Vereine aus München und Mönchengladbach.
Für Flohe war daher selten Platz in der DFB-Auswahl, obwohl er spielerisch so gut wie alle überragte. Für viele Beobachter ist das bis zum heutigen Tag schwer zu verstehen, seine Anzahl von 39 Länderspielen wird gemessen an seinen Fähigkeiten nahezu als schlechter Witz angesehen, auch wenn er damit sogar zwei Länderspiele und auch zwei Tore mehr aufzuweisen hat als ein Günter Netzer. Die Gründe dafür liegen allerdings nicht nur am gestörten Verhältnis zum Bundestrainer. Auch Verletzungen spielten eine Rolle, unter anderem verhinderten sie seinen geplanten ersten Einsatz schon im Jahr 1968, das Debüt verschob sich daraufhin bis nach der WM 1970. Auch später hatte Flohe erhebliche Ausfallzeiten zu beklagen, insbesondere seine Rückenprobleme, die lange Zeit sogar ein frühes Karriereende befürchten ließen, spielten eine Rolle. Dazu gab es in der Ära der Siebziger weitaus weniger Länderspiele im Jahr als in der Gegenwart.
Seiner Zeit weit voraus – Flohe, ein Unverstandener?
Die bisher genannten Gründe sind auch nur Ansätze. Es gibt sicher noch einen anderen Umstand, der eine größere Rolle spielte, als viele denken. Heinz Flohe war ein „Unverstandener“, er war nämlich als Spielertyp seiner Zeit weit voraus! Zur Einordnung: In den späten 60er Jahren galt vor allem Wolfgang Overath als der Prototyp des modernen Mittelfeldspielers. Lange Bälle, oft zentimetergenau waren die Spezialität des Kölners, Kaum jemand spielte diese Pässe so brillant wie die Nummer 10 aus Köln. Lediglich einer rückte ihm mit der Zeit näher und schaffte irgendwann Anfang der siebziger Jahre „Augenhöhe“: Günter Netzer!
Fortan galten gerade die beiden als die besten Spielmacher des Landes, aber auch weltweit wurden diese Namen immer genannt, wenn es darum ging, wer im Mittelfeld über eine ganz besondere Klasse verfügte. Heinz Flohes Spiel war anders, heutzutage würden die meisten sagen: Moderner! Zu seinen enormen technischen Fähigkeiten gesellte sich nämlich eine extrem dynamische Form des Mittelfeldspiels, die heute noch Anklang finden würde. Flohe vereinte zusätzlich in sich zudem den Künstler und den Kämpfer. Eine ausgesprochen seltene Kombination. Er spielte eher den kurzen, tödlichen Pass. Kombiniert mit seinen Fähigkeiten im Dribbling war er in der Lage, Situationen im Mittelfeld zu schaffen, die für den Gegner schwer zu lösen waren.
Das Auge für den freien Mitspieler hatte er dennoch, ein Umstand, den viele reine Dribbelkünstler vermissen lassen. Insofern war er in der Lage, sich in aussichtsreiche Positionen zu spielen, die er entweder mit einem gewaltigen und präzisen Abschluss krönte oder eben nutzte, um einen Mitspieler „in die Gasse“ zu schicken. Da in der Position des Spielgestalters zumeist Overath zu finden war, konnte er diese Form des Spiels nur selten in der Gänze präsentieren. Erst nach Overaths Abgang hatte Flohe Zeit, sich auf dieser Position zu bewähren. Als Ergebnis aus dieser „Befreiung“ holte der 1. FC Köln 1978 das Double!
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