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Götzes Erkrankung: Sind wir schuldig?

Nachdem Borussia Dortmund bekannt gab, dass Mario Götze an einer Stoffwechselerkrankung leidet, überschlägt sich die deutsche Sportpresse mit Geheule, Gefasel und Gejammer. Sie scheut dabei nichts so sehr, wie keine Texte zu produzieren. Das deutsche Sozialarbeitertum mitsamt der üblichen pathetischen Gefühlsduselei darf dabei natürlich nicht fehlen – dieses Mal durch die “11Freunde”.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

GEGENWARTSBEWÄLTIGUNG | Nachdem der BVB bekannt gab, dass Mario Götze an einer Stoffwechselerkrankung leidet, überschlägt sich die Presse mit Geheule. Das deutsche Sozialarbeitertum mitsamt der üblichen Gefühlsduselei darf dabei natürlich nicht fehlen – dieses Mal durch die “11Freunde”.

Der deutsche Sportjournalismus hat es schwer. Jedenfalls muss man das denken, wenn man die vergangenen Wochen Revue passieren lässt. Nachdem die moralischen Wächter der Sportwelt sich bereits so eilig wie heldenhaft im Zuge der Ausschreitungen in Dortmund vor das Daueropfer RB Leipzig in Steine und Kugeln geworfen haben und einige Tage später auf Sky90 mit einer peinlichen Dauerwerbesendungen nachlegten, kam nun die nächste Profilierungsmöglichkeit: die Stoffwechselerkrankung von Mario Götze, die einigen Akteuren Gelegenheit bietet, einen neuen Sebastian Deisler herbeizuschreiben.

Doch der Reihe nach: Mario Götze ist im Sommer 2016 vom FC Bayern zurück zu Borussia Dortmund gewechselt. Seitdem hat er in der Bundesliga elf Spiele bestritten, davon insgesamt vier über die volle Distanz. Er erzielte ein Tor und gab einen Assist. Die sportlichen Erwartungen hat er bislang nicht erfüllt, genauso wenig wie Andre Schürrle, der den BVB erheblich mehr Geld kostete. Während der in effzeh-Kreisen als “Blumenkohlohr” bekannte Schürrle jedoch in der Öffentlichkeit unterhalb des Radars flog, stand Götze stets im Rampenlicht. Der einstige WM-Held, der Germany 2014 great again machte, musste sich Fragen zu seinem Fitnesszustand gefallen lassen, in physischer wie psychischer Hinsicht. Dann vor ein paar Tagen der Schock: das “uneingelöste Versprechen des deutschen Fußballs” (SZ) leidet an einer Stoffwechselerkrankung.

Die einen zu Ärzten, die anderen zu Matthäus

Pflichtbewusst schritten also die Herren der schreibenden Zunft zur Tat. Vorab: die SZ veröffentlichte heute, dass Götze an einer Myopathie leiden soll. In üblicher journalistischer Diskretion und mit dem obligatorischen Hinweis, dass er eigentlich auch nicht wisse, ob das Kolportierte nun stimme oder nicht, führt Autor Hannes Charisius aus: “Bei einer Myopathie, wie sie Götze haben soll, handelt es sich um Erkrankung der Muskulatur, die mit Störungen im Energiestoffwechsel zusammenhängen kann. Manche dieser Myopathien treten häufig auf, werden aber meist nicht bemerkt: Die Symptome bei den Krankheitsvarianten fallen oft harmlos aus, etwa als Schwäche bei Belastung oder als Muskelkrämpfe. Für Normalbürger ist das höchstens etwas lästig, für Spitzensportler hingegen ein ernstes Problem, da ihre Muskulatur viel stärkeren Belastungen ausgesetzt ist.”

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Da die allgemeine Neugier nun befriedigt ist und es allen wieder gut geht, weil man ja weiß, woran Götze laboriert, könnte man ja nun aufhören, zu schreiben. Für ihn ist das natürlich ganz schrecklich. Denn was dem Fußballer die Myopathie ist, ist dem Normalbürger die Beinamputation.

Bei der Sportpresse konnte man in den letzten Tagen nicht nur allerlei Indiskretionen und intellektuelle Ausfälle beobachten (“Millionensummen zahlten die Vereine für Sie. Jetzt sind Sie krank.” (Franz-Josef Wagner), sondern auch erneut, dass sie jeden dahergelaufenen “Experten” befragten, um den “schwer kranken” Götze irgendwie thematisieren zu können. Dabei war die Wortwahl mancher Medien so drastisch, dass einem beim Lesen diverser Artikel kalte Schauern über den Rücken liefen. Götze habe es mit “einem unfairen Gegner”, dem “eigenen Körper” zu tun (F.J. Wagner), auf Beistand durch seine Freundin könne er auch kaum zählen, da die “beruflich viel unterwegs”, unter anderem bei “Let’s Dance” sei (Bild), aber immerhin auch “eine realistische Aussicht, dass danach vieles besser sein wird (Sport1).” Und Sport-Bild weiß: “Die Krankheit sei heilbar, heißt es.”

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