Eine Branche, die sich komplett von ihrer Basis entfernt hat
Buschmann und Wulzinger zeichnen das Bild einer Branche, die sich sowohl von juristischen, als auch von moralischen Kontrollinstanzen vollständig entfernt hat. Die Steuertricks, die sie aufzählen und erklären, erinnern in ihrer Ausprägung an die Enthüllungen um die “Panama Papers”, die die Weltpolitik betrafen. Die Geldgier der Branche scheint grenzenlos zu sein. Cristiano Ronaldo, der besonders unter die Lupe genommen wird, erlöst demnach durch Werbeeinnahmen und Steuertourismus rund 150 Millionen Euro. Nach der Lektüre von „Football Leaks“ wird zudem niemand mehr glauben, dass viele Spielertransfers ausschließlich auf die sportlichen Ambitionen des aufnehmenden und des abgebenden Vereins zurückzuführen sind – oder die gezahlten Summen den Vereinen stets zur Verfügung stehen.
In den Niederlanden sind klamme Vereine den Spekulationen von Firmen zum Opfer gefallen. In Deutschland ist Dietmar Hopp – wer hätte es gedacht – nicht der großherzige Gönner. Die „Transfair GmbH“, der er vorstand, verdiente am Transfer von Roberto Firmino nach Liverpool den größten Batzen Geld, nicht etwa die TSG Hoffenheim.
Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images
Kein journalistischer Alltag
Das Buch besitzt jedoch nicht nur Abschnitte, die Teile des Innenlebens der Fußballbranche enthüllen. Es enthält auch eine eindrucksvolle und intensive Schilderung Buschmanns darüber, wie die Reportage entstanden ist. Nach zahlreichen e-Mails, die Buschmann an die Plattform und deren Betreiber schickt, erhält er nach der letzten eine kurze Antwort. Dann entsteht eine Dynamik, die in ihrer Ausprägung eher an das Drehbuch eines Films erinnert als an das, was sich viele unter journalistischer Arbeit vorstellen. In größtmöglicher Anonymität schildert Rafael Buschmann als wesentliche Kontaktperson des „SPIEGEL“ von den Begegnungen mit dem Whistleblower „John“. Dieser ist portugiesischer Herkunft und ein großer Fan des Hauptuntersuchungsgegenstandes des Werks: Cristiano Ronaldo.
John ist seit Monaten auf der Flucht, ist psychisch und physisch häufig ausgezehrt von der Hatz, die auf ihn gemacht wird. Egal ob Privatdetektive, ehemalige britische Militäroffiziere oder Hacker – die Jagd gleicht einer Version von „Catch me if you can“. Im Laufe des Buchs entwickelt Buschmann spürbare Sympathien für John, vor allem aber auch große Empathie. Wenn John etwa beschreibt, dass die Motivation für die Plattform “Football Leaks” darin bestehe, der Branche die Maske vom Gesicht zu reißen und die Leute, die ihn finanzieren, aufklären zu wollen, ist die Faszination des Autors als Journalist und als Fußballfan spürbar. Die Reisen in verschiedene osteuropäische Städte zu John, die vielen alkohollastigen Nächte, die intensiven Untersuchungen und erst recht das Gefühl, Teil davon zu sein, elektrisieren ihn.
Kann man so eigentlich noch Fußballfan bleiben?
Spürbar ist allerdings auch die Desillusionierung, die er als Fußballfan im Laufe der Recherchen erlebt, welche sich später auch auf den Leser niederschlagen. In beeindruckender Weise schildert Buschmann die Intensität der Recherche, welchen Aufwand sie erfordert und wie groß das Vertrauen in die journalistischen Kollegen sein muss, während gleichzeitig sein Privatleben unter den nächtelangen Arbeiten leidet. Die Entstehungsgeschichte zur Veröffentlichung ist eine Schilderung journalistischer Tätigkeit, die auch in ihrer Dramaturgie einem Krimi ähnelt. Eindrücklich verdeutlicht sie, dass zur Aufgabe eines Journalisten wesentlich mehr gehört als nur die Produktion eines Textes, da der Rechercheaufwand enorm sein kann.
Neben den Werken von Thomas Kistner (zum Beispiel “FIFA Mafia” aus dem Jahr 2012) bietet das Buch von Buschmann und Wulzinger eine leuchtende Ausnahme in dem sonst sensations- und bildheischenden Fußballjournalismus. Es zeigt, dass sich investigative Recherchen nicht nur auf den Politik- und den Industriebereich erstrecken, sondern, dass überall dort, wo man im Umfeld von Geld nach Dreck schürft, mehr davon findet, als man vorab zu träumen gewagt hätte. Dabei verknüpfen die Autoren sowohl die Enthüllungen als auch ihre Tätigkeitsbeschreibungen so intensiv miteinander, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann, nachdem man es angefangen hat – obwohl man genau weiß, dass man stundenlang ein flaues Gefühl im Magen haben wird.