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Ehrentribüne

Eine Büttenrede im Krankenhaus-Foyer

Der effzeh ein Karnevalsverein? Heutzutage lebt der Klub dies freiwillig-selbstironisch, vor zehn Jahren war es eher unfreiwillig-komisch. Bühne frei für einen unvergessenen Auftritt.

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Dreimol Kölle Alaaf! Während die griesgrämige Republik wieder einmal kopfschüttelnd Richtung Köln blickt, lässt es sich die Domstadt einfach gut gehen. Et Trömmelche jeiht, der Dom bliev en Kölle un mer han en superjeile Zick. Da will natürlich auch der 1. FC Köln nicht hintanstehen und feiert seinen eigenen Sessionsauftakt beim Training: Alles ganz im Champions-League-Stil. Mit Henkelpott, Hymne und dem obligatorischen Mannschaftsbild in Verkleidung. Marco Höger als Superman, Konstantin Rausch als Marco Höger und als Krönung Anthony Modeste als “Angry Bird” Chilischote. Der effzeh, dieser Tage ein echter Karnevalsverein. Ganz freiwillig. Vor zehn Jahren stand der Verein ähnlich da – aber auf unfreiwillig komische Art. Schuld daran: Eine Büttenrede im Krankenhaus-Foyer. Am 11.11.2006.

https://twitter.com/fckoeln/status/797015855863308288

Es ist herbstlich kühl in Köln. Der einst so glorreiche 1. Fußballclub befindet sich nach dem vierten Abstieg in der zweiten Liga wieder, seit sechs Spielen ist er sieglos. Hanspeter Latour, “Bergdoktor” genannt, spielte seit Jahresanfang den Insolvenzverwalter an der Seitenlinie und versuchte verzweifelt, aus einer Anhäufung an schlecht zusammengestelltem Personal eine konkurrenzfähige Fußballmannschaft zu machen. Die Leistungsträger, wenn man sie denn so nennen will, heißen Stefan Wessels, Adil Chihi und Fabrice Ehret, in der Defensive halten Alpay und Aleksandar Mitreski den Laden zusammen. Nach einer Niederlage gegen Erzgebirge Aue (Weltstürmer Andrzej Juskowiak erzielte das einzige Tor) sehen sich die sportlichen Verantwortungsträger in der Domstadt in der Pflicht, den unglücklichen Schweizer als Trainer zu beurlauben.

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Mit Daum zurück an die Spitze

Mit dem Ziel, den vor sich hin siechenden effzeh wieder zu altem Glanz und Gloria zurückzuführen, fasst Michi Meier den Entschluss, eine große Figur aus der effzeh-Vereinsgeschichte zu kontaktieren, um die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten. Es handelt sich dabei um niemand Geringeren als Christoph Daum, der zwischen 1986 und 1990 (also zu Zeiten, als der Autor leider noch nicht auf der Welt war) durchaus erfolgreich in Köln wirkte. Dass die steile Karriere des Christoph D. dann aufgrund einer Lappalie vorerst unterbrochen werden sollte, war damals nicht abzusehen. Doch Daums Wirken unter dem Bayer-Kreuz schien wohl derartig belastend zu sein, dass er keinen anderen Ausweg als den Konsum bewusstseinserweiternder Substanzen sah. Menschenfreund und Steuergott Uli Hoeneß hatte dann die Muße, Daums Probleme öffentlich zu machen und damit die fast sichere Stelle als Nationaltrainer Rumäniens Deutschlands zunichtezumachen. Na toll! Mit Christoph Daum an der Spitze hätte der deutsche Fußball wahrscheinlich schon früher zu alten Erfolgen zurückgefunden, so musste allerdings auf eine großartige Spielergeneration und Oli Bierhoff gewartet werden.

Foto: Vladimir Rys/Bongarts/Getty Images

Foto: Vladimir Rys/Bongarts/Getty Images

Wie dem auch sei, Daums Welt-Karriere setzte sich in Istanbul und Wien fort, wo sich der gebürtige Zwickauer mit diversen Meisterehren schmücken durfte. 2006 musste er allerdings aus gesundheitlichen Gründen sein Amt bei Fenerbahce niederlegen. Im übertragenen Sinne hatte auch seine alte Liebe, der 1. FC Köln in diesem Jahr gesundheitliche Probleme, sodass sich Michael Meier überlegte, beide Patienten zusammenzuführen, damit sie aneinander wieder gesunden konnten. Als Latour beurlaubt wurde, befand sich Christoph Daum im Krankenbett, an dem ihm Meier auch einen Besuch abstattete und ihm darlegte, der „Wunschkandidat“ für die Aufgabe beim effzeh zu sein. Den salbungsvollen Worten folgt ebenso ein konkretes Vertragsangebot, welches Daum, auch aufgrund seiner körperlichen Konstitution, jedoch ablehnen musste. Anstatt trocken den Weg über eine förmliche Mitteilung zu wählen, machte Daum Anleihen bei den ganz Großen aus Hollywood und inszenierte eine bis heute legendäre Pressekonferenz in einem katholischen Krankenhaus im Kölner Stadtteil Hohenlind.

Spannung im Krankenhaus

Dort, wo sich sonst gut betuchte Kölner Rentner von einer Hüftoperation erholen, stand für diesen Vormittag im November die Zeit still. Köln hatte an diesem Tag zwei Epizentren, eins am Heumarkt, eins im Foyer des Krankenhauses. Der Spiegel zeichnete die Szenerie in einem Artikel nach, aus dem in jeder Zeile die Fassungslosigkeit des Autors zu erkennen war. Der damals 53-Jährige Fußballlehrer Christoph Daum „betritt durch einem Fahrstuhl die Ebene der Irdischen. Er ist pünktlich, die Uhr zeigt Zehn. Eine Hand kontrolliert die perfekt sitzende Krawatte, dann geht er festen Blickes und mit ernsten Gesichtszügen ein paar Schritte zu einem vorbereiteten Tisch und setzt sich, begleitet von einem lächelnden älteren Herren in einem weißen Kittel.“ Bereits diese einleitenden Worte zeigen, dass die anwesenden Journalisten wohl das dachten oder taten, was man heute als fail oder facepalm bezeichnet. Im Foyer des ansonsten beschaulichen Krankenhauses knistert die Luft, die Spannung ist förmlich in Scheiben zu schneiden. Was wird Daum sagen? Nimmt er das Angebot des Vereins an? Kommt es zu einer emotionalen Umarmung zwischen ihm und Meier? Hat Daum zwischenzeitlich ein Mittel gegen Krebs entwickelt?

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Der Spiegel zählt eine Hundertschaft Journalisten und fast 20 TV-Kameras. In Zeiten, als Facebook, Twitter und Periscope noch wilde Ideenkonstrukte waren, war das also durchaus viel. Die Patienten des Krankenhauses freuen sich jedoch über diese Form der Abwechslung des ansonsten so eintönigen Krankenhaus-Alltags. Viele erhofften sich vielleicht auch eine kurze Audienz bei Daum, um den Heilungsprozess zu beschleunigen oder die Krankheit, wenn er denn schon mal da ist, gleich gänzlich zu heilen. Im Spiegel heißt es, Daum sehe „angeschlagen“ aus. Dennoch schien er die Szenerie jedoch zu genießen: „Dass er wie kein anderer mit den Medien spielt, dokumentiert jede einzelne seiner Bewegungen. Er schaut nach vorn, dann dreht er sich nach links, dann in aller Seelenruhe nach rechts, jeweils prasselt ein Blitzlichtgewitter auf ihn nieder, bis jeder Fotograf sein Bild hat.“

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Und dann ist der Moment gekommen, Daum öffnet seinen Mund und die Jünger zu seinen Füßen warten auf seine Worte. „Es war eine sehr bedrohliche Situation“ sagt der Patient über seinen Zustand, ohne dabei auch nur im Geringsten auf den Grund für die Pressekonferenz einzugehen. Im Anschluss übergibt er das Wort an Jochen Wustrow, seinen Arzt, der seine 15 Minuten Ruhm nun auch genießen darf. Fachmännisch liest er die Beschwerden seines berühmten Patienten ab und konstatiert, dass Daum an entzündeten Mandeln gelitten hatte. Tiefes Aufatmen im Foyer, viele hatten mit dem schlimmsten gerechnet, selbst von einer Hautkrebserkrankung war laut Bild-Zeitung die Rede. So aber musste sich der umworbene Trainer zwei bis drei Wochen erholen, der Messias verordnete sich selbst das nötige Maß an Schonung.

Der “Wunschkandidat” mit dem Meinungswandel

Daum, ganz Medienmensch, fragte anschließend keck in die Runde, ob denn auch noch andere Fragen bestünden. Wie clever! Der Spiegel beschreibt natürlich auch den zweiten Teil der Presskonferenz: „Das ganze Foyer schmunzelt. Und dann erzählt er, jeden Satz auskostend, von der Anfrage des Kölner Managers Michael Meier. “Du bist unser Wunschkandidat”, habe Meier ihm am Krankenbett übermittelt. Nur wenige Stunden, nachdem der FC Trainer Hanspeter Latour nach sechs sieglosen Spielen beurlaubt hatte. Daums Antwort: Er wolle demnächst bei einem Club mit “internationalen Perspektiven” arbeiten, in der Champions League. Aber das, und das ist die Antwort, “ist beim 1. FC Köln nicht der Fall”. Außerdem sei er “im Moment nicht arbeitsfähig”. Er benutzt das Wort Absage nicht, aber natürlich ist es eine.“ Ohje, das schmerzte.

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Daum zeigt sich aber auch als Leidender, da diese Sache für ihn keineswegs einfach gewesen sei. Schließlich sei beim 1. FC Köln alles anders, die Leute hingen an diesem Club, in dem er groß geworden sei. Seine Ausführungen enden mit dem Donnerschlag, dass der Verein bald wieder „in die Spitzenposition“ zurückmüsse, die er innehatte, als Daum 1990 entlassen wurde. Die Tage nach dieser legendären Pressekonferenz, die sich so niemand hätte ausdenken können, nutzte Daum zum Nachdenken. Das Ende vom Lied war, dass er dem 1. FC Köln, seiner Herzensangelegenheit, diese Bitte doch nicht abschlagen könne. Ein fürstliches Gehalt mag dabei geholfen haben.

Und ja, damals fanden wir das alle ziemlich geil. Ganz Köln war elektrisiert von der Vorstellung, unter Daum zu alter Größe zurückzufinden. Es gab Petitionen, Daum wurden beim ersten Training Kinder zum Salben gereicht. Es folgten legendäre Verpflichtungen wie die beiden Brasilianer André und Tiago, das Hanuta-Gate und der Aufstieg 2008, bevor Daum im Juni 2009 von seiner Ausstiegsklausel Gebrauch machte und den effzeh verließ. Die Pressekonferenz am 11.11.2006 ist jedoch unvergessen. Zehn Jahre später ist der effzeh ein echter Karnevalsverein – ganz ohne Büttenreden in Krankenhaus-Foyers.

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