„Jecke Saache met ze mache, drövver laache, dat es Karneval. Witzjer brenge, Liedscher senge, danze, sprenge, dat es Karneval“, sang einst Karnevals-Legende Wicky Junggeburth über die fünfte Jahreszeit in Köln.
Die ist bekanntlich seit Aschermittwoch vorbei, die Spieler des Effzeh wollten das aber nicht so ganz wahr haben und lieferten eine Woche nach Rosenmontag eine bunte Vorstellungen voller roter und gelber Karten, eleganter Flugeinlagen und Slapstick-Momenten, die jede Prunksitzung toppen. Es war jeck, Stani musste drüber lachen und am Ende sangen die Fans Lieder und die Spieler tanzten, ob eines glorreichen 1:0-Auswärtssiegs am Millerntor zu Sankt Pauli.
Ausgangslage:
Die Situation war wie geschaffen für eine bittere Effzeh-Niederlage. Mit St. Pauli empfing die schlechteste Rückrundenmannschaft Stanis seit neun Spielen unbesiegte Truppe. Die Hamburger hatten es sogar geschafft über die Saison eine noch schlechtere Chancenauswertung als unsere Jungs auf den Rasen zu zaubern. Wer den Effzeh kennt, der weiß, dass schlechteste Gegner ja bekanntlich die schwersten sind. Die Bilanz gegen die letzten drei Teams der Tabelle? Sechs Punkte aus vier Spielen. Darunter furiose Partien wie ein 0:0 gegen Sandhausen.
Holger Stanislawski reagierte auf die maue Offensivleistung im letzten Auswärtsspiel gegen Cottbus mit einer offensiveren Ausrichtung. Der Effzeh agierte von Beginn an im 4-2-2-2, wobei Stefan Maierhofer sein Debüt in der Sturmspitze gab. Ujah spielte wahlweise etwas hängend hinter Maierhofer oder, wie sich im späteren Spielverlauf herausstellte, auch gerne mal auf dessen Füßen.
Daneben hatte sich Matthias Lehmann durch geschickte Interviewführung wieder zurück in die Mannschaft gewurschtelt, ihm wurde Tobias Strobl zur Seite gestellt, womit sich eine komplett neue Schaltzentrale in der Mitte ergab. Auf den Außenpositionen begannen Clemens (links) und Royer (rechts). Michael Frontzeck setzte bei den Hanseaten auf die Innenverteidigung Mohr/Thorandt, im Sturm begann Ginczek. Warum das erwähnenswert ist? Das zeigt sich im weiteren…
Spielverlauf
Das Kölsch stand noch gar nicht richtig auf dem Tisch und Mutti war auch noch gar nicht fertig mit den Schnittchen, da führte der Effzeh schon mit 1:0. Christian Clemens bewies zum wiederholten Male, dass er über einen äußerst starken und präzisen Schuss verfügt. Aus etwa 22 Metern in halbrechter Position zwirbelte er den Ball mit Effet und Härte rechts um die freibeuterische Mauer herum gezielt gegen den Innenpfosten, so dass St. Paulis Keeper Philipp Tschauner keinerlei Chance hatte, an den Ball zu kommen. Die Entscheidung. Auch wenn das zu diesem Zeitpunkt niemand ahnte.
Vorausgegangen war dem Freistoß ein auch nach mehreren Zeitlupen eher mysteriös erscheinendes Foul, bei dem St.Paulis Innenverteidiger Thorandt Stefan Maierhofer am Knöchel getroffen haben soll. Der Österreicher in Diensten des Effzehs schien sich aber höchst elegant in die eigenen Beine getreten zu haben und sank zu Boden. Schiedsrichter Manuel Gräfe zückte die Gelbe Karte.
Manche Fans freuen sich nach einem frühen 1:0 ihrer Mannschaft. Die Bayern zum Beispiel, die können sich dann beruhigt zurücklehnen, weil dann nix mehr anbrennt. Auch der FC Bayern der zweiten Liga, Eintracht Braunschweig, zeigte in dieser Saison wiederholt, wie man ein 1:0 verwaltet. Der gemeine Effzeh-Fan weiß allerdings, dass ein frühes 1:0 unserem Team nicht gut tut. Gar nicht gut. Nachdem Clemens kurz nach der Führung noch einen halbwegs gefährlichen Distanzschuss abgegeben hatte und Strobl eine Ecke volley auf Tschauner drosch, froren die Angriffsbemühungen von Stanis Elf erst einmal ein. Der quirlige Ginczek, der gar nicht so quirlig aussah, bereitete der Effzeh-Abwehr immer wieder Probleme, war im Abschluss aber oft inkonsequent, so wie all seine Teamkollegen. Irgendwie konnte man mit der Zeit nachvollziehen, warum das mit den Toren und dem FC St. Pauli derzeit keine so fruchtbare Partnerschaft ist.
Markus Thorandt beendete seinen Arbeitstag nach einem (so halb) verschuldeten Freistoß, drei bösen Stockfehlern und 43 Minuten Spielzeit, in dem er gelbverwandt den wegeilenden Royer an die Schulter packte. Klarer Fall für eine Ampelkarte. Dem allgemeinen FC-Fan schlotterten von diesem Zeitpunkt an noch mehr die Knie. Eine frühe Führung und ein Platzverweis für den Gegner? Schlechte Vorzeichen. Zumal die Mannschaft auf dem Feld nun wirklich keinen souveränen Eindruck hinterließ und Sekunden vor Schluss in Person von Stefan Maierhofer/Anthony Ujah (war nicht richtig zu erkennen, da beide wie so häufig in diesem Spiel exakt die gleiche Aktion zur gleichen Zeit an gleicher Stelle ausführten) eine riesige Kopfballmöglichkeit vergab, was zur knappen Pausenführung langte.
Die Befürchtungen bewahrheiteten sich in Halbzeit zwei. Nachdem 10 Minuten lang nichts passiert war, fingen die Paulianer, bei denen Frontzeck fortan mit einer Dreierkette in der Verteidigung agierte, damit an, mehr und mehr Druck auszuüben. Und auch wenn der Effzeh nicht immer clever verteidigte, so wollten keine hundertprozentigen Chancen für den FC St. Pauli herausspringen. Ginczek versuchte es immer wieder und auch einige der neun Kringe-Ecken flogen gefährlich vors Tor. So hatte St. Pauli am Ende zwar einen Torschuss mehr auf dem Konto, was aber die Wertigkeit der Chancen anbelangt, war der Effzeh deutlich überlegen, was vornehmlich an der unübertroffenen Schlussphase lag.
Die Hamburger schmissen ab der 75. Minute alles nach vorne. Tatsächlich öffneten sich auch Räume. Diese nutzte das Team, das sich selbst als „stark im Umschaltspiel“ nennt, derart dilettantisch, dass zu einer hervorragenden Prunksitzungs-Showeinlage wohl nur der Tusch gefehlt hat. Vier gegen eins? Kläglich vergeben. Strobls „Flanke“ zum im Strafraum völlig freistehenden Maierhofer? Völlig verunglückt. Lehmanns Schuss freistehend vor Tschauner? Reinhard Mey lässt grüßen. Als St. Paulis zweiter Innenverteidiger Mohr dann in der 89. Minute nach einem Tritt gegen Hector auch noch Gelb-Rot sah, war praktisch kein St.Pauli-Verteidiger mehr hinten. Doch Maierhofer hatte wohl Mitleid mit den Hamburgern und ließ sich völlig alleine ungefähr eine Minute Zeit, um Tschauner anzuschießen. Kurz danach pfiff Schiedsrichter Manuel Gräfe ein kurioses Spiel ab, in dem der Brasilianer Bruno Nascimiento sein Debüt feierte und nach seiner Einwechslung ein Stück kölscher Spielkunst miterlerben durfte.
Spieler im Fokus
Christian Clemens: Er ist inzwischen die Kölner Lebensversicherung. Clemens scheint der einzige Spieler zu sein, der über einen formidablen Schuss verfügt. Den traut er sich auch immer häufiger, aufs Tor zu ziehen, was durchaus erfreulich ist. Wächst immer besser in die Führungs- und Hoffnungsträgerposition herein, in die er vor der Saison ein wenig gedrängt wurde.
Doppelspitze Ujah/Maierhofer: Wie im Text schon erwähnt, brachte das Projekt nicht den erhofften Erfolg. Maierhofer kam viel zu häufig über die Außen, in der Mitte standen sich beide häufig selbst im Weg, rannten sich gleich mehrfach um. Maierhofer zeigte sich im Abschluss kläglich, behauptete den Ball aber oft stark und hatte die mit Abstand besten Zweikampfwerte aller Spieler auf dem Feld. Es gibt wohl nur wenige so zweikampfstarke Stürmer. Ujah zeigte, dass ihm die Rolle als hängende Spitze nicht wirklich liegt oder dass er hier zumindest Zeit braucht.
Matthias Lehmann: „Wenn man reinkommt, muss man etwas zeigen“, gab der zentrale Mittelfeldspieler unlängst im Kicker zu Protokoll und bat darum, zu einer ruhigeren Phase im Spiel eingewechselt zu werden. Lehmann durfte dieses Mal beginnen und fand nach dem schnellen 1:0 ein ruhiges Spiel vor. Danach zeigte er seinen berühmten Querpass ins Aus und das völlig abhanden gekommene Schussgefühl gleich in mehreren Aktionen. 28 Pässe, 12 Fehlpässe sprechen eine deutliche Sprache. Lehmann sollte noch einmal darüber nachdenken, was genau man zeigen muss.
Tobias Strobl: Licht und Schatten lagen eng beieinander. Stark in der Balleroberung. So unterband er beispielsweise äußerst fair einen sehr vielversprechenden Konter der Hamburger. Auf der anderen Seite waren seine Offensivaktionen unglücklich, wie beispielsweise die fürchterliche Flanke auf Maierhofer. Gewann fast doppelt so viele Zweikämpfe (20) wie Mittelfeldpartner Lehmann (11).
Fazit
Es war nicht einmal unverdient. Aber verdient war es dann letztendlich eigentlich auch nicht. So richtig einschätzen kann man dieses verrückte Spiel nicht. Eigentlich hätte der Effzeh aufgrund seiner Chancen 4:0 gewinnen müssen, doch ebenso gut hatte man immer das Gefühl, dass St. Pauli nah dran war am 1:1. Souverän ist anders, aber am Ende steht ein Sieg, nur noch sechs Punkte Abstand zur Relegation und ein fünfter Tabellenplatz für eine Mannschaft, die sich in Hamburg nicht mit Ruhm bekleckerte.
Nun wird der gemeine Effzeh-Fan aber sagen: Ein dreckiger Sieg beim formschwächsten Team der Liga, das nur noch neun Spieler und keinen Innenverteidiger mehr auf dem Feld hatte? Klingt gar nicht nach Effzeh. Müssen wir uns daran jetzt etwas gewöhnen? Und führt uns das jetzt in die erste Liga? Auf beide Fragen lautet die Antwort: Hoffentlich nicht.
Stimmen
Miso Brecko: “Dreckiges Spiel. Wichtig sind die drei Punkte. Wenn wir kein Tor mehr schießen können, dann bleibt es halt beim 1:0. So Fans wie hier gibt es selten. Unsere Fans sind überragend, aber die von St. Pauli muss man auch loben. Das ist mehr als Fußball, das ist ein super Gefühl und das gibt es nicht oft. Respekt an den Verein, so etwas ist besonders. Vielleicht wollten wir nicht so viel riskieren, weil wir wussten wie wichtig das hier ist, trotzdem mussten wir einige Sachen besser ausspielen. Wir dürfen nicht so viel überlegen, einfach draufhauen und an sich selber glauben. Viele von uns können Tore schießen und werden das auch noch machen in dieser Saison. In vier, fünf Spielen werden wir sehen, was die Tabelle sagt, aber erst einmal müssen wir unsere Hausaufgaben machen.”
Stefan Maierhofer: “Von der ersten Minute an ein Spiel mit Leidenschaft, mit Wille. Die beiden Mannschaften wollten unbedingt. Ein Riesen-Kompliment an die Zuschauer. Es war das Spiel, auf das uns der Trainer auch eingestellt hat. Harter, schwieriger Platz. Mich pusht diese Stimmung. Wenn du in der 80. Minute 28.000 Fans hast, die ihr Team nach vorne peitschen und auch die Pfiffe. Mir taugt sowas. Das ist absolut geil, dafür spielst du Fußball. Im Endeffekt musst du sagen: Wir haben das umgesetzt, was der Trainer uns gesagt hat. Ich freue mich aufs nächste Heimspiel. Das wird sicher auch wieder geil. Wir müssen sehen, dass wir dann wieder mehr spielerische Akzente setzen. Das war heute phasenweise okay, wir müssen einfach diesen Tick konsequenter sein. “
Holger Stanislawski: “Wir freuen uns, dass wir drei Punkte geholt haben. Wir sind froh, dass wir endlich mal nicht mehr Neunter sind, denn ich habe das Gefühl, wir sind das ganze Jahr Neunter. Es ist brutal eng alles, aber es hat heute richtig Spaß gemacht, das Spiel zu begleiten, auch wenn es ein Stück weit Nerven gekostet hat. Jetzt haben wir das nächste Highlight-Spiel gegen Union Berlin vor der Brust und drücken St. Pauli natürlich die Daumen, ich ganz besonders auch. Wir wollten bewusst da vorne wen haben, den wir als Zielspieler anspielen können. Ich glaube, dass er das ganz ordentlich gemacht hat. Natürlich hat er lange nicht gespielt und ihm fehlte auch die Sicherheit, aber er ist auf dem richtigen Weg. Wir haben das nicht immer so gemacht, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir müssen viel flexibler spielen, viel mehr Situationen da vorne suchen, aber insgesamt war ich mit Maierhofers Leistung zufrieden.”
FC St. Pauli: Tschauner – Kalla, Mohr, Thorandt, Schachten – Funk (64. Bruns), Kringe – Bartels (80. Gogia), Thy, Bruns (64. Ebbers) – Ginczek
1. FC Köln: Horn – Brecko, Maroh, McKenna, Hector –M. Lehmann, Strobl, Royer (70. Bigalke), Clemens (81. Matuschyk)- Ujah(85. Nascimento), Maierhofer
Tore: 1:0 Clemens (3.)
Gelbe Karten: Thorandt, Mc Kenna -Maroh, Ginzcek, Strobl, Mohr, Boll, Tschauner
Gelb-Rote Karten: Thorandt, Mohr
Zuschauer: 29.000 (ausverkauft)
Schiedsrichter: Gräfe (Berlin)