Für das Gros der Fußball-Fans ist das alles kein Thema. Während ihr ein Agreement Ronaldos über eine angebliche Vergewaltigung ausgrabt, wird der Portugiese nach dem Champions-League-Titel nur gefeiert. Zermürbt einen das?
So deutlich würde ich nicht sagen, dass diese Themen den normalen Fußballfan nicht interessieren. Wir stellen immer mehr fest, dass Fußballfans – vor allem in den sozialen Netzwerken – immer kritischer mit dem Fußball-Business umgehen und dabei auch häufig auf die Enthüllungen in unserem Buch bzw. aus unserer Football-Leaks-Serie verweisen. Beispielweise hat zuletzt RB Leipzig den Spieler Bruma verpflichtet. Wir hatten im Dezember über seine total chaotische Beratersituation berichtet. Das haben nun sehr viele Fans aufgegriffen und diesen Transfer hinterfragt.
Gleiches gilt, wenn der Spielerberater Mino Raiola auf einmal zu Verhandlungen in Dortmund auftaucht. Wir haben zuletzt in unserem Buch beschrieben, wie Raiola alleine am Pogba-Transfer 49 Millionen Euro verdiente. Das führt dazu, dass viele Fans nun sehr skeptisch sind, wenn er bei ihrem Klub gesehen wird. Aber klar, die Ronaldo-Geschichte rund um die Vergewaltigungsvorwürfe war eher enttäuschend für uns. Wir haben sicherlich eher damit gerechnet, dass andere Reporter diesem Thema nachgehen, Ronaldo Fragen dazu stellen, selbst recherchieren. Das alles ist ausgeblieben. Wir können uns das nicht wirklich erklären, zumal wir der Ronaldo-Seite nachweisen konnten, dass sie in ihren Statements schlicht und ergreifend gelogen hat und mit Absicht die Öffentlichkeit in die Irre führen wollte. Aber wie oben beschrieben: Wir können nur aufklären, was die Öffentlichkeit daraus macht, können wir nicht beeinflussen.
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Welche Reaktionen gab es überhaupt auf „Football Leaks“ aus dem Fußball-Business selber? Wurde auch Druck auf euch ausgeübt, die Finger von diesem heißen Eisen zu lassen?
Meine schönste Anekdote geht aus einem Sitzungsprotokoll der European Club Association (ECA) hervor. Dort beschwert sich Karl-Heinz Rummenigge darüber, dass durch die Football Leaks ein „Schaden für die Atmosphäre in der Umkleidekabine“ hervorgehen würde. Seine größte Sorge war also, dass die Spieler herausfinden, wer wie viel Gehalt beziehungsweise Prämien bekommt und dadurch eine Form von Missgunst entsteht. Die Anekdote ist ein bisschen symptomatisch für die ganze Branche. Mir hat ein Funktionär – natürlich hinter vorgehaltener Hand – über unsere Enthüllungen gesagt: ‚Sie werden niemanden finden, der das, was sie da schreiben, öffentlich anprangern wird. Dafür leben alle zu gut von dieser Fußballbranche.’ Und tatsächlich: Es gab keinen Aktiven, keinen Funktionär, der wirklich mal seine Stimme erhoben hätte und gesagt hätte: ‚Was machen wir hier eigentlich? Wie kann es sein, dass Multimillionäre auch noch die Steuern prellen? Und wieso dürfen Berater höhere Provisionen einstreichen als ganze Klubs an Jahresgewinnen erzielen?’ Diese Empörung oder reinigende Debattenkultur ist mir aus der Fußballbranche nicht bekannt.
Der Fußball propagiert zwar ständig, dass er sich selbst kontrollieren und mäßigen kann, ich glaube aber, dass er längst jede Kontrolle verloren hat und dringend Hilfe von außen benötigt. Dieser Sport ist ein Multimilliardenbusiness, das viele Geld zieht die Kriminellen extrem an.
Siehst du irgendwelche Entwicklung, die den bei Euch geschilderten Geschäftsgebaren Einhalt gebieten sollen? Kann der Fußball das allein überhaupt leisten?
Der Fußball propagiert zwar ständig, dass er sich selbst kontrollieren und mäßigen kann, ich glaube aber, dass er längst jede Kontrolle verloren hat und dringend Hilfe von außen benötigt. Politik, Steuerbehörden, Polizei und Staatsanwaltschaften sind gefordert, diese Branche deutlich stärker zu beleuchten als bisher. Ich glaube auch, dass dies in den kommenden Jahren auch immer stärker geschehen wird. Durch die Ermittlungen des FBI, der Schweizer Bundesanwaltschaft und der Frankfurter Staatsanwaltschaft rund um die Fifa und den DFB werden sehr viele Einblicke in diese korruptionsdurchsetzte Branche geliefert, die Ermittlungen im Zuge unserer Football Leaks werden zudem viele weitere Optionen eröffnen, um den finanziellen Unregelmäßigkeiten in diesem Milieu nachzuspüren.
Aber klar, wie in jeder kriminellen Branche, werden die Gauner unter den Beratern und die windigen Investoren auch wieder neue Wege finden, um Geld aus dem Fußball abzusaugen. Dieser Sport ist ein Multimilliardenbusiness, natürlich zieht das viele Geld die Kriminellen extrem an. John, unser Whistleblower, wünscht sich, dass sich der weltweite Fußball auf ein sogenanntes „Clearing House“ einigt. Eine unabhängige Stelle, die jeden Euro, der rund um einen Transfer fließt, in einer transparenten Datenbank erfasst. So könnte man beispielsweise eindämmen, dass Berater mit vier, fünf unterschiedlichen Firmen an ein und demselben Transfer partizipieren. Ein solches „Clearing House“ wäre eine wunderbare Möglichkeit, um zumindest die schlimmsten Ausuferungen ein wenig einzudämmen. Nur glaube ich persönlich kein bisschen daran, dass irgendwer aus dem Fußballgeschäft eine solche Transparenz wirklich will.
Gibt es besondere Merkmale des deutschen Fußballs – im positiven wie im negativen Sinne?
Nein. Der deutsche Fußball unterscheidet sich nicht wirklich von den anderen großen Ligen. Lediglich was den Umgang mit Werberechten angeht, ist man in Deutschland vorsichtiger geworden. Dies hat aber nichts mit einer ausgeprägteren Moral zu tun, sondern mit dem Bundesliga-Steuerskandal, den es vor mehr als zehn Jahren gab. Ich erinnere da gerne an den Fall Youri Djourkaeff vom 1. FC Kaiserslautern. Die deutschen Finanzämter haben damals entschieden, dass diese Werberechtedeals großteils als verdeckte Gehaltszahlungen zu ahnden sind. Seitdem achten die Vereine darauf, dass sie nicht mehr in diese Falle tappen. Aber was Investorenmodelle (trotz 50+1), den (un-)moralischen Umgang mit Spielerberatern, Steuerminimierungstaktiken etc. angeht, ist die Bundesliga mit jeder anderen Liga vergleichbar.
Man kann diese Praktiken auf einen recht simplen Satz herunterbrechen: Hilft ein Spieler einer Mannschaft sportlich weiter, verlieren die Klubs nahezu alle juristischen oder moralischen Hemmungen und machen alles möglich, um den Spieler zu kaufen.
Der 1. FC Köln kommt im Datenmaterial auch vor, das Vertragskonstrukt zum Spieler Pedro Geromel und Gestifute ist rund ums Geißbockheim legendär. Kein Sonderfall vermutlich, oder?
Nein. Wir haben solche oder ähnliche Konstrukte auch in Berlin, Hamburg, Hoffenheim, Frankfurt und einigen anderen Klubs gefunden. Man kann diese Praktiken auf einen recht simplen Satz herunterbrechen: Hilft ein Spieler einer Mannschaft sportlich weiter, verlieren die Klubs nahezu alle juristischen oder moralischen Hemmungen und machen alles möglich, um den Spieler zu kaufen.
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