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Interviews

“Football Leaks”-Autor Buschmann: “Der Fußball hat längst jede Kontrolle verloren”

Halbseidene Steuertricks & kriminelle Machenschaften: “Football Leaks” enthüllt die Abgründe im Fußball. Das effzeh.com-Interview mit Rafael Buschmann.

Police officers walk behind an artwork featuring a footballer outside the Kazan Arena stadium in Kazan, Russia, on June 17, 2017 on the eve of the Russia 2017 Confederations Cup football match Portugal vs Mexico.
Foto: YURI CORTEZ/AFP/Getty Images

Für uns als Fans stellt sich oft die Frage, ob das System noch tragbar ist. Gibt es noch einen anderen Weg als die Komplettverweigerung?

Das muss jeder für sich entscheiden und ich will mich nicht zu demjenigen aufschwingen, der zum Boykott des Fußballs ausruft. Ich will aufklären, was jeder einzelne mit den Informationen anfängt, ist ihm komplett selbst überlassen.

Cristiano Ronaldo spielt in Spanien, einem Land mit rund 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Und er zwackt diesem Land mehr als 150 Millionen an Werbegeldern ab, die er über Firmen in Irland und auf den British Virgin Islands abführen lässt. Von den 150 Millionen bleiben Spanien auf diese Weise rund sechs Millionen Euro an Steuern. Geht’s noch?

A Real Madrid football team fan shows a jersey with the name of Real Madrid's Portuguese forward Cristiano Ronaldo as he celebrates the team's win on Plaza Cibeles in Madrid on May 22, 2017 after the Spanish league football match Malaga CF vs Real Madrid CF held at La Rosaleda stadium in Malaga on May 21, 2017. Madrid sealed a first La Liga title in five years on May 21, 2017 -- and 33rd in total -- with a 2-0 victory at Malaga to bring a halt to Barcelona's domination of domestic matters having won six of the previous eight titles.

Trotz Steuerprozess und Vergewaltigungsvorwürfen: Cristiano Ronaldo bleibt Publikumsliebling. (Foto: OSCAR DEL POZO/AFP/Getty Images)

Kannst Du normale Spiele im Fernsehen eigentlich noch genießen oder bist du mittlerweile zu verbittert über das Geschäft?

Ich liebe dieses Spiel weiterhin. Und es gibt nur wenige schönere Momente als mit den Kumpels abends im Park zu kicken und danach ein gemeinsames Bier zu trinken. Fußball ist so viel mehr als der Profisport und vielleicht ist das das Ärgerlichste für mich: Diejenigen, die am meisten von diesem großartigen Sport profitieren, die Profis, vergehen sich dermaßen an ihm. Und an den Leuten, die sie groß gemacht haben. Cristiano Ronaldo spielt in Spanien, einem Land mit rund 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Und er zwackt diesem Land mehr als 150 Millionen an Werbegeldern ab, die er über Firmen in Irland und auf den British Virgin Islands abführen lässt. Von den 150 Millionen bleiben Spanien auf diese Weise rund sechs Millionen Euro an Steuern. Geht’s noch? Und klar, diese Gedanken gehen mir schon durch den Kopf, wenn ich das Champions-League-Finale schaue und sehe wie Ronaldo den nächsten Titel gewinnt. Und dafür gefeiert wird. Das ist rein rational gesehen ziemlich schwierig zu kapieren.

>>> “Der Sport ist eine Parallelwelt” – Interview mit “Dirty Games”-Macher Benjamin Best

Ist es frustrierend, wenn einige Zeit nach der Veröffentlichung der Ergebnisse und des Buches schon fast wieder so etwas wie Gleichmut einkehrt, wenn man die Berichterstattung über Fußball verfolgt?

Manches nervt mich tatsächlich. Wenn James Rodriguez von Madrid nach München wechselt und alle großen Tageszeitungen darüber debattieren, ob Ancelotti ihn nun links außen oder als Spielmacher einsetzen wird, frage ich mich schon, ob es nicht auch ein, zwei wichtigere Themen rund um diesen Transfer gibt. Zum Beispiel: Gegen James läuft in Spanien gerade eine Steuerprüfung. Auch er hat seine Werbegelder in Übersee geparkt. Oder: Sein Berater ist Jorge Mendes, der erst vor wenigen Tagen in Madrid vor Gericht aussagen musste und den aktuell mehrere Behörden komplett durchleuchten. Fast jeder seiner Spieler arbeitete mit Offshore-Vehikeln, es wirkt als habe Mendes diese Steuerminimierungssysteme ganz gezielt eingesetzt, um auf diese Weise womöglich auch Spieler zu ködern. Das ist ja recht einfach und spricht sich unter den Spielern schnell rum: Hey, da ist ein Berater, der verwandelt dir dein Brutto- nahezu in ein Nettogehalt. Und mit diesem Berater machen die Bayern nun Geschäfte, ohne das eine einzige Zeitung das großflächiger hinterfragen oder kritisieren würde.

Foto: Lennart Preiss/Bongarts/Getty Images

Gleiches gilt für den ganzen Transfergossip, der täglich durch die Zeitungen und das Internet wabert. Das kann ich ehrlicherweise kaum noch ertragen. Nehmen wir nur diese Modeste-Kiste: Wieso schafft es der Sportjournalismus nicht, sich Quellen aufzubauen, die einem Dokumente zu diesem Transfer zeigen? Das klappt doch in der Wirtschafts- und Politikberichterstattung auch. Im Sport wird hingegen mit irgendwelchen von PR-Beratern formulierten Interviews gearbeitet, die dann über den Boulevard gespielt werden und Gegenreaktionen provozieren sollen. Der Leser ist danach keinen Deut schlauer, außer, dass er denkt, dass die alle doch einen an der Schleuder haben müssen.

Wieso schafft es der Sportjournalismus nicht, sich Quellen aufzubauen, die einem Dokumente zu diesem Transfer zeigen? Das klappt doch in der Wirtschafts- und Politikberichterstattung auch. Im Sport wird hingegen mit irgendwelchen von PR-Beratern formulierten Interviews gearbeitet, die dann über den Boulevard gespielt werden und Gegenreaktionen provozieren sollen. Der Leser ist danach keinen Deut schlauer, außer, dass er denkt, dass die alle doch einen an der Schleuder haben müssen.

Wie wichtig ist solch investigativer Sportjournalismus heutzutage? Leider wirkt es oft so, als gerate er aufgrund der bild- und schlagzeilenorientierten Medienlandschaft eher in den Hintergrund.

Ich glaube, wir sind in der Medienwelt in einer Übergangszeit. Die Vereine und Verbände sind mittlerweile so groß, dass sie Medien eigentlich nicht mehr brauchen. Ein Interview mit Spieler xy? Das kann der Verein auch per Facebook, Youtube oder auf seinen eigenen TV-Bezahlangeboten streamen. Dort hat er mehr Kontrolle über die Inhalte und im Zweifel sogar eine größere Verbreitungsfläche. Sportmedien werden sich im Zuge dieser Entwicklung entscheiden müssen: Machen sie sich noch mehr zum Büttel der Vereine und senden/schreiben diesen PR-Interviews hinterher oder wählen sie einen anderen Weg und verstärken in Zukunft ihre Rechercheteams? Die öffentlich-rechtlichen Sender haben nach den Verlusten der Champions League-Rechte bereits angekündigt, dass sie sich demnächst stärker mit sportpolitischen und -medizinischen Themen beschäftigen wollen. Das finde ich sehr begrüßenswert. Denn eines muss man auch sagen: Die Entkoppelung des Profifußballs von der Gesellschaft hat auch etwas mit der Aufgabe der Kontrollfunktion der Medien gegenüber diesem Sport zu tun.

Ich habe in den vergangenen Monaten Dinge rund um John erlebt, die ich mir so zuvor niemals ausmalen konnte. Wenn Elitesoldaten nach ihm suchen, Personen, die der Mafia nahe stehen, ihm Drohungen zukommen lassen, dann ist das alles extrem ernst zu nehmen.

John hat angekündigt, die Homepage “Football Leaks” vorerst ruhen zu lassen. Wie stellst du dir die Zukunft der Plattform vor? Wird John irgendwann ein frei lebender Mann sein können?

Dazu wage ich keine Prognose, weil ich in den vergangenen Monaten Dinge rund um John erlebt habe, die ich mir so zuvor niemals ausmalen konnte. Wenn Elitesoldaten nach ihm suchen, Personen, die der Mafia nahe stehen, ihm Drohungen zukommen lassen, dann ist das alles extrem ernst zu nehmen. Und es macht es unmöglich, auch nur annähernd zu beschreiben, wie seine Zukunft aussehen könnte.

Barcelona's football star Lionel Messi (L) leaves the courthouse on June 2, 2016 in Barcelona. The 28-year-old football star was cheered and jeered as he emerged from a van accompanied by his father Jorge Horacio Messi. The two are accused of using a chain of fake companies in Belize and Uruguay to avoid paying taxes on 4.16 million euros ($4.6 million) of Messi's income earned through the sale of his image rights from 2007-09.

Foto: LLUIS GENE/AFP/Getty Images

Ihr arbeitet mittlerweile an einem zweiten Buch zu den Daten. Ein weiterer Abgrund, der sich dort auftut, oder nur die Bestätigung einer moralisch verkommenen Branche?

Aktuell gibt es noch keine konkreten Pläne für ein zweites Buch. Wir haben neues Material von Football Leaks (und auch von anderen Quellen, die von sich aus auf uns zugekommen sind) erhalten, das wir gegenwärtig prüfen. Das ist mühselig und wir haben damit alle Hände voll zu tun. Wenn wir diesen Prozess abgeschlossen haben, werden wir aufgrund der Qualität des Materials entscheiden, wie wir es der Öffentlichkeit präsentieren wollen. Aber ich freue mich sehr, dass von vielen Lesern die Nachfrage kommt, ob und wann wir ein zweites Buch planen. Das zeigt uns auch, dass das Erste brauchbar war.

Das Interview führten Christopher Kohl und Arne Steinberg.

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