Die effzeh-Geschichte ist reich an Triumphen, Tiefschlägen und amüsanten Anekdoten. „Für ’ne Moment“ ruft besondere Ereignisse wieder in Erinnerung. Diesmal: Toni Schumacher und sein Skandal-Buch “Anpfiff”.
Toni Schumacher ging, wie er gespielt hat: Immer Vollgas, immer 100 Prozent, niemals zurückstecken. Mit seinem Buch „Anpfiff“ hatte sich der Weltklasse-Torhüter im Frühjahr 1987 im Zenit seiner Karriere aus dem Tor katapultiert. Nicht nur in der DFB-Auswahl, auch bei seinem geliebten 1. FC Köln, zwischen dessen Pfosten er 15 Jahre lang stand. Auf 254 Seiten erzählte der „Tünn“ aus seinem Leben. Dopingvorwürfe, Interna aus der Nationalmannschaft, Eskapaden mit Sex und Alkohol inklusive. Der „Spiegel“ druckte Auszüge aus Schumachers Abrechnung vorab – der Skandal war perfekt.
“Lieber ein Knick in der Laufbahn als im Rückgrat!”
Zwei Tage vor seinem 33. Geburtstag zog der effzeh Konsequenzen – überraschend für den zweimaligen Vizeweltmeister: „Seit wann wird man für die Wahrheit bestraft? Ich würde alles wieder so schreiben. Lieber ein Knick in der Laufbahn als im Rückgrat!“, verkündete Schumacher in der ihm eigenen Art. Den FC juckte dies wenig – der noch laufende Vertrag wurde zum Sommer aufgelöst, das hochgehandelte Torwarttalent Bodo Illgner rückte ins Tor der „Geißböcke“. „Ich habe es nie verstanden – dass der 1. FC Köln nach 15 Jahren sagt: Toni, das war’s“, betonte Schumacher noch 2007.
Für den „Tünn“, dessen Karriere bis dato eng mit dem effzeh verknüpft war, bedeutete der Rausschmiss einen schmerzvollen Stich ins Herz: “Der 1. FC Köln ist mehr als ein Club. Er ist für mich Heimat, mein Wohnzimmer. Hier bin ich Nationalspieler geworden. Es hat mir deshalb auch das Herz rausgerissen, als ich gehen musste”, sagte Schumacher zu seinem 60. Geburtstag der “Bild”. Wie auf dem Platz hatte der Nationaltorwart auch als Buchautor Erfolg: Die Enthüllungsgeschichte wurde zum Bestseller und stand monatelang in den Bestsellerliste. 300.000 Bücher wurden in Deutschland verkauft, weltweit insgesamt mehr als 1,5 Millionen.
Schumacher bereut “Anpfiff” nicht
Doch Schumacher eckte nicht nur im Verein mit seinen Bekenntnisse an – auch in der Nationalmannschaft war etwas mehr als halbes Jahr nach dem verlorenen WM-Finale Schluss für den „Tünn“. Ausgerechnet an seinem 33. Geburtstag verkündete der DFB das Aus für den 76-fachen Nationalspieler. “Viele Passagen in dem Buch, das ich zweimal gelesen habe, sind nicht stichhaltig”, erklärt DFB-Präsident Hermann Neuberger. Teamchef Franz Beckenbauer ergänzt: “Grundsätzlich ist es bedauerlich, dass wir am Freitag diese Erklärung abgeben mussten. Aber in seinem Buch führt Toni Dinge an, die weit unter die Gürtellinie gehen, deshalb mussten wir reagieren.“
Bereut hat Schumacher („Ich stehe zu allem, was ich im Leben getan habe“) seinen Ausflug in die Literatur nie. „Ich habe immer die Dinge beim Namen genannt. Und ich stehe auch heute zu jedem Wort, das ich damals geschrieben habe. Ich habe in dem Buch nur die Wahrheit gesagt. Und dass es bis heute keine einstweilige Verfügung von irgendjemandem gibt, zeigt ja, dass ich das aufgeschrieben habe, was war“, betonte Schumacher 2016 in einem Interview mit der Rheinischen Post: „„Ich rede Klartext, auch heute noch. Wenn ich etwas sage, dann stehe ich dazu. Ich bin kein Politiker, ich eiere nicht rum. So ist das. Wieso wird der bestraft, der darüber spricht und nicht der, der es macht? Das ist die entscheidende Frage.“
Lebensbeichte “passte einfach zu Toni Schumacher”
Zu den Beweggründen, weshalb er noch während seiner aktiven Zeit eine Biographie veröffentlichen wollte, äußerte er sich 2007 im „Stern“: „Ich habe es damals als eine Lebensbeichte angesehen. Deshalb wollte ich es auch zu meiner aktiven Zeit veröffentlichen. Das passte einfach zu Toni Schumacher“, so der einstige Weltklasse-Torhüter: „Viele andere haben erst ein Buch geschrieben, nachdem sie alles erreicht hatten. Denen konnte nichts mehr passieren. Ich wollte provozieren und die Wahrheit aussprechen – zum Beispiel, dass auch im Fußball gedopt wird. Ich dachte, für die Wahrheit kann man nicht bestraft werden.“
Für den „Fußballer des Jahres 1986“ begann nach 422 Bundesliga-Partien für den effzeh erst einmal eine Zeit ohne Einsatz – im Sommer ging es dann zum FC Schalke 04. Einen Dreijahresvertrag, finanziert von Sponsoren, unterschrieb der 33-Jährige bei den „Königsblauen“, mit denen er in die 2. Liga abstieg. Der „Tünn“ wanderte in die Türkei ab, wurde bei Fenerbahce Istanbul zum Volkshelden am Bosporus. Seine Karriere ließ er als zweiter Torwart bei Bayern München ausklingen. Sein letzter Bundesliga-Einsatz folgte dann 1996: Als Torwarttrainer bei Borussia Dortmund kam Schumacher am letzten Spieltag kurz vor Schluss in die Partie – und durfte als 42-Jähriger nach 1978 seinen zweiten Meistertitel feiern.
Umjubelte Rückkehr zum 1. FC Köln
Zum FC gab es dagegen 30 Jahre lang kaum Kontakt, bis 2012 das Happy-End folgte: Unter Präsident Werner Spinner feierte der „Tünn“ eine umjubelte Rückkehr als Vizepräsident des Vereins. Eine tränenreiche Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. „Ich hätte dem Verein in jeder Sekunde zur Seite gestanden, wenn man gefragt hätte. Ich liebe den FC. Es stimmt, nachdem ich wegen des Buches rausgeworfen wurde, hat sich 30 Jahre lang keiner mehr gemeldet“, betonte Schumacher nach seinem Comeback in FC-Diensten. Und übertrieb bei den Erinnerungen an die quälende Zeit außerhalb des Geißbockheims etwas. Nicht nur sportlich kehrt der heute 63-Jährige zu seinen Wurzeln: 30 Jahre nach dem Skandal um „Anpfiff“ gibt es im Mai ein neues Buch des einstigen Weltklasse-Torhüters.