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Nachspiel

Ein Nachmittag im Stadion

Für den ersten Besuch in Müngersdorf hätte man sich kaum ein besseres Spiel aussuchen können…

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Zum ersten Mal im Stadion © effzeh.com

Stell dir mal vor, du bist zehn Jahre alt und wirst von einem nahen Verwandten, der irgendwie ganz nett, aber auch ein bisschen verrückt ist, zum ersten Mal zum Fußball mitgenommen. Quasi als verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Zum ersten Mal zum Fußball!  Fußball ist eine tolle Sache, die du da kürzlich zusammen mit deinen Freunden entdeckt hast und zusammen spielt ihr gerne auf dem Fußballplatz im Viertel. Vor kurzem bist du in den Fußballverein eingetreten, dort laufen ganz viele Kinder in rot-weißen Trikots rum und tragen einen Geißbock auf der Brust. Einige haben auch ein komplett rotes Trikot an, wo irgendetwas mit München draufsteht, aber die sind doof, meint zumindest Papa. Auch diese schwarz-gelben Trikots findest du nicht so toll, das sieht einfach komisch aus und die Namen, die da hinten draufstehen, kann ja kein Mensch aussprechen. Den effzeh, von dem in Köln immer alle reden, hast du selber noch nicht im Stadion spielen sehen, obwohl das am Fernsehen eigentlich immer ganz interessant aussieht.

Wie gut ist es doch, dass der nahe Verwandte ein Ticket besorgt hat, und du kannst zum ersten Mal mitgehen ins große Stadion. Dein Begleiter besteht darauf, dass du einen rot-weißen Schal und eine Mütze anziehen musst, obwohl es eigentlich ziemlich warm ist für Dezember. Was das wohl soll?

Gegner an diesem Tag sind ausgerechnet die schwarz-gelben Jungs des BVB und da spielen Spieler wie Reus und Hummels, die beide auch der Nationalmannschaft angehören. Der Nationalmannschaft! Von Köln kennst du keinen einzigen Spieler, obwohl dein Verwandter dir eingeschärft hat, dass sie eigentlich alle großartig und viel besser als die aus Dortmund sind. Aber Dortmund ist zumindest Zweiter in der Tabelle und dein Verwandter gibt auf dem Weg ins Stadion zu, dass der effzeh heute höchstwahrscheinlich verlieren wird. Dortmund hat ja eigentlich auch die viel besseren Spieler. Vor dem Stadion siehst du, wie sich Leute in schwarz-gelben und rot-weißen Trikots friedlich unterhalten und sich gegenseitig necken – dabei hat deine Tante doch gesagt, dass alle Fußballfans sich doch immer nur prügeln würden! Kannst du dir eigentlich gar nicht vorstellen. Im Stadion bist du das erste Mal richtig beeindruckt, als alle Zuschauer ihre Schals vor das Gesicht halten und alle gemeinsam eine Hymne singen, bei der du Gänsehaut bekommst. Und alle können den Text auswendig! Im Stadion siehst du kaum einen freien Platz und dir wird gesagt, dass 50.000 Menschen heute in diesem Stadion sind. So viele wohnen nicht mal in der Stadt, wo Oma und Opa leben!

Nach dem Anpfiff des Schiedsrichters hat eigentlich nur die Mannschaft aus Dortmund den Ball, ziemlich bald schießt sie ein Tor nach einem Eckball und die gelbe Ecke im Stadion flippt völlig aus. In der Reihe vor dir hat ein Mann vor Wut sein Bier weggeworfen und in seinem Gesicht siehst du die Äderchen an der Seite ganz deutlich. Er flucht so laut, dass du selbst ein paar Meter hinter ihm noch jedes Wort verstehst – dabei benutzt er genau die Worte, für die du jedes Mal zehn Cent in die Schimpfwörter-Büchse schmeißen musst. Der Mann hätte bestimmt eine Zwei-Euro-Münze reinwerfen müssen, so oft wie der geflucht hat. Und ein neues Bier muss er sich auch noch kaufen. Auch dein Begleiter schaut mit versteinerter Miene auf das Spielfeld und murmelt dabei etwas wie „diese verdammten Standards, jedes Mal“. Was er damit wohl meint?

 

Ein paar Minuten nach dem Tor geht ein Spieler des effzeh im Strafraum zu Boden und alle um dich herum springen auf. Elfmeter, rufen sie, Elfmeter! Doch der Schiedsrichter pfeift nicht. Der Mann vor dir hat dieses Mal mit der flachen Hand auf die Brüstung vor sich geschlagen und keift nun mit vor Schmerz (und Wut?) verzerrtem Gesicht Beleidigungen gegen den Schiedsrichter. Du fragst deinen Begleiter, warum das ganze Stadion den Namen eines gewissen Herrn Schiebers ruft, der Hausmeister in der Schule ist, zu der du gehst. Warum sie das wohl machen? Ein Mann neben deinem Begleiter erzählt, dass die „Chefs in der Liga was gegen den effzeh“ hätten und „deswegen niemals für den effzeh pfeifen“. Auch er hat einen hochroten Kopf. Die Frau neben ihm nickt bestätigend mit dem Kopf. Bis zur Halbzeit springen die Leute noch ein paar Mal auf, weil mittlerweile auch die rot-weiße Mannschaft fast ein Tor schießt. Nach dem Halbzeitpfiff des Schiedsrichters (den hat man bis zur Tribüne gehört!) hörst du einer Diskussion zu, bei der zwei Jungs meinen, dass der effzeh durchaus die Chance hat, heute ein Tor zu schießen. Pff, denkst du dir, wie soll das denn funktionieren?

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© effzeh.com

Nachdem du in der Halbzeit eine Wurst gegessen und eine Fanta getrunken hast, wird die Stimmung im Stadion immer lauter, weil Köln tatsächlich auf einmal den BVB in Gefahr bringt. Die Rot-Weißen schießen tatsächlich ein paar Mal aufs Tor und teilweise rufen die Leute um dich herum schon „Tooor!“, obwohl der Ball eigentlich vorbeigeht. Mittlerweile hält es fast keinen mehr auf den Sitzen und du schaust auf die Zeitanzeige auf dem wahrscheinlich größten Fernseher der Welt: noch knapp zehn Minuten. Auf einmal reißt es die Leute von den Sitzen, als der Torwart des BVB (warum auch immer) einen Stürmer des effzeh anspielt. Dieser schießt den Ball daraufhin ins Tor und um dich herum flippen alle aus. Dein Begleiter greift dir unter die Arme und hebt dich in die Höhe, jubelt, schreit: Köln hat tatsächlich ein Tor geschossen. Jetzt setzt sich auf einmal niemand mehr hin, alle schreien den effzeh nach vorne und du ertappst dich dabei, wie du, getragen vom klatschenden Rhythmus um dich herum, auf einmal anfängst, ebenfalls mitzusingen. „Da geht noch was, da geht noch was!“, schreit der rotköpfige Mann ein paar Meter entfernt. Und tatsächlich, ein paar Minuten später schießt Köln noch ein Tor und dieses Mal kommst du dir vor, als würde die Erde um dich herum vibrieren. Ohrenbetäubender Lärm, wild umherhüpfende Menschen; dein Begleiter, der einer wildfremden Frau in den Armen liegt, die ihrerseits Tränen in den Augen hat. Was ist nur mit all diesen Leuten los? Staunend guckst du dich um und findest, dass dieses Gefühl schon so ziemlich das Beste ist, was du jemals erlebt hast.

Foto: privat

© effzeh.com

Kurz darauf pfeift der Schiedsrichter ab und die Leute feiern einfach weiter. Minutenlang singen und tanzen sie, bis die Lichter ausgehen und du dich ängstlich fragst, was denn jetzt noch passiere. „Was machen die da?“, fragst du deinen Begleiter, der immer noch mit seligem Blick auf das Spielfeld starrt. „Schau genau hin, was jetzt passiert!“, antwortet er dir. Die Leute machen die Taschenlampen an ihren Handies an. Sowas hast du noch nie gesehen! Über die Lautsprecher ertönt wieder das Lied, was du vorhin schon mal gehört hast und jetzt kannst du sogar mitsingen. Von den Schultern deines Begleiters blickst du auf das Spielfeld herunter, wo die Spieler mittlerweile vor der Tribüne stehen und ausgelassen jubeln.

 

Sowas hast du noch nicht erlebt. Im nächsten Jahr willst du wiederkommen.

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