Eine Nacht geschlafen und noch immer ganz durch den Wind. Chaos auf dem Rasen, rasendes Tempo auf dem Grün und am Ende der schon obligatorische Auswärtssieg. Das Herz schlägt noch immer schnell, das Blut pumpt unaufhörlich. Die Champions-League-Qualifikation vor Augen. Die hässliche rheinische Konkurrenz weit hinter sich. Wir. Hasten. Zum. Nachbericht.
“Boah Scheiße, spielt der VfB gut.”
Nach nicht einmal einer Viertelstunde einschließlich der lächerlich geringen Anzahl von drei Aluminiumtreffern in dieser Spanne, packte den Redaktionskollegen, der nur unter dem Pseudonym “Pansegrau” auftritt, die Angst. Ungeachtet des ganzen Seriengeredes von wegen seit 19 Jahren in Stuttgart unbesiegt und letztes Jahr auch easy in Cannstatt gewonnen und so, war es doch tatsächlich so, dass die Schwaben mit dem feinen Brustring ganz schön feinen Fußball boten. So wollte man gar nicht verneinen, was der Kollege in das Wallhalla der besten Fan-Redaktion aller Zeiten, in unsere Facebook-Gruppe, postete. Oh ja, dieser VfB spielte ganz schön stark!
Das sollte sich auch die restlichen dreißig Minuten der ersten Hälfte nicht ändern. Zwar ging es mit dem in der schönsten Stadt der Welt so wohlbekannten torlosen Unentschieden in die Pause, aber doch war alles anders als noch in der letzten Spielzeit. Was man da in der ersten Dreiviertelstunde geboten bekam, das hatte relativ wenig mit dem nüchtern defensiven Stabilitätspakt der vorherigen Saison zu tun. Fast ungläubig durfte man ein rasantes, ein schnelles, ein höchst attraktives Fußballspiel begutachten, bei dem die neue Hochglanz-Offensive des fantastischsten Vereins der Welt allerdings zunächst kaum in Erscheinung trat.
Okay, erst einmal ganz ruhig: Jetzt gehen wir hier ja schon das hohe Tempo der Partie mit und sind nach drei Zeilen bereits in der Halbzeit. Erinnert ja fast an die Berichte des ZDF-Sportstudios, die zumeist mit dem Siegtor einsteigen, dann ein Interview zeigen und erst dann anfangen das Spiel nachzuerzählen. Chaos und Revolution und so. Damit ist nun erst einmal Schluss. Wenn das der effzeh schon nicht macht, dann besinnen zumindest wir uns auf die grazile Stabilität und wundervoll massive Struktur vergangener Spielzeiten. Also alles kompakt von Beginn an. Ganz ruhig und sachlich. Nur eines noch vorweg: Was war das bitte für ein geiler Scheißauswärtssieg???
Kein Kaffee- und Kuchenspiel
Noch bevor einer der unglaublichen Spieler des Geißbockklubs einen Fuß auf den Rasen der Mercedes-Benz-Arena gesetzt hatte, war völlig klar, dass an diesem letzten Spiel des ersten Spieltags ein ganz anderes Auswärtsspiel auf den effzeh wartete als vor einer Woche im beschaulichen Meppen. Statt Kaffee und Kuchen waren Energydrinks und Power-Riegel angesagt. Statt Alawie und Born (so hießen diese Stürmer von Meppen) warteten nun Ginczek, Kostic, Harnik oder Didavi auf die kölsche Mauer, die aber gerade im Zentrum eben nicht mehr aus den Pfeilern Wimmer und Maroh, sondern aus Dominique Heintz und Frederick Sörensen bestand. Hörte sich nach Härtetest an, sollte auch ein Härtetest werden.
Peter Stöger hatte gegenüber dem högschd souveränen Erstrundenauftritt im DFB-Pokal lediglich auf einer Position umgestellt: Yannick Gerhardt stand für Yuya Osako im Team und sollte an der Seite von Milos Jojic noch etwas mehr Ballsicherheit, etwas mehr Übersicht und etwas mehr Zweikampfstärke aufs Feld bringen. Und so sollte auch für den 1. FC Köln die Ungewissheit vor solch einem Bundesligastart am 16. August um 17:30 Uhr verflogen sein. Anstoß durch Wolfgang Stark.
Der Spielverlauf der ersten Halbzeit: Anstoß. Hin. Her. Tempo. Tempo. 88 Sekunden: Lehmann knüppelt an den Innenpfosten. Pech. Scheiße. Weiter. Hetze. Hektik. Hin. Her. Vor allem her. Stuttgart macht Druck. Druck. Druck. Didavi verpasst Tor des Monats um Millimeter. Latte. Weiter Druck. Tempo. Keine Kontrolle beim effzeh. Keine Kontrolle. Nur Geschwindigkeit. Kostic (scheiße, ist der gut!) auf Gentner. Gentner aufs Tor. Fast Tor. Wieder Pfosten. Es regnet. Köln schwimmt. Schnelles Schwimmen. Pansegrau postet. Keine Zeit zur Antwort. Schon der nächste Angriff. Kopfball Hlousek. Weltklasseparade Horn. Hastig auf. Nächste Ecke VfB. Gefühlt Nummer 100. Weiter Gefahr. Kurze Kölner Konter. Immer wieder kurze Konter. Risse flankt ungenau, Bittencourt schießt ungenau. Kein Wunder. Bei dem Tempo. Halbzeit. Was? Schon vorbei?
Fußball á la Kärcher
Selten nahm man in einer Halbzeit auch als Zuschauer so tiefe und lange Atemzüge. Wackelte der effzeh da etwa bedenklich? Irgendwie schon. Aber er schien nicht schlecht zu sein. Vielmehr schien es so, als seien die Schwaben verdammt stark. Das war nicht die Mannschaft, die sich vor ein paar Monaten noch in höchster Not in Müngersdorf ein 0:0 errang. Und irgendwie hätte es schon längst 2:2 stehen könne. Oder 4:0 für Stuttgart. Oder 2:0 für den effzeh. Nur die Chancenauswertung: Unschön.
Die Halbzeitpause dauerte dreimal länger an als der erste Durchgang und als Kevin Vogt anstelle von Yannick Gerhardt aus der Kabine kam, mochte man fast aufatmen, stand dieser 195 Zentimeter lange Kerl doch für die wundervoll ruhige Stabilität der letzten Spielzeit. Für die anregende Langeweile, den nun bald bunt erscheinenden Beton. Stattdessen ging er aber weiter, dieser Fußball á la Kärcher.
Harnik. Horn. Herzinfarkt
Zweite Halbzeit. Keine Minute. Riesenchance Ginczek. Stuttgart unerbittlich. Nur noch her. Harnik. Immer wieder Harnik. Versuch. Gescheitert. Versuch. Gescheitert. Horn. Immer wieder Horn. Im Fokus. Im Mittelpunkt. Endstation der Geschwindigkeit. Wenn nicht Horn, dann Hector. Zweimal. Auf der Linie. Auch nach Fehler Horn, scheitert Harnik. So viel Druck. So viel Druck vom VFB. Implodiert der effzeh? Er explodiert! Zuckerpass Bittencourt. Modeste mit Tempo zu Tyton. Tyton rauscht heran. Tyton foult. Tyton wie eine Eisenbahnschiene. Elfmeter. Tony. Tooor! Schnuller-Alarm. Oase der Glückseligkeit.
Kurze Ruhepau… TOR! Was? Unfassbar! Zuckerpass Vogt. Zoller. Kalt. Eiskalt. Langes Eck. 2:0. Auf dem Kopf. Auf dem Kopf der Spielverlauf. Pure Ekstase. Dann die kurze Ruhepau… ELFMETER! Zoller. Gerade noch in Torschützeneuphorie. Stolpert. Stürzt. In die Hacken von Kostic (scheiße, ist der gut!). Klare Sache. Didavi. Drin. 10 Minuten der Angst. Angebrochen. Es regnet. Der effzeh schwimmt. Leichter. Weniger. Harnik. Horn. Harnik. Horn. Letzte Körner: Alle aufgebraucht. VfB: Ecke. Ecke. Ecke. Ecke. Ecke. Dann: Hlousek ohne Korn. Modeste Maschine. Klaut den Ball. Rennt. Rennt. Rennt. Pass zu Osako. Deckel drauf. Klappe zu, Stuttgart tot. Endhaltestelle. Irre.
Erst als in der Mercedes-Benz-Arena die Lichter ausgelöscht werden, kehrt ein wenig Ruhe ein. Platz vier nach einem Sieg im Stile eines Spitzenteams. Der effzeh, endlich da, wo er hingehört. Oder so ähnlich. Es war alles anders als gewohnt. Herzinfarktfußball und der Erste Fußballclub als glücklicher, weil högschd effektiver Sieger. Stuttgart hadert wohl noch immer. Mit der Serie. Mit dem Pech. Mit dem eigenen Unvermögen. Mit Martin Harnik. Der Österreicher, der dem wundervollsten Verein der Welt vor acht Jahren das letzte blamable Erstrundenaus im DFB-Pokal bescherte, verzweifelt in Stuttgart an jenem Klub. Der effzeh peilt dagegen die Champions League an. Vorerst.
Bock des Spiel: Frederick Sörensen
Der Däne machte ja schon in Meppen einen auf schwedischen Kleiderschrank. Das galt in Stuttgart umso mehr. An der Spieleröffnung lässt sich beim Blondschopf zwar noch arbeiten, doch wer sich so bedingungslos in jeden Zweikampf, jeden Passweg und jedes Kopfballduell wirft, darf das erste einmal gerne außen vor lassen. Kein einziger Bundesligaspieler konnte an diesem Spieltag mehr Ballsicherungen verzeichnen (13) als Sörensen und bestimmt knallte auch kein Bundesligaspieler am ersten Spieltag so oft gegnerische Flanken mit Kopf, Brust oder Fuß aus der Gefahrenzone. Fels in der Brandung. Ein spezieller Dank geht an dieser Stelle auch an Timo Horn, Jonas Hector und Anthony Modeste.
Was die anderen rot-weißen Götter so getrieben haben? Steht in der Einzelkritik.
Und sonst so?
- Schon mal gefragt, warum so viele Leute Traditionsteams so viel geiler finden als Plastikvereine? Einfach mal die Stimmung der beiden Sonntagsspiele vergleichen. Dort: Der amtierende DFB-Pokalsieger, der sich vom Support her deutlich der Eintracht aus Frankfurt geschlagen geben musste. Hier: Zwei Teams, die letzte Saison eher gegen den Abstieg spielten, die sich nun aber nicht nur einen packenden Schlagabtausch auf dem Rasen, sondern auch auf den Rängen lieferten. Die Stimmung in der Mercedes-Benz-Arena? Auf Spitzenniveau. Der Kölner Support dabei wieder einmal sehr stark!
- Taktisch agierte der effzeh anfangs wieder im 4-1-4-1, was in der Vorbereitung einstudiert wurde. Lehmann wieder als alleiniger Sechser, Jojic und Gerhardt davor. Weil die beiden zentralen Leute vor Lehmann aber nicht gut miteinander harmonierten, nahm Peter Stöger relativ schnell zwei Änderungen vor, so dass in den letzten 35 Minuten im letztjährigen 4-4-2 mit zwei klaren Sechsern (Vogt und Lehmann) und zwei Stürmern (Modeste und Osako) gespielt wurde, wobei Osako sich etwas weiter zurückfallen ließ.
- In beiden Systemen zeigte der effzeh aber Probleme mit dem enorm aggressiven Stuttgarter Gegenpressing. Der Spielaufbau erfolgte oft planlos, meistens hatten die Geißböcke kaum Raum zur Entfaltung, was gerade in der ersten Halbzeit auch daran lag, dass Lehmann zu wenig Unterstützung von seinen beiden Vorderleuten erhielt. Mangels Anspielstationen wurde das Leder immer wieder relativ blind nach vorne geknallt, von wo die Kugel direkt wieder zurückkam.
- Auf der Außenbahn band vor allem der enorm agile Kostic die rechte Seite um Risse und Olkowski. Die konnten kaum für Entlastung sorgen. Erst die Herausnahme von Olkowski und damit die Umstellung von Risse auf Zoller brachte den so wichtigen Druckausgleich. Erstmals war Kostic auch in der Defensive gefordert, weil Risse und Zoller auf der rechten Seite wesentlich aggressiver zu Werke gingen.
- Generell hat Peter Stöger mit seinen Einwechslungen aber mal wieder ein glückliches Händchen bewiesen. Zoller und Osako schossen Tore, Vogt stabilisierte das Spiel und bereitete das Tor von Zoller vor. Starke Entscheidungen!
- Insgesamt zeigte sich der effzeh gerade in der Genauigkeit noch stark ausbaufähig. Durch das hohe Tempo und Stuttgarts aggressive Spielweise produzierte man haufenweise unnötige Fehlpässe und ungenaue Flanken. Viel zu selten fand man Anthony Modeste, so dass der Franzose seine Stärken in der Ballverarbeitung kaum gewinnbringend einsetzen konnte.
Harte Fakten:
VfB Stuttgart: Tyton – Klein, Baumgartl, Hlousek, Insúa (86. Werner) – Didavi, Gentner, Rupp, Kostic – Harnik (82. Kliment), Ginczek
effzeh: Horn – Olkowski (68. Zoller), Sörensen, Heintz, Hector – Lehmann – Risse, Gerhardt (46. Vogt), Jojic (54. Osako) , Bittencourt – Modeste
Tore: 0:1 Anthony Modeste (75., Elfmeter), 0:2 Simon Zoller (77.), 1:2 Daniel Didavi (79., Elfmeter), 1:3 Yuya Osako (90.+2)
Gelbe Karten: Baumgartl (34.), Sörensen (61.), Gentner (67.), Insúa (71.)
Schiedsrichter: Wolfgang Stark (Ergolding)
Zuschauer: 59.500
Die Bilder zum Spiel: