Wir beginnen den Moment November mit 18 Punkten. Der beste Torjäger des 1. FC Köln, Anthony Modeste, hat in dieser Saison inklusive Pokal bereits 13 Tore erzielt. Bislang wurde nur ein Spiel verloren, gegen eine sehr stabile Mannschaft aus Berlin. Besonders im heimischen Stadion in Müngersdorf stellt der effzeh unter Beweis, wie schwer er zu schlagen ist. Bis auf Timo Horn verfügen alle Leistungsträger über langfristige Verträge bis mindestens 2020 – es könnte insgesamt also nicht schlimmer sein.
Doch Erfolg ist bekanntlich ein scheues Reh, dass sich relativ schnell bei leicht wandelnden Windrichtungen schneller verzieht, als man „Spitzenreiter“ sagen kann. Auch wir bei effzeh.com werden nicht müde zu betonen, dass ein Schnitt von exakt zwei Punkten pro Spiel bis zum Mai wahrscheinlich nicht aufrechtzuerhalten sein wird. Man mag uns das jetzt als Tiefstapelei oder unnötiges Drücken auf die Euphorie-Bremse treten, doch es ist ja Gott sei Dank so, dass die Welt weder nur schwarz noch nur weiß ist. Von daher war es in den letzten Jahren auch ratsam, bei leichteren Ergebniskrisen nicht sofort in Panik zu verfallen und den eingeschlagenen Weg komplett in Frage zu stellen. Für den Erfolg braucht es vielerlei Komponenten, von denen der 1. FC Köln unter Peter Stöger zumindest die sportlich beeinflussbare Seite erfüllt. Über die stabile Grundordnung und die störungsfrei ablaufenden Automatismen in Defensive und Offensive wurde bereits an anderer Stelle berichtet.
Der Faktor Schiedsrichter
Dass es eben auch noch externer Faktoren Bedarf, dürfte allgemein bekannt sein. In der Natur der Sache liegt beim Fußball natürlich, dass der Schiedsrichter neben der gegnerischen Mannschaft am ehesten den eigenen Erfolg oder Misserfolg beeinflussen kann. Ohne Schiedsrichter und gegnerische Mannschaft wäre es sicherlich wesentlich einfacher, leider gehören diese aufgrund der Statuten der DFL jedoch dazu. Gingen in der letzten Saison noch Spiele durch Schiedsrichter-Entscheidungen verloren (Hannover), kann sich der effzeh in der laufenden Spielzeit nicht darüber beschweren, von den Schiedsrichtern benachteiligt geworden zu sein.
Im Spiel gegen den Hamburger Sportverein griff der Schiedsrichter auch wesentlich in das Spielgeschehen ein, als er nach knapp einer Stunde Marco Höger nach dessen klaren taktischen Fouls nicht mit der folgerichtigen zweiten gelben Karte bedachte. Wäre Kölns Mittelfeldspieler in dieser Szene vom Feld gestellt worden, hätte der effzeh mit Sicherheit größere Probleme bekommen als ohnehin schon. Kurz darauf wurde mit Bobby Wood zwar auch vollkommen gerechtfertigt des Feldes verwiesen, dieses Vorkommnis stand allerdings in keinem direkten Verhältnis zu Högers Aktion. Daran lässt sich jedoch erkennen, dass jede einzelne Entscheidung des Schiedsrichters auf das Spielgeschehen Einfluss nimmt. Im Falle einer roten Karte oder eines Elfmeters ist diese Einflussnahme natürlich groß, doch auch kleine Aktionen wie eine Vorteilsauslegung oder eine Ansprache an einen Spieler nach dem ersten Foul tragen dazu bei, die Dynamik des Spiels mitzugestalten. Demzufolge lässt sich festhalten, dass Schiedsrichter Benjamin Brand im Spiel gegen den HSV eventuell etwas zu schnell und zu direkt gelbe Karten zog, was sich insbesondere an den Verwarnungen gegen Modeste und Rudnevs verdeutlichte. Dass ein ohnehin nickliges und umkämpftes Spiel dadurch noch zusätzlich befeuert wird, ist ein Umstand, mit dem eine Mannschaft auch umzugehen lernen muss. In diesem Zusammenhang dürften die Erfahrungen aus der Vorsaison zumindest dahingehend helfen, sich nicht allzu sehr von Emotionen leiten zu lassen, was natürlich aus der Betrachterperspektive wesentlich leichter gesagt als getan ist. Wenn man sich vor Augen führt, dass Brand nach zwei Minuten bereits Elfmeter für den effzeh hätte pfeifen können, gewinnt dieses Argument noch mehr an Kraft.
Betrachtet man die Thematik aus den Augen der Schiedsrichter, besteht eigentlich kein Grund, bereits vor dem Spiel in irgendeiner Form voreingenommen gegenüber dem effzeh und seiner Spielweise zu sein. In den beiden abgelaufenen Saisons belegte der 1. FC Köln jeweils Rang vier in der Fairnesstabelle und gehörte daher zu den Mannschaften in der Bundesliga, die unterdurchschnittlich wenig persönliche Strafen zu verzeichnen hatten.
Der Faktor Psyche
Eng damit verknüpft ist zu weiten Teilen auch die mentale Stabilität der Spieler und der unbedingte Glaube daran, dass die eigenen Fähigkeiten und die Spielidee auch im Falle von Rückschlägen (Gegentore, Platzverweise, Verletzungen, …) nach wie vor tragfähig sind und den Erfolg bringen können. Dass das mannschaftliche Konstrukt dabei seit einigen Jahren organisch gewachsen ist und in großen Teilen schon zu Zweitliga-Zeiten angelegt wurde, ist in diesem Kontext ein entscheidendes Element. Wenn man sich daran erinnert, dass Horn, Maroh, Hector und Lehmann bereits mit 0:2 in Regensburg zurücklagen und dieses Spiel noch drehen konnten, kann man die Entwicklung sogar einigermaßen treffend zeitlich zurückdatieren. Im Gegensatz dazu lässt sich bei Mannschaften wie beispielsweise dem VfL Wolfsburg erkennen, dass ein gesundes mannschaftliches Klima und der Glaube an die eigene mannschaftliche Stärke durchaus auch individuelle Klasse schlagen kann. Die finanziell aufwendigen Zukäufe (Gomez, Draxler, …) bringen zwar hohe Qualität, allerdings ist damit nicht der sofortige sportliche Erfolg garantiert. Wenn dann noch ein Trainerwechsel hinzukommt, wird die organische Entwicklung der Mannschaft vorerst unterbrochen, es darf wieder von Neuem angefangen werden.
Diese Form der kollektiven Intelligenz als Einflussfaktor im Bundesliga-Fußball anzuerkennen und dies auch in konkreten sportlichen Maßnahmen umzusetzen ist eine wesentliche Kompetenz, die in der Trainerausbildung allerdings über lange Jahre vernachlässigt wurde. Stöger und Schmadtke haben zumindest bis dato unter Beweis gestellt, dass der emotionalen Intelligenz der Spieler bei der Kaderplanung eine gewisse Bedeutung beigemessen wurde. Wenn also die kollektive Intelligenz einer Mannschaft derart ausgeprägt ist, kann dies auch schon einmal dafür sorgen, in regelmäßiger Form Rückstände auszugleichen, zu drehen und positive Ergebnisse einzufahren (Schalke, Bayern, Leipzig, zuletzt Hoffenheim).
Der Faktor Spielglück
Während Schiedsrichterentscheidungen als unbeeinflussbare Größen den Ausgang eines Spiels entscheidend prägen können, gibt es natürlich auch einen Faktor, den man nicht gänzlich beeinflussen kann: das sogenannte “Spielglück”/”Matchglück”/”Ballglück”. Dieser etwas diffuse Begriff, über den keine spezifische Definition vorliegt, meint eigentlich nichts anderes als ein Muster von nicht beeinflussbaren Aspekten des Spiels. Diese werden in erster Linie durch den Zufall bestimmt. Ein abgefälschter Ball, ein verunglückter Einwurf, ein Ball, der vom Pfosten aus ins Tor springt – all diese Dinge lassen sich weder planen noch in irgendeiner Form im Training simulieren, um die eigene Mannschaft darauf vorzubereiten. Der Twitter-Account @fußballlinguist, der sich mit der speziellen Sprache der Fußballberichterstattung beschäftigt und diese auf der Seite fußballinguistik.de darstellt, hat untersucht, in welchem Zusammenhang die Begriffe “Matchglück” und “Ballglück” auftauchen.
Das Wort “Matchglück” taucht in erster Linie dann auf, wenn es einer bestimmten Mannschaft zu einem Ergebnis gefehlt hat. Prägende Figur für diesen Begriff war Thomas Tuchel, der den Begriff erstmals 2009 verwendete. Das Wort “Ballglück” hingegen taucht häufiger auf.
Ballglück dagegen seit 1991, häufiger ab ca. 2008 und typischerweise "mit (etwas) Ballglück". pic.twitter.com/AbZtYcyCyv
— Fußballlinguistik (@fussballinguist) October 31, 2016
Es wird häufig davon gesprochen, dass man „das Glück auch endlich mal erzwingen“ wolle, was im Endeffekt nichts anderes meint, als einfach weiterzuarbeiten, bis sich irgendwann das Blatt wieder wendet. Über einen längeren Zeitraum gleichen sich Glück und Pech durch das statistische Gesetz zur Mitte sowieso an, weshalb ein Ende einer durch Pech bedingten Ergebniskrise psychologisch als das Resultat des Weiterarbeitens stilisiert wird. Diese Rhetorik von Trainern und Spielern ist insbesondere in Krisenzeiten festzustellen. Davon sind wir ja momentan beim effzeh Gott sei Dank weit entfernt. Dennoch, und dies ist eine wesentliche Verbesserung im Vergleich zur letzten Saison, schafft es der effzeh, seine herausgespielten Chancen besser zu nutzen. Wie an vielfacher Stelle betont lässt sich dies auch nicht trainieren oder anderweitig simulieren, es ist einzig und allein ein mentaler Aspekt. Dass Anthony Modeste mittlerweile schon 13 Tore erzielen konnte, ist also in erster Linie seiner größeren mentalen Stabilität zuzuschreiben, die dafür sorgt, dass der Franzose auch nach einem verschossenen Elfmeter weiter an sich glaubt und sich mit einem Hattrick belohnt. Es ist eher nicht davon auszugehen, dass Modeste in den letzten Monaten noch einen großen Entwicklungssprung in Sachen Technik beim Torabschluss vollzogen hat. Statistisch lässt sich dies unter anderem daran belegen, dass fast alle relevanten Kategorien bei Modeste in dieser Saison schwächer sind als noch im Vorjahr – bis auf die Torausbeute. Peter Stöger ist der Meinung, dass sein Sturmführer wahrscheinlich sogar einen Schritt weiter ist als noch vergangene Saison. Den Österreicher freut es, dass Modeste auch nach Negativsituationen immer weiter arbeitet. “Wenn man nicht an sich glaubt, dann geht man gar nicht mehr in Situationen hinein, in denen es vielleicht gute Torchancen geben kann”, so Stöger nach dem Spiel gegen den HSV.
Insgesamt ist also festzuhalten, dass die drei außerhalb des direkten Einflussbereichs des Trainers und der Spieler liegenden Faktoren sich gegenseitig beeinflussen. Ihre Einflussnahme auf die Leistung einer Mannschaft sind unterschiedlich groß: beim effzeh schafft man es momentan, das solide sportliche Fundament um eine mentale Stärke zu ersetzen, die den Unterschied zwischen einer guten und sehr guten Mannschaft machen kann. Dass der momentane Lauf allerdings auch schnell beendet sein kann, wenn die externen Faktoren nicht so günstig sind, ist also immer im Bereich des Möglichen.