Elektronische Fußfessel, Überwachung des WhatsApp-Chats und bis zu einem Monat Polizeigewahrsam: NRW-Innenminister Herbert Reul möchte, dass Nordrhein-Westfalen sein bisher schärfstes Polizeigesetz der Geschichte bekommt. Die Kritik am geplanten Sicherheitspaket ist umfassend. Trotzdem blieben Proteste – ähnlich wie in Bayern – bislang aus. Am kommenden Samstag, 7.7., haben Gegner des Gesetzesvorhabens nun zu dem Protestmarsch durch die Düsseldorfer Innenstadt aufgerufen. Dahinter steht ein breites Bündnis politischer und gesellschaftlicher Gruppen. Unterstützt wird der Protest unter anderem von den Grünen, der Linken, den Jusos und der Piratenpartei sowie von Attac sowie Daten- und Umweltschützern. Auch Fußballfans einiger NRW-Vereine werden dabei sein. So auch der Zusammenschluss der Kölner Fanclubs, die Südkurve 1. FC Köln e.V.
Juristen, Datenschützer, Menschenrechtler – und auch Fußballfans: Sie alle haben Bedenken gegen das geplante Polizeigesetz in Nordrhein-Westfalen, das nach der parlamentarischen Sommerpause vom Landtag verabschiedet werden soll. Warum? Das Gesetz erweitert die Befugnisse der Polizei erheblich. Gleichzeitig werden die Freiheitsrechte der Bürger massiv eingeschränkt – sofern „drohende Gefahr“ im Spiel ist.
Ob das Vorhaben an sich oder auch Teile, wie etwa der neue Begriff der „drohenden Gefahr“ rechtssicher ist, daran zweifeln viele Menschen. Ebenfalls umstritten sind die Dauer des Polizeigewahrsams für terroristische Gefährder, aber auch für Kriminelle und Hooligans, der Einsatz der elektronischen Fußfessel und die Schleierfahndung. Nichteinmal wer ein „Gefährder“ sei, werde im Gesetz deutlich. Aufgrund der Unbestimmtheit könnte sich das Gesetz somit auch gegen Whistleblower, Fußballfans , Demonstranten oder Streikführer richten, so die Kritik.
Drei Fragen zum Polizeigesetz an Stephan Schell von Südkurve 1. FC Köln e.V.
Die strittigen Aspekte des Polizeigesetzes:
Begriff der „drohenden Gefahr“
Die Begriffe „drohende Gefahr“ und „drohende terroristische Gefahr“ werden im neuen Polizeigesetz neu eingeführt. Sie sind die Voraussetzungen für die Ausweitung der Polizeimaßnahmen. Bislang war das Vorliegen einer Gefahr erforderlich, mit dem neuen Gesetz soll bereits die Gefahr einer Gefahr ausreichen. Liegt eine solche Gefahr der Gefahr vor, so soll die Polizei Personen überwachen oder inhaftieren dürfen, Menschen durch ein Aufenthaltsverbot und –gebot befehlen, einen Ort nicht zu verlassen oder nicht zu betreten oder auch Personen verbieten, Kontakt zu anderen aufzunehmen.
Kritiker wie Amnesty und die NRW-Datenschutzbeauftragte halten dem Begriff der „drohenden Gefahr“ jedoch für nicht rechtssicher. Zu unbestimmt sei etwa die Definition, wonach eine drohende Gefahr vorliege. Beispielsweise wenn bei einer Person „bestimmte Tatsachen“ die Annahme rechtfertigten, dass sie „innerhalb eines absehbaren Zeitraums“ eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen werde.
Der Begriff der „drohenden terroristischen Gefahr“ ist gleichsam problematisch, dürften die Beamten dann Personen bis zu einen Monat lang inhaftieren, Personen elektronisch überwachen, das Tragen einer Fußfessel anordnen, Aufenthalts- und Kontaktverbote aussprechen sowie eine Residenzpflicht aussprechen.
Polizeigewahrsam
Derzeit können Beschuldigte in sogenanntem Unterbindungsgewahrsam maximal 48 Stunden festgehalten werden, nach den Plänen des CDU-Ministers sollen daraus im neuen Polizeigesetz bis zu vier Wochen werden. Zur Erinnerung: In Bayern dürfen Beschuldigte seit dem neuen Polizeigesetz bis zu drei Monate in Gewahrsam genommen werden. Allein zur Identitätsfeststellung sollen Menschen in NRW künftig bis zu sieben Tage festgehalten werden dürfen.
Verstärkte Telefon- und Internetüberwachun
Telefonate, Gesprächsverläufe, SMS oder Messengerdienste wie WhatsApp und Co. Sollen in Zukunft präventiv und ohne Vorwarnung von der Polizei mitgehört und verfolgt werden dürfen. Auch die Spähsoftware, auch als Staatstrojaner bekannt, darf dann von den Beamten auf den entsprechenden Geräten installiert werden. Mobilfunkanbieter müssen dann per Gesetz kooperieren und die notwendigen Zugänge bieten.
Das BKA argumentiert, dass die Überwachung der Kommunikation häufig „der einzige Weg, um die Gefahrenlage erhellen zu können“. Datenschützer sind trotzdem alarmiert und warnen vor diesem Passus des Gesetzesvorschlags. „Die Verteidigung von Privatsphäre ist keine versponnene Idee einiger weniger Krimineller, sondern notwendige Grundlage der freien Entfaltung jedes menschlichen Individuums“, argumentierten die Kritiker von #NoPolGNRW.
Mehr Videoüberwachung öffentlicher Plätze
Geht es nach dem Gesetzentwurf sollen öffentliche Plätze häufiger und verstärkt mit Videokameras überwacht werden – ohne begründeten Verdacht. Bisher ist das nur mit begründetem Verdacht möglich.
„Strategische Fahndung“
Auch wenn in Paragraph 12a des Gesetzesentwurfs „strategische Fahndung“ steht, so bedeutet das nichts anderes als Schleierfahndung. Darunter versteht man die verdeckte („verschleierte“) Form einer allgemeinen Fahndung, in der verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchgeführt werden. Künftig soll die Polizei in NRW verdachtsunabhängige Kontrollen in vorher bestimmten Gebieten für 28 Tage durchführen dürfen – mit der Möglichkeit der Verlängerung um weitere 28 Tage. Kritiker, wie die Kampagne #NoPolGNRW spricht dabei klar von Racial Profiling. „Die Kontrollmaßnahmen werden also in der Regel Menschen treffen, die einen Migrationshintergrund haben und nicht „typisch deutsch“ aussehen.“ Dies würde zu einer rassistischen Polizeipraxis führen, so die Kritiker.
Einsatz von Tasern
Eine Neuerung betrifft den Waffenkatalog: Künftig sollen sogenannte Distanzelektroimpulsgeräte („Taser“) von den Beamten eingesetzt werden. Zunächst sollen die Geräte in einem Pilotversuch getestet werden. Ob sie eingeführt werden, ist noch unklar. Kritiker lehnen den Einsatz von Tasern ab, da diese schwere Gesundheitsschäden verursachen könnten, argumentiert beispielsweise Amnesty International. Die niederländische Sektion der Menschenrechtler erstellten einen Bericht zum Probelauf des Tasers in den Niederlanden und kommt zu dem Schluss, dass die Geräte meistens in Situationen genutzt wurden, die keinen Schusswaffeneinsatz erlaubt hätten, und in 80 Prozent der Fälle sogar gegen Unbewaffnete eingesetzt wurden. So berichten sie von Fällen, in denen Menschen getasert wurden, denen bereits Handschellen angelegt waren, oder sie mehrfach getasert wurden, was ein schweres Gesundheitsrisiko darstellten könne.
Video: Rechtsanwalt Christian Mertens über das neue Polizeigesetz
Quelle: Chaos Computer Club
Mehr Informationen:
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