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Fankultur & Sportpolitik

Fußball-WM in Russland: Ein Mix aus Abneigung und pflichtschuldigem Interesse

Die Weltmeisterschaft in Russland steht an, die Vorfreude ist aufgrund der diversen Skandale allerdings überschaubar – woran das liegt und wie man der Sache trotzdem noch etwas Gutes abgewinnen kann, hat unser Autor aufgeschrieben.

Foto: Shaun Botterill/Getty Images

Mittlerweile ist meine Jugendzeit leider vorbei, Podolski spielt nicht mehr, ich bin selbst mehr oder weniger erwachsen. Ich freue mich unheimlich darüber, dass mit Jonas Hector ein Kölner mit im Kader des DFB ist, ansonsten interessiert mich das ganze Spektakel aber wenig – denn Fußball und Politik lassen sich einfach nicht trennen. Es ist eine diffuse Mischung aus Abneigung gegenüber der Organisation FIFA, dem Autokraten Putin und der (sport-)politischen Situation des Landes Russland, weswegen ich in diesem Jahr wahrscheinlich eher nüchtern-distanziert die Spiele verfolgen werde (ja, natürlich werde ich sie gucken!). Ich wünsche mir aber dennoch die Zeiten zurück, in denen ich Fußball unkritisch als Fan verfolgt habe, ohne mir die großen Fragen über die politischen Zusammenhänge zu stellen.

Russland als Ausrichter: Ein angespanntes Verhältnis zum Westen

Doch in Russland, dass sich mittels des Sports als weltoffene und moderne Nation präsentieren möchte, liegt so vieles im Argen, das man davon auch die Ausrichtung einer Weltmeisterschaft nicht trennen kann. Russlands Präsident Putin ist ein Autokrat, der der Opposition in seinem Land keinen fairen Wahlkampf ermöglichte, was in einer Wahl endete, die man ohne schlechtes Gewissen als Farce bezeichnen kann. Auch die außenpolitischen Aktivitäten Russlands darf man nicht verschweigen: Dazu gehören neben der Annexion der Krim auch das Engagement in Syrien sowie die höchst wahrscheinliche Implikation in den Giftgas-Anschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Skripal. Dementsprechend überraschte es nicht, dass zuletzt sogar von einem möglichen Boykott der WM durch westliche Staaten die Rede war (der sich aber niemals in die Realität umsetzen lassen wird).

Zuletzt sorgte auch das flächendeckende Staatsdoping in Russland für viele Diskussionen, infolge derer WM-Organisator Witali Mutko (natürlich gleichzeitig auch Vizeministerpräsident) Ende des vergangenen Jahres zurücktrat und die russischen Olympia-Teilnehmer nicht unter ihrer Flagge einlaufen durften. Es soll in diesem Text ausdrücklich nicht um kulturellen und politische Überlegenheits-Fantasien des Westens gehen, soviel sei angemerkt – die Kombination aus Russland als Austragungsort einer von der FIFA organisierten Veranstaltung hat aber eigentlich immer einen faden Beigeschmack.

DFB und FIFA sind auch nicht viel besser

In diesem ganzen Sumpf an korrupten und verkommenen Organisationen ist es nicht verwunderlich, dass auch der größte Sportverband der Welt, der DFB, seine Hände nicht gänzlich in Unschuld waschen kann. Jahre später lernt die Öffentlichkeit, dass bei der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist – wer hätte es gedacht! Dass die FIFA alle vier Jahre die Ausrichterländer mit überzogenen Forderungen dazu bringt, die abstrusesten Kostenpläne in Milliardenhöhe durchzuwinken, damit man bloß dazu in der Lage ist, eine Weltmeisterschaft austragen zu dürfen, haben wir noch gar nicht erwähnt.

Zwei mächtige Männer: Infantino und Putin | Foto: Shaun Botterill/Getty Images

Durch den Bau der Stadien und der dazu notwendigen Infrastruktur nehmen die ausrichtenden Länder jede Menge Kohle (auch des Steuerzahlers) in die Hand, um das eigene Image aufzupolieren – die FIFA hingegen steuert nur vereinzelt mal ein wenig Geld bei. Für die Organisation und ihren Führungszirkel sowie dessen engste Vertraute und Mitarbeiter ist eine Weltmeisterschaft, unabhängig davon, wo sie stattfindet, erst einmal profitabel – beispielsweise darf die Schweizer Firma Infront wie immer die Vermarktung der Fernsehrechte organisieren. Beim DFB unterdessen hat die Oliverbierhoffisierung ein neues Stadium erreicht, was einen regelmäßig mit dem Kopf schütteln lässt. Die “Mannschaft” schickt sich an, nach 2014 ihren Titel zu verteidigen, viel Glück dabei.

Warum man dann am Ende doch einschaltet

Diese ganzen Eindrücke vermengen sich in den Vormonaten der WM aktuell zu einem ganz diffusen Gemisch aus Abneigung gegenüber den Institutionen, die die WM organisieren, niedergeschlagenem Kulturpessimismus in Bezug auf die schönste Sportart der Welt – und, so ehrlich darf man sein, trotzdem immer noch ein wenig Interesse an dem ganzen Spektakel. Denn wenn in vier Wochen am Stück fast jeden Tag mehrere Fußballspiele auf hohem Niveau stattfinden, kann man sich davon einfach nicht lösen. Ich weiß, das ist schizophren, aber ein Boykott der WM aus der Perspektive eines Zusehenden fällt ebenfalls schwer. Denn immerhin nehmen ja höchstwahrscheinlich mit Hector und Osako zwei Kölner an der WM teil, deren Abschneiden einen ja aus rein egoistischen Interessen sowieso interessiert.

>>> Pedro Geromel: Über das Sportslab und andere Umwege in die Selecao

Aber im Vergleich zu früheren Jahren ist die Leidenschaft schon deutlich abgekühlt. Das professionell-distanzierte Verfolgen der Fußball-Weltmeisterschaft aus der Perspektive eines Erwachsenen tut dem Kind im mir weh, denn so merke ich, wie stark Politik und Fußball miteinander verbunden sind und etwas Unschönes aus einer eigentlich guten Idee (32 Nationen spielen um einen Titel im Fußball) machen.

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