Die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland steht an und auch bei uns in der Redaktion wird diskutiert, ob man sich darauf freuen oder das Turnier komplett boykottieren sollte – beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung.
Alle vier Jahre ist es wieder soweit: Die Welt schaut auf ein Land, in dem sich 32 Mannschaften bestehend aus glänzend bezahlten Sportler treffen, die einen von einer zumindest fragwürdigen Organisation veranstalteten Wettbewerb als Lebensziel ansehen und gleichzeitig meinen, für ihr Land anzutreten, obwohl sie lediglich einen Verband vertreten. Auch in diesem Sommer wird ein solches internationales Turnier über vier Wochen ein bestimmender Faktor auf allen Kontinenten sein. Ob man sich aber über vier Wochen jedes Spiel reinzieht, nur zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft den Weg in des Nachbarns Garten antritt oder die WM komplett ignoriert – der Intensität scheinen keine Grenzen gesetzt. Und für beide Enden des Spektrums gibt es gute Argumente. Deshalb erklärt an dieser Stelle effzeh.com-Redakteur Arne Steinberg, warum die WM für ihn einfach unverzichtbar ist. Hier geht’s zur Gegenposition von Christopher Kohl.
Pro-Kommentar: Alles wie immer!
Fußball ist eine der wenigen Konstanten in meinem Leben, die mich schon mindestens genauso lange begleitet, wie ich denken kann. Ich habe durch diesen Sport eine enge Beziehung zu meinem Vater aufgebaut, meine besten Freunde sowie soziale Intelligenz und Kompetenz zumindest in Grundzügen kennengelernt und mein Studium finanziert. Mittlerweile gehört der Fußball in gewisser Weise auch zu meinem Beruf, weswegen ich nie nicht an Fußball denken kann. Bundesliga, Champions League, Kreisliga mit dem Heimatverein, dazu das eigene Gekicke – Anknüpfungspunkte gibt es viele. Das Schöne ist auch, dass man die eigene Persönlichkeit vielfach aufteilen kann, wenn es um Fußball geht. Da wären nämlich der Spieler, der selbst (natürlich) versucht hat, Profi zu werden, daran dann doch recht deutlich scheiterte; der Fan, der sich 24/7 mit dem Wohl und Wehe seines Lieblingsvereins auseinandersetzt; der Beobachter, der Kommerzialisierung kritisch und die Bayern am liebsten verlieren sieht; der Kritiker, die Gebahren der FIFA und UEFA als kriminell erachtet und so weiter und so fort.
Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images
Alle haben ihre Berechtigung, alle haben ihren Teil dazu beigetragen, dass Fußball eine so große Rolle spielt. Für den Fußball konsumierenden Fan, der sich in schwachen Momenten auch dabei ertappt, am Sonntagabend belgische Liga zu schauen, kann es (so ehrlich muss man dann schon sein) fast keine andere Wahl geben, als sich die Spiele der WM anzusehen, egal wann diese stattfinden und egal wie der eigene Tagesplan aussieht. Es gibt doch nichts Schöneres als 64 Partien in 31 Tagen und damit in etwa zwei Spiele pro Tag. Dabei ist es völlig unerheblich, ob die Mannschaft des DFB spielt (Hector!) oder aber Frankreich oder von mir aus auch Panama oder fußball-exotischere Länder wie England beispielsweise. Jedes Spiel schreibt eine eigene Geschichte, und ich liebe Geschichten.
Spiel als Quintessenz – oder Begleitumstände?
Es wird Tore geben, die sich ins Gedächtnis einbrennen, es werden sich Spieler verletzen, die man vielleicht etwas eher mag, es wird Spiele geben, über die man noch in späteren Jahren sprechen wird. Es ist schizophren, aber die Einfachheit des Spiels, 22 Leute auf einem Feld, dazu ein Ball und zwei Tore, von mir aus auch ein Schiedsrichter, ist so unschlagbar fesselnd, dass man darüber hinaus alles Politische, alles Kritische und Notwendige vergisst. Zumindest für die 90 Minuten. Es ist eigentlich ein Fall für einen Psychologen, der vielleicht besser erklären könnte, warum Fußball-Fans alle vier Jahre dem Stockholm-Syndrom erliegen.
Denn nach jeden 90 Minuten wird der Fan zum Beobachter, zum Kritiker und beschäftigt sich wieder mit den Begleiterscheinungen des Spiels – und als das sollten wir es auch sehen. Fußball ist zwar nicht unpolitisch, das ist klar – aber wenn man mittlerweile so verbittert ist, dass man sich nicht einmal mehr über die Quintessenz dieses Sportes, den wir als Kinder alle lieben gelernt haben, interessiert, sollte man vielleicht wirklich zum Psychologen.