Irgendetwas stimmte nicht. Das sah man im Stadion, aber auch vor dem heimischen Empfangsgerät direkt. Der Ball lag zwar im Tor, aber die Flugbahn bei Florian Kainz entscheidendem Elfmeterschuss wirkte sehr unnatürlich. Es vergingen ein paar lange Sekunden, bis aus dem mulmigen Bauchgefühl der Kölner Spieler und Verantwortlichen Gewissheit wurde: Kainz hatte den Ball unabsichtlich zweimal berührt, der Schuss wurde als Fehlschuss gewertet. Das Regelwerk ist an dieser Stelle eindeutig. Der 1. FC Köln unterlag damit dem Hamburger Sport-Verein zuhause im Achtelfinale des DFB-Pokals mit 4:5 nach Elfmeterschießen.
Die Hamburger Spieler rannten nach dem finalen Verdikt zu ihrem Torhüter und fingen an frenetisch zu jubeln, während Kainz sich nebenan konsterniert und fassungslos von Schiedsrichter Daniel Schlager erklären ließ, was genau er falsch gemacht hatte. Auch der Rest der Kölner inklusive der 750 Fans etwas ungläubig im weiten Müngersdorfer Rund standen. „Die Nacht wird heute nicht schön“ ließ der Österreicher anschließend am Mikrofon einen kleinen Einblick in seine Gefühlswelt zu. Es war das bittere Ende eines dramatischen Abends, an dem der FC sich erst in letzter Minute ins Elfmeterschießen rettete, dort aber eine große Chance letztlich leichtfertig liegen ließ.
Die Kölner lassen sich das Spiel aus der Hand nehmen
Dabei begann das Spiel für die Domstädter eigentlich ganz ordentlich. Die im Vergleich zum Spiel gegen die Bayern letztes Wochenende auf sechs Positionen umgekrempelte Kölner Mannschaft übernahm nach dem üblichen Abtasten in den ersten Minuten der Partie wie erwartet die Kontrolle und erarbeitete sich angeführt vom starken Wiener Dejan Ljubicic gute Chancen. Und hätte sich der an diesem Abend schwache Mark Uth dafür entschieden, den Ball in der 21. Minute einfach ins leere Tor zu schieben anstatt noch Spieler aussteigen lassen zu wollen, hätte das Spiel auch eine andere Wendung nehmen können. Stattdessen ließen die Kölner den HSV in der Schlussviertelstunde der ersten Hälfte ins Spiel kommen, nach der Riesenchance von Robert Glatzel in der 35. Minute und spätestens nach dem Aluminiumtreffer von Moritz Heyer kurz vor der Halbzeit war von dem eigentlichen Klassenunterschied nichts mehr zu sehen.
Den besseren Start in die zweite Hälfte hatte dann zwar noch der 1. FC Köln, Jan Thielmann (46.) oder der auf dem Spielfeld teilweise sehr deplatziert wirkende Sebastian Andersson (49.) hätten für die Führung sorgen können, doch HSV-Schlussmann Daniel Heuer Fernandes parierte gut. Danach war es mit der kölschen Herrlichkeit endgültig vorbei. FC-Coach Steffen Baumgart brachte nach und nach Anthony Modeste, Ondrej Duda und Salih Özcan, bis auf Modeste fand allerdings keiner der Einwechselspieler seine Normalform. Stattdessen hatten die “Geißböcke” Glück, dass Jonas Hector in der 72. Minute nach Foulspiel nicht mit Gelb-Rot vom Platz gestellt wurde.
Die fahrige Spielweise der Kölner erlaubte den Gästen aus Hamburg, das Zepter in der zweiten Hälfte zu übernehmen und das Spiel zu einem wilden Pokalfight zu machen. Modeste hatte nach 77 Minuten eine gute Kopfballgelegenheit, konnte den Ball allerdings nicht richtig platzieren. Allgemein lieferten die Kölner nach dem Seitenwechsel ein schwaches Spiel ab, spielten unpräzise und ohne den üblichen Flankenfokus, welcher sie diese Saison zu einem so gefährlichen Team macht. So war Hamburg dem Führungstreffer näher, doch Heyer traf in der 83. Minute nach Ecke nur den Außenpfosten.
Der FC sollte nicht mit dem Schicksal oder dem Schiedsrichter hadern
Auch nach 90 Minuten blieb es beim torlosen 0:0. In der Verlängerung hatte dann leider nicht der FC den Blitzstart, sondern die Gäste aus der Hansestadt: Kittel flankte und fand Glatzel, der in der 92. Minute per Kopf das 1:0 erzielte. Lange Zeit fanden den die „Geißböcke“ anschließend keine Antwort und rannten dem Rückstand zunehmend verzweifelt hinterher. In dieser Saison ungewohnt frustrierend war es, dem FC in der Verlängerung beim Fußballspielen zuzusehen. Sekunden vor dem Schlusspfiff wurde Modeste jedoch nach einer Flanke leicht am Trikot gezupft, den schmeichelhaften Elfmeter verwandelte der Gefoulte anschließend sicher und sorgte so für das Elfmeterschießen, an dessen Ende Kainz’ bitterer Doppelkontakt stand. Für alle Beteiligten ein 120-minütiges Gefühlschaos, für die Verlierer allerdings ein unglaublich deprimierendes.
Oft neigen Sportjournalisten, aber auch Entscheidungsträger im Fußball dazu, das nackte Ergebnis über den Prozess zu stellen. Spielt ein Team konzeptlos, gewinnt aber ein paar Spiele auf glückliche Art und Weise, wird der Trainer gestärkt, obwohl man ihn in Frage stellen sollte. Verliert eine Mannschaft umgekehrt trotz guter Spielanlagen ein paar Mal zu oft, wird der Trainer entlassen, „glücklos“ ist das dann oft das Adjektiv der Wahl. Bezogen auf das Pokalaus am Dienstagabend sollten die „Geißböcke“ nicht den Fehler machen, das Ausscheiden im Pokal irgendwie auf den unglücklichen bis kuriosen Elfmeterschuss von Kainz zu schieben.
“Ich kann ja nicht von meinem Kader sagen, dass ich glaube, ich habe keinen Kader A und B, sondern dass ich einen ausgeglichenen Kader habe. Wenn ich den Jungs das vermitteln will, dann muss ich das auch machen.”
Der 1. FC Köln hat sich die Niederlage verdient und hätte sie auch verdient gehabt, wenn er das Elfmeterschießen gewonnen hätte. Einen Hauptgrund für die Niederlage muss man leider bei Trainer Steffen Baumgart suchen. In der zweiten Runde in Stuttgart rotierte der 50-jährige Cheftrainer bereits kräftig und stellte seine Mannschaft auf insgesamt acht Positionen um. Nach einer torlosen ersten Hälfte kamen damals Uth, Duda und Modeste in die Partie, der FC gewann nach zwei Toren des Franzosen mit 2:0. Die Vorlagen lieferten die beiden anderen genannten.
Baumgarts Rotation geht nicht auf
Im Achtelfinale gegen den HSV wechselte Baumgart wieder sechs mal, brachte unter anderem Andersson als einzige Sturmspitze für Modeste und schmiss außerdem Kingsley Ehizibue, Kingsley Schindler, Jan Thielmann und Jannes Horn in die Startelf. Und dieses Mal ging der Poker schlicht nicht auf. Das Schmerzhafte daran: Baumgart betonte vor jeder der drei Pokalrunden, dass das Finale in Berlin für ihn ein Traum sei, sprach sogar vom Titel und machte den FC-Fans damit große Augen. Er sollte sich zukünftig überlegen, ob die starke Rotation in den Pokalspielen nach diesen Aussagen wirklich richtig ist. Der FC hätte das Spiel natürlich gewinnen können, die Fehlertoleranz ist mit einem solchen Wechselfeuerwerk allerdings schlicht geringer.
„Das ist immer das Interessante. Ich kann ja nicht von meinem Kader sagen, dass ich glaube, ich habe keinen Kader A und B, sondern dass ich einen ausgeglichenen Kader habe. Wenn ich den Jungs das vermitteln will, dann muss ich das auch machen“, erklärte Baumgart nach dem Spiel seine Wechsel und verwies auf die guten Gelegenheiten von Andersson. „Wenn du dann das Tor nicht machst, bleibt der Gegner im Spiel.“ In seiner Logik hat er damit Recht. Aber wenn er den Spielern das Jahr über erklärt, dass es keine A-Elf und keine B-Elf gibt, dann sollte er nicht gerade zu Pokalspielen eine offensichtliche B-Elf auf den Platz stellen, sondern auch in der Liga ein wenig rotieren. Das Punktepolster nach unten gibt dies sogar her.
Baumgart hat sich verpokert, die Spieler aber auch nicht ihre Leistung abgeliefert
Worte und Taten passen beim sonst in seiner Sprache sehr klar auftretenden Baumgart in diesem Fall nicht zueinander. Vielleicht glaubt Baumgart, mit der Rotation seine Ergänzungsspieler bei Laune zu halten. Das ist legitim, allerdings böten sich bei den Spielen gegen die Bayern und in Bochum am kommenden Wochenende auch Möglichkeiten, sich ein wenig geschmeidiger und sanfter durch die englische Woche zu wechseln und die Mannschaft bei Laune und Kräften zu halten. Steffen Baumgart wurde in den letzten sechs Monaten zurecht sehr oft von vielen Seiten gelobt, das Ausscheiden geht allerdings zu einer ordentlichen Portion auf seine Mütze.
“Das war eine Achterbahnfahrt”
Sportchef Jörg Jakobs
Der Trainer trägt allerdings auch nicht die Alleinschuld. Spieler wie Schindler, Ehizibue, Uth und auch Andersson nutzten die sich bietende Chance gegen den Zweitligisten einfach nicht, lieferten teilweise schwache Partien ab und empfahlen sich nicht für weitere Einsätze. Insbesondere vom schwedischen Stoßstürmer, der enorm glücklos agierte, muss man mehr erwarten dürfen. Andersson hatte einige gute Gelegenheiten und konnte leider keine davon nutzen. Es ehrt Baumgart, dass er dem Stürmer weiter Spielzeit gibt und hofft das bei ihm irgendwann der Knoten platzt, wie er bei Modeste geplatzt ist. An diesem Punkt allerdings wird es Zeit sich einzugestehen, dass dort eventuell kein Knoten mehr ist, der platzen kann.
Letztlich bleibt festzuhalten, dass das diesjährige Aus im DFB-Pokal deswegen so bitter ist, weil das restliche Teilnehmerfeld den 1. FC Köln zu einem Mitfavorit auf den Titel gemacht hätte. Denn die Bayern, Dortmund und Leverkusen sind bereits ausgeschieden und den Rest kann der FC in einem guten Spiel auf jeden Fall schlagen, wie er diese Saison schon bewiesen hat. In den vergangenen Jahren war es nie einfacher, nach Berlin ins Pokalfinale zu kommen. So aber müssen die Kölner mindestens ein Jahr länger warten, um sich den Traum des Trainers und vieler Fans zu erfüllen. Träume machen dann aber erst richtig Spaß, wenn man irgendwann die Augen aufmacht und sie sich erfüllen. Sonst sind sie lediglich frustrierend. Erst Recht, wenn einem jemand die ganze Zeit davon erzählt.