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Die etwas andere Nr. 2

Thomas Kessler verließ einst den effzeh, um zu spielen und die Tore anderer Vereine zu erobern. Nun ist er zurück und nimmt seine neue Rolle voll an.

© effzeh.com

Und dann der kurze Blick rauf, in die Kamera.

Es ist eine Szene, die sich bei vielen in die Erinnerung gebrannt hat: Olli Kahn, der Titan, kurz vor der Heim-WM zum Ersatztorhüter degradiert, tätschelt Jens Lehmann den Hinterkopf, um ihm Glück zu wünschen für das bevorstehende Elfmeterschießen gegen Argentinien.

Für meinen Geschmack war das seinerzeit etwas zu inszeniert, denn einen Tick zu lang suchte Kahn den Kontakt zu den Kameras, statt seinen langjährigen Kontrahenten anzusehen. Dem Moment fehlte schlicht die Intimität, um glaubwürdiger zu sein.

Zumal man sich vor Augen halten sollte, welch wenig harmonische Zeit dieser Szene vorausging: Jahrelang tobte ein hartes Duell mit harten Bandagen um den Posten der Nr. 1 im Nationalteam und es schien kaum so, als würden sich die beiden Duellanten besonders gut riechen können und in ihrer Freizeit auch einmal zusammen angeln oder Karaoke singen gehen. Zu verschieden die beiden Charaktere, aber vor allem: zu unklar die Rollenverteilung, zumindest nach Klinsis Antritt, der vom 1a- und 1b-Keeper sprach.

Und dieses Anti-Liebespaar reihte sich damit ja auch ein, in die Riege großer Anfeindungen zwischen Torhütern. Man denke nur an Toni Schumacher und Uli Stein bei der WM 86. Das Ende ist bekannt: Stein hatte eine Idee für einen küchenaffinen, beckenbauerschen Nebenjob und zack! war er der glühenden Sonne Mexikos entkommen. Diese Konflikte, die es häufig zwischen Konkurrenten auf diesem Posten gibt, sind ja auch naheliegend und hausgemacht: Auf keiner anderen Position im Team wird weniger rotiert – früher hätte man daraus geschlussfolgert: Der gepolsterte Ellenbogen entscheidet mit. Beißen hilft. Wer will schon dauerhaft auf der Bank sitzen?

Zwischen Mondragon und Stanislawski

Beim effzeh ist seit Beginn dieser Spielzeit Thomas Kessler die Nr.2. Nachdem er sich zwei Spielzeiten lang leihweise erfolgreich (St. Pauli) bzw. unglücklich (Frankfurt) aufmachte, um Städte und Vereine außerhalb Kölns kennen zu lernen, ist er nun „wieder zu Hause“, wie er es selbst in einem Interview in der Saisonvorbereitung bezeichnete.

Und Kessler kann eigentlich nicht unbedingt völlig unbeschwert auf seine erste Zeit beim effzeh zurückblicken: Zunächst wurde ihm ein rund 80jähriger Keeper vorgezogen. Nach seiner darauf folgenden ersten Leihe nach Pauli (und zu seinem heutigen Trainer) wollte dann Kessler, da der effzeh mit Rensing in der Zwischenzeit einen Torwart mit Klasse und Perspektive (wie man dachte) verpflichtet hatte, gerne nach Berlin. Zunächst wieder auf Leihbasis mit anschließender Kaufoption. Der Deal platzte schließlich, da der effzeh laut Kessler kurzfristig seine Forderung erhöhte. Kessler zeigte sich damals sehr enttäuscht, er sprach von einer „schwierigen Konstellation“. Schließlich hatte er nach seiner guten Spielzeit bei Pauli (kicker-Notendurchschnitt von 3,04 bei 26 Spielen) Ambitionen entwickelt, bei einem Verein zwischen den Pfosten zu stehen. Sein Stammverein hatte ihm da im Weg gestanden, so empfand er die damalige Situation. Also ließ er sich kurzfristig zur Frankfurter Eintracht transferieren, zum damaligen Zweitligaclub, der ebenso große Ambitionen wie er selbst hegte.

Frankfurter Missverständnis und Rückkehr

Doch am Main wurde Kessler nicht wirklich glücklich. Er vermochte offenbar Trainer Veh nicht zu überzeugen, wobei das im Schatten des scheinbar übermächtigen Oka Nikolov in den letzten 30 Jahren kaum einem Keeper gelang – es kamen und gingen namhafte Torhüter, am Ende spielte immer: Nikolov.

Nach vier Einsätzen in der vergangenen Saison kehrte Kessler schließlich zum effzeh zurück. Die Eintracht war mittlerweile auf- und der effzeh abgestiegen. Na prima. Zudem sollte zwar Rensing den Verein verlassen, doch beim effzeh setzte man nun auf das verheißungsvolle Talent Timo Horn. Nachdem Kessler in Köln zunächst gegen einen Fußballsenior wie Mondragon das Nachsehen hatte, musste er sich nun hinter einem 19jährigen einreihen, der die Erfahrung von 0 Profiminuten vorzuweisen hatte.

Grund genug also, frustriert zu sein.  

Der Ort des Geschehens

© effzeh.com

Doch in Kessler ist in der Zwischenzeit offenkundig etwas passiert. Wenn man ihn und seine Statements seit seiner Rückkehr beobachtet, fällt auf, mit wie viel Tatendrang und Motivation er die neue (eigentlich ungeliebte) Rolle als Nr. 2 annimmt und sich in den Dienst der Mannschaft stellt (auch wenn ihn zwischendurch eine Handverletzung etwas zurückwarf).

Schließlich sei er in den vergangenen zwei Jahren reifer geworden, wie Kessler in einem Interview mit fc-tv im Trainingslager betonte. Und nun sei es ihm wichtig, bei dem großen Umbruch, „in diesem Gesamtkonstrukt” mithelfen zu können, da er sich mit seinen 26 Lenzen schon als einen der Erfahreneren in dem so jungen Team sehe und er seine Rolle auch so interpretiere, der Mannschaft zur Seite zu stehen.

Kessler macht deutlich und verkörpert auch, dass für ihn lediglich das große Ganze zählt. Er möchte, dass „die Leute wieder gerne ins Stadion kommen und die Stadt auch wieder das zurückbekommt, was sie verdient“.

Diesem – großen – Ziel ordnet sich Kessler unter. Schließlich könne man sich neben dem Platz ebenso gut einbringen wie auf dem Platz.

Dass er dies ernst meint, ist ihm anzumerken. Und auch der Verein scheint die Wichtigkeit seiner Nr. 2 für das junge Mannschaftsgefüge sowie seine Beliebtheit bei den Fans erkannt zu haben. Für einen Reservetorwart führt Kessler mithin verhältnismäßig viele Interviews und ist auch in Werbekampagnen, unter anderem für die effzeh-Fanartikel, oft zu sehen.

Die andere Nr. 2

Thomas Kessler ist eben eine etwas andere Nr. 2. Eine Nr. 2, die weniger ihre gepolsterten Ellenbogen einsetzt und auf das Beißen verzichtet und sich stattdessen mit den Zielen ihres Vereins identifiziert. Eine Nr. 2, für die es etwas bedeutet, den Geißbock auf der Brust zu tragen. Die verstanden hat, wie Club, Umfeld und Fans ticken.

In seinen Auftritten vor dem Mikrofon wird deutlich, dass sich Kessler als Leader hinter der ersten Elf mehr als eignet: Ruhig, reflektiert und rhetorisch beschlagen zeigt er, dass für ihn der Arbeitstag nicht mit der letzten Trainingseinheit endet und er ein Spieler ist, der über den  Tellerrand blickt. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen: „es ist eben nicht nur ein Job für mich oder ein Verein, bei dem ich mein Gehalt bekomme. Der effzeh ist für mich immer ein Teil meines Lebens gewesen“.

Matthias Sammer meinte kürzlich, für die Harmonie in der Bayerntruppe sei es maßgeblich, wie man bspw. mit Spielern wie Ersatztorhüter Starke umgehe. Diesen Punkt halte ich in unserem Fall mit Kessler für mindestens ebenso wichtig. Damit nicht nur nach außen, sondern auch nach innen deutlich wird, dass wir eine etwas andere Nr. 2 haben.

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