Urlaub in der Militärdiktatur: Einmal Borissow und zurück
Google auf, Borisov rein. Ah, Weißrussland also. Rucksack gepackt, Reisepass gezückt und ab dafür. Mit Belavia Airlines trat unsere Reisegruppe den Weg nach Minsk an, wo das Spiel gegen BATE ausgetragen wurde. Der Flieger, der mittags am Spieltag in Brüssel startete, war voller bekannter Gesichter. Dennoch lief unsere Abreise sehr gesittet ab. Unterbrochen wurde die gute Laune nur von einem kurzzeitigen Ausfall meinerseits, denn ich vergaß meinen für die Einreise in die Militärdiktatur nötigen Reisepass an Bord des Fliegers. War beim Einstieg wohl etwas übermütig. Doch glücklicherweise dachte das Flugpersonal für mich mit und so konnte auch ich mich in die lange Schlange der Grenzkontrollen einreihen. Weißrussland ist wirklich beeindruckend und irgendwie auch eine geile Tour. Die eine Ecke grau und trostlos, die nächste blendet mit reichlich Blingbling. Dazu ist Thomas Reinscheids Reisebericht sehr zu empfehlen.
Auch an diesem Abend trotzte der Kölner Anhang der Kälte, dem Kölner Spiel und allen sonstigen Widrigkeiten und war anwesend. Laut und bunt. Für die mitgereisten Fans gab es einen Retroschal und Retrofahne, für die Mannschaft nach einer abermals beängstigenden Leistung ein verdientes 0:1 und somit null Punkte in der weißrussischen Prärie, knapp 1800 Kilometer vom Dom entfernt.
Heiß wie die Hölle: Fackeln von Belgrad
Showdown in Belgrad. Nach dem Heimsieg gegen Arsenal und dem Remis zwischen den anderen beiden Kontrahenten in unserer Gruppe, war am letzten Gruppenspieltag in Belgrad sogar noch ein Weiterkommen aus eigener Kraft für den 1. FC Köln möglich. Doch vorher stützen die Verantwortlichen den Verein noch schnell ins Chaos: Jörg Schmadtke warf die Brocken hin und verschwand, Trainer Peter Stöger wurde nach einem respektablen Remis auf Schalke in der Liga nach viereinhalb Jahren gefeuert. Nach Belgrad begleitete der aktuelle Chef-Coach und damalige Interims-Trainer Stefan Ruthenbeck die Mannschaft, die zu diesem Zeitpunkt aus elf (!) einsatzfähigen Feldspielern bestand. Chapeau.
Dass uns in Serbien in jeglicher Hinsicht ein heißes Tänzchen erwarten würde, hätte vorher wohl jeder geneigte Fußballfan unterschrieben. Auch darum schlossen wir uns der Reisegruppe der Südstadtboyz an, die den ersten Fan-Flieger in der Geschichte unseres Vereins auf die Beine stellten. Was soll ich sagen: Ich bin sehr stolz darauf, Teil dieser wunderbaren Tour gewesen zu sein, denn sie war mein persönliches Glanzlicht dieser Europapokal-Reisen.
Was die Organisatoren Sascha und Daniel da für knapp 300 Mitreisende auf die Beine stellten – ehrenamtlich und ganz nebenbei – war wirklich beeindruckend und verdient den vollsten Respekt. Vor so viel Engagement ziehe ich wirklich meinen Hut! Nicht nur flogen wir mit einer Chartermaschine am Spieltag gemütlich um 8 Uhr morgens von Köln/Bonn nach Belgrad, sie kümmerten sich um Bustransfer und so kehrten wir auf einem Bootshaus ein und feierten eine wirklich geile Party, bis wir wieder in die Busse stiegen, die uns zum Stadion brachten.
Auf das, was sich im serbischen Marakana – wahrlich ein Hexenkessel – im Gästeblock abspielte, möchte ich gar nicht eingehen. Doch man kann getrost sagen, dass das Spiel an diesem Abend in vielerlei Hinsicht bestenfalls nur ein Nebenschauplatz war. Es konnte sich wohl kaum den Stempel „sehenswert“ verdienen. Angetreten mit einer absoluten Rumpftruppe verlor der ruhmreiche 1. FC Köln das „Endspiel“ in Belgrad gefühlt kampflos. Ein anderer Kampf spielte sich auf den Rängen ab, aber auch dieser ging klar an den Belgrader Anhang, die es einfach besser verstanden, das gesamte Stadion – also knapp 50.000 Leute – anzustecken und mitzuziehen, die dann ihr Team nach vorne peitschten.
Nach einer 90-minütigen Blocksperre und genügend Zeit, die ausgelassen feiernden gegnerischen Fans zu beobachten, ging es schließlich wieder in Richtung Heimat. Um sechs Uhr am darauffolgenden Morgen stieg ich bereits am Bahnhof Deutz aus der S-Bahn. Der Europa-Traum ist zwar ausgeträumt, doch traurig stimmt mich das nicht wirklich. Denn wir haben ein paar tolle Partien erlebt und Reisen gemacht, die in die Geschichtsbücher eingehen werden und von denen wir unseren Kindern und unseren Kindeskindern erzählen werden.
Und jetzt?
Zurück zu dir, 2017. An deinem Ende stehen wir gefühlt vor einem Scherbenhaufen: Abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz, auf Schalke das erwartete Ausscheiden aus dem DFB-Pokal. Noch immer ist das Krankenlager am Geißbockheim übertrieben groß, doch zumindest gibt es Hoffnung, dass Langzeitverletzte wie Marcel Risse und Jonas Hector bald wieder fit sein könnten. Die Europa-Euphorie ist schon lange verflogen, trister Liga-Alltag ist eingekehrt.
Aber ganz ehrlich, zum Jahreswechsel empfinde ich dir gegenüber keinen Gram. Du kannst ja nichts dafür, dass wir eben der 1. FC Köln sind, liebes 2017. Und so schließe ich meinen Rückblick mit typisch kölschen, wenn auch hohlen Phrasen – denn auchuch für das kommende Jahr gilt: Es kütt, wie et kütt. Und wenn es am Ende Sandhausen, Aue und Dresden statt Belgrad, London und Borissow heißt, dann ist das eben so. Et jeiht immer wigger!
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