Seifert sieht “keinen Alarm” – die Fans wohl eher schon
Um diese These zu stützen, wurden im Rahmen von Fokusgruppeninterviews erstmal mögliche Probleme und Lösungsansätze identifiziert, die dann mittels einer “quantitativen Fragebogenerhebung mit möglichst vielen Teilnehmern” empirisch zu überprüfen. Dabei wurden in einem ersten Schritt folgende Probleme herausgearbeitet: Die Bundesliga sei durch eine geldbedingte Drei-Klassen-Gesellschaft langweilig, der Fan sei eine “Melkkuh ohne Mitsprachrecht”, während der Fußball seinen “Basisbezug” verliere und die “Grenzen der Fußballkommerzialisierung erreicht” seien – nicht zuletzt durch die “Zerstückelung des Spieltags durch TV-Sender” und die “Wettbewerbsverzerrung durch Retorten und ein Defizit an finanziellen Regeln”.
Im Rahmen der Fragebogenerhebung äußerten sich mehr als die Hälfte (51,4 %) der befragten Fußballfans aus den ersten beiden Ligen dahingehend, dass sie sich bei einer fortschreitenden “Entwicklung der Fußballkommerzialisierung” vom Profifußball abwenden würden. 55,3 % der Fans empfinden die Bundesliga als langweilig, 69,3 % sehen die “Grenze der Fußballkommerzialisierung erreicht”. Fast drei Viertel der befragten Fans befinden, dass bei der “derzeitigen Entwicklung des Profifußballs die Interessen der Fans auf der Strecke” bleiben. Ebenso hoch ist die Zustimmung zu der These, dass den Funktionären das Geld “wichtiger zu sein” scheint als “der Fußball an sich”.
„Bei der derzeitigen Entwicklung des Profifußballs bleiben die Interessen der Fans auf der Strecke!“
“Im Fußball geht es nur noch ums Geld”
Obwohl Seifert auch die soziale und gesellschaftliche Verantwortung der Bundesliga betont, stimmen 83,4 % und damit eine breite Mehrheit der These zu, dass der Profifußball durch “das viele Geld den Bezug zum realen Leben verloren” hat. Weiterhin seien die “derzeitigen Spielergehälter und Ablösesummen” für 86,3 % der Fans “realitätsfremd”. Die größte Mehrheit findet sich in Bezug auf die These, dass es “im Profifußball nur noch um noch mehr Geld” gehe – 86,9% der Fußballfans stimmten dieser These zu.
Foto: Alexander Scheuber/Bongarts/Getty Images
Wie passt das nun zusammen mit den Äußerungen von Christian Seifert, der sein Produkt Bundesliga eben nicht als langweilig erachtet und die “Übersättigung der Fans” ins Reich der Fabel verweist? Es entsteht also bei der Betrachtung der Thematik eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was die DFL in ihrer Außendarstellung offen vermarktet und zwischen dem, was die Konsumenten, die Fans, die Kunden empfinden. Das diffuse Gefühl, der Fußball in Deutschland (und im weitesten Sinne auch in Europa) sei in übertriebenem Maße durchkommerzialisiert, lässt sich also anhand der durchgeführten Studie relativ stichfest belegen.
Welche Rolle spielen zurückgehende Zuschauerzahlen?
Es lässt sich insgesamt auch schwierig damit argumentieren, dass die Anzahl der Zuschauerinnen und Zuschauer in der Bundesliga leicht geringer geworden ist – wenn in der kommenden Saison Stuttgart und Hannover wieder in der Bundesliga spielen, werden automatisch auch die Zuschauerzahlen wieder steigen. Dass selbst DFB-Guru Oliver Bierhoff zuletzt die geringe Auslastung bei Länderspielen bemängelte, ist jedoch ein weiteres kleines Indiz dafür, dass der Fußball tatsächlich vor einer Zeitenwende stehen dürfte – man kann also nur hoffen, dass die Ergebnisse der angesprochenen Studie und die diffuse Gefühlslage in der Öffentlichkeit insoweit bei den Entscheidungsträgern ankommen, dass sie sich zumindest ansatzweise damit beschäftigen.
Die Realität eines DFL-Reports fasst, auch mit überragenden wirtschaftlichen Zahlen, nämlich nur einen kleinen Teil der Realität ins Auge, die das unfassbar komplexe Spannungsfeld “Fußball” bietet. Sich daraus eine alternative Realität zu konstruieren, erscheint keine so gute Idee. Auf der letzten Seite unserer Serie zu “Fußball und Finanzen” geht es um einige Denkhinweise, wie man sich den modernen Fußball vorstellen kann – sozialverträglich und angemessen.
Auf der nächsten Seite: Anhand welcher Fragen ein konstruktiver Diskurs geführt werden muss.