Die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland steht an und auch bei uns in der Redaktion wird diskutiert, ob man sich darauf freuen oder das Turnier komplett boykottieren sollte – beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung.
Alle vier Jahre ist es wieder soweit: Die Welt schaut auf ein Land, in dem sich 32 Mannschaften bestehend aus glänzend bezahlten Sportler treffen, die einen von einer zumindest fragwürdigen Organisation veranstalteten Wettbewerb als Lebensziel ansehen und gleichzeitig meinen, für ihr Land anzutreten, obwohl sie lediglich einen Verband vertreten. Auch in diesem Sommer wird ein solches internationales Turnier über vier Wochen ein bestimmender Faktor auf allen Kontinenten sein. Ob man sich aber über vier Wochen jedes Spiel reinzieht, nur zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft den Weg in des Nachbarns Garten antritt oder die WM komplett ignoriert – der Intensität scheinen keine Grenzen gesetzt. Und für beide Enden des Spektrums gibt es gute Argumente. Deshalb erklärt an dieser Stelle effzeh.com-Redakteur Christopher Kohl, warum er eher wenig Lust auf die WM hat. Hier geht’s zur Gegenposition von Arne Steinberg.
Contra-Kommentar: Genug vom Zirkus!
Vorneweg eine Anmerkung: Auch ich werde mir einzelne Spiele der Fußball-WM anschauen, weil man nicht an ihnen vorbeikommt. Welche das sein werden, weiß ich noch nicht und wo auch noch nicht. Vielleicht bei Treffen mit Freunden oder Bekannten, um das Ganze mit etwas Sozialleben zu verbinden. Und einige Spiele haben ja durchaus Unterhaltungspotential.
Ansonsten geht mir der ganze Kram am Allerwertesten vorbei. Das beinhaltet auch die sportliche Komponente. Schon die WM 2014 fand ich fußballerisch sehr schwach. Die übertriebene Härte in Zweikämpfen und die spielerische Armut sind mir heute noch fast so präsent wie das Tor von Mario Götze. Angesichts der Zusammensetzung besteht kaum Hoffnung auf Besserung. Offensivfokussierte Mannschaften muss man mit der Lupe suchen, auf Konter ausgerichtete Defensivreihen gibt es in Hülle und Fülle. Dazu kommt die kräftezehrende Saison hinzu, die man vielen Topspielern wie schon 2014 anmerken wird.
Störende Begleitumstände
Wesentlich störender sind aber die Begleitumstände. Abgesehen davon, dass ich das vierwöchige Fähnchengewedel, den enthemmten Nationalstolz, die Grauen am Kommentatorenpult, das kommende Dauergequatsche über Fußball von Leuten, die sich sonst einen feuchten Dreck dafür interessieren und Public Viewings unerträglich finde, ist es mir fremd, einer Veranstaltung zuzujubeln, die im Wesentlichen der Profilierung einer autoritären Staatsführung dient, die Angriffskriege führt und faschistische Agitatoren rund um den Globus unterstützt. Dass die Vergabe sportlicher Großveranstaltungen wahrscheinlich alle gekauft sind, geschenkt. Putin und Genossen aber durch exzessiven WM-Konsum und andere Ausgaben zu supporten, geht nicht.
Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images
Dazu kommt ein DFB, der sich zu diesen Umständen nicht nur hörbar ausschweigt, sondern auch Unmutsbekundungen von Zuschauern verunglimpft. Anstatt Ilkay Gündogan und Mesut Özil für ihre Unterstützung für den Autokraten Erdogan zur Verantwortung zu ziehen, attackiert man lieber diejenigen, die die beiden nicht so einfach davonkommen lassen wollen. Lieber tut man so, als habe der Fußball nichts mit Politik zu tun.
Fußball hat viel mit Politik zutun
Nichts könnte weniger nah an der Wahrheit sein. Beispiele gefällig? Bitte: Mussolinis Instrumentalisierung des Fußballs in den Zwanziger Jahren, die Beeinflussung der chilenischen Mannschaft 1974 durch Pinochet, die Ausnutzung der WM durch die argentinische Militärjunta 1978, die Entfesselung des deutschen Patriotismus 2006 oder das Imageprojekt der FIFA in Südafrika 2010. Die Liste ließe sich lange fortführen. In Russland und in Katar werden sicherlich weitere unappetitliche Beispiele hinzukommen.