Von unserem Gastautor Jörg Fröhling
Manche Momente bleiben im Kopf hängen. Zum Beispiel nach dem Heimspiel gegen Augsburg, als beim Auslaufen der – soeben geschlagenen – rot-weißen Götter ein als effzeh-Fan verkleideter Vollhonk an der Absperrung aus Leibeskräften „Stöger raus“ in den Abendhimmel röhrt. Oder aber auf Schalke, als Tünn Ujah nach seinem Treffer zu den frenetisch jubelnden effzeh-Fans läuft – die Arme so weit ausgebreitet, als wolle er die ganze ruut-wiesse Welt umarmen. Eine Woche liegt zwischen diesen beiden Szenen – mit Spielen, in denen die Fans jeweils zwei komplett andere Halbzeiten gesehen haben. Unterschied: Auf Schalke ging der Plan von Stögers Pitter auf – und mit einer cleveren taktischen Leistung, etwas Glück sowie jeder Menge Einsatzwillen konnte der effzeh eine mehr als 20 Jahre währende sieglose Serie beim CL-Achtelfinalisten im nördlichen Ruhrgebiet beenden.
Ausgangslage:
Könnte unterschiedlicher nicht sein. Bei den Knappen vier Siege aus fünf Spielen; zuletzt die Qualifikation für das CL-Achtelfinale. Beim effzeh genau andersrum – das CL-Achtelfinale fehlt natürlich, aber das kommt noch. Grund genug, mit einem gewissen Unwohlsein den Weg nach Gelsenkirchen anzutreten – das mit zunehmendem Spielverlauf der Verblüffung wich, wie gut die rot-weißen Götter mit dem vermeintlich großen Gegner umzugehen wussten; aber auch, wie hervorragend Stögers Pitter seine Jungs auf die Partie eingestellt hatte.
Aufstellung:
Matze Lehmann hatte seine Gelbsperre abgesessen. Das erlaubte dem Trainer, mit einer Dreifach-Sechs aus Routinier Lehmann sowie den deutlich offensiveren Kevin Vogt und Yannick Gerhardt dem Gegner zu Leibe zu rücken. Pawel Olkowski rückte wieder nach hinten; für ihn musste Miso Brecko auf der Bank Platz nehmen. Beim Gegner konnte der angeblich angeschlagene Klaas-Jan Huntelaar von Beginn an auflaufen; der tatsächlich angeschlagene Marco Höger gehörte dagegen nicht zur Startaufstellung.
Spielverlauf:
Angenehm überrascht! „Heute lassen wir uns aber nicht nur hinten reindrängen“, wird der ruut-wiess geneigte Zuschauer direkt zu Beginn festgestellt haben. Nur sechs Minuten dauert es, bis Tony Ujah mustergültig bedient von Kevin Wimmer frei vor Ralf Fährmann auftaucht – leider klar im Abseits. Dann muss der ruut-wiess geneigte Zuschauer seine Meinung bereits wieder revidieren – mutmaßlich sehr zur Freude des Gelsenkirchener Greenkeepers, der zur Kenntnis nehmen konnte, dass der Rasen in der Schalker Hälfte höchstens mal durch Keeper Fährmann beansprucht wurde, der sich ja irgendwo die Beine in den Bauch stehen musste.
Das alte Lied also? Keineswegs: In zwei dicht gestaffelten Ketten steht der effzeh in der Defensive enorm sicher und lässt nur wenige Chancen zu – vor allem eingedenk der Tatsache, dass Schalke nun gefühlt 95 Prozent Ballbesitz hat. Allerdings: Der Ballbesitz findet vor allem da statt, wo er dem effzeh nicht weh tut – die meiste Zeit suchen die Knappen eine Lücke, die nicht da ist, und kommt es doch mal zu einem Schuss, ist ganz bestimmt ein kölsches Bein, ein ebensolcher Kopf oder ein anderes regelkonformes Körperteil aus der schönsten Stadt Deutschlands dazwischen. Nur wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel: Zum Beispiel in der 9. Minute, als Timo Horn gegen Choupo-Moting retten muss und sich zeigt, dass der Kerl mit einem Ball ganz anders umgehen kann als mit einem Faxgerät. In der 26. Minute kommt Meyer zum Schuss – einen Hauch daneben. Das war es aber auch schon mit nennenswerten Chancen; so dass sich auf den Rängen – zumindest bei allen, die nicht die Farben des faszinierendsten Fußballclubs des Universums trugen – eine gewisse Unzufriedenheit einstellte.
Wie schön, dass die direkt nach der Pause noch gesteigert werden konnte: Weltmeister Höwedes legt nach nur zwei Minuten für Yannick Gerhardt auf, der das Geschenk annimmt, mustergültig in den Strafraum zu Tony Ujah flankt, der wiederum mit einem strammen Schuss Fährmann keine Chance lässt. Was dann passiert – siehe oben.
Allerdings bleibt es nicht dabei. Wäre Fußball Boxen (was es glücklicherweise nicht ist), müsste man dieses völlig unerwartete Tor als Wirkungstreffer bezeichnen. Schalke wirkte verunsichert – und nach drei Spielen in sieben Tagen müde. Plötzlich bieten sich nicht den Gastgebern, sondern dem effzeh Räume – und die werden auch genutzt. In der 54. Minute bedient der bärenstarke Ujah mustergültig Dusan Svento, der es auch schafft, Fährmann zu umspielen. Den einsam auf das Tor zuhoppelnden Ball kann jedoch ein Schalker noch abfangen. Abfangen ist auch das Stichwort für die 66. Minute, als Höwedes im Strafraum den Trikot-Test bei Olkowski macht. Über die Entscheidung zum Elfmeter kann man diskutieren, über die Ausführung nicht: Humorlos nennt man es wohl, wie Matze Lehmann den Torhüter verlädt – das Stadion tobt, und zwar jeder, wie er kann.
Stögers Pitter will nun dichtmachen: Er wechselt den unauffälligen Risse gegen Maroh als dritten Innenverteidiger aus – trotzdem stellt sich die erwartete Abwehrschlacht nicht ein. Das Spiel entwickelt sich zu einem offenen Schlagabtausch. Nur manchmal blitzt die individuelle Klasse der Schalker auf, der sich aber Hennes Mannen mit Kampfkraft und dem sicheren Gefühl, dass heute was geht, entgegenstemmen.
In der 84. Minute narrt Sane (nicht Süleyman, sein Sohn) Mergim Mavraj und köpft zum Anschlusstreffer ein. Schalke wacht noch mal auf – gefährlich wird es aber nicht mehr. Außer für den eingewechselten Bröker, der in der 93. Minute von Fährmann umgenietet wird. Konnte man über die Szene, die zum ersten Elfer führte, diskutieren – hier wäre definitiv einer fällig gewesen.
Szene zum Abwinken: Irgendein Idiot kommt bei den Diskussionen an der Seitenlinie auf die Idee, Schalkes Co Hübscher mit einem Sturmfeuerzeug zu bewerfen – wenn man selber nichts im Kopf hat, sollte man nicht auf den anderer Leute zielen. Bleibt zu hoffen, dass der Täter ermittelt wird. Egal, welche Farben er trägt: Solche Leute gehören in kein Stadion der Welt.
Spieler im Fokus:
Antony Ujah: Man of the match. Nicht nur Torschütze, sondern überall präsent. Der Mann hat nicht nur et kölsche Hätz, sondern auch technisch eine Entwicklung genommen, die die notorischen Kritiker niemals für möglich gehalten hätten. „Tünn“ und der effzeh – da haben sich zwei gefunden.
Yannick Gerhardt: Er ist wieder da. Bärenstarke Partie des Youngsters. Überzeugende Körpersprache, Einsatzbereitschaft, am Samstag ein Motor im effzeh-Spiel mit guten Ideen. Sollte er jemals Lissabon nachgetrauert haben – seit gestern dürfte das vergessen sein.
Benedikt Höwedes: Ein weltmeisterlicher Unglücksrabe. In ihm personifiziert sich die Feststellung, dass es wohl in der Bundesliga nur ein Team gibt, das die Doppelbelastung aus Liga und Champions League ohne Qualitätsverlust verkraften kann. Der effzeh muss schon jetzt für die kommenden Jahre gewarnt sein!
Fazit:
Ein verdienter Sieg, weil der effzeh cleverer gespielt und seine Chancen cool ausgenutzt hat. Eine richtige und effziente Spielweise gegen einen müden Gegner. Kompliment an die Mannschaft und den Trainer, die in diesem Spiel sehr vieles richtig und die Fans begeistert haben. Und demjenigen, der vor einer Woche „Stöger raus!“ gebrüllt hat, sei dies mit auf den Weg gegeben: „Halt’s Maul!!!“
Stimmen zum Spiel:
Peter Stöger: Das war meiner Meinung nach ein sehr gutes Spiel von uns. Wir haben in der ersten Halbzeit defensiv alles richtig gemacht. Wir haben den Ball laufen gelassen, wenn es möglich war. Wir wussten dass wir sie ein wenig in Bewegung bringen müssen, weil sie unter der Woche ein Championsleague-Spiel hatten, um ihnen so vielleicht ein wenig müde Beine zu machen. Und wir wussten dass je weiter das Spiel fortgeschritten ist, desto mehr Möglichkeiten werden wir bekommen. In der zweiten Halbzeit wollten wir offensiver verteidigen, die Dreierkette höher anlaufen und auch mehr Risiko gehen. Das haben wir alles gemacht und der Spielverlauf war dann auch auf unserer Seite. Wir sind eine Mannschaft die in der Entwicklung ist. Entwicklung bedeutet, dass man sich etwas Zeit nehmen muss. Das geht eben nicht in 12- 13 Spielen, dass die Mannschaft bundesligatauglich wird. Was uns stark macht ist die Gruppe. Das haben wir in dieser Woche oft besprochen. Es hat alles gegriffen, das freut mich. Jetzt können die Jungs stolz auf sich sein. Man kann von Menschen nicht erwarten, dass sie alles auf Knopfdruck wissen und umsetzen können. Von mir bekommen sie die Zeit zu reifen. Es wäre auch schön, wenn das Umfeld ein wenig mehr Verständnis dafür hätte, wenn es mal wieder nicht so richtig läuft. Wir versuchen immer das Beste herauszuholen. Es gibt glaub ich keinen in der Mannschaft, der sich nicht wünscht, den Fans jetzt mal einen Heimsieg zu schenken. Wir arbeiten daran.
Anthony Ujah: Nach den letzten eher schlechten Partien, war das ein sehr wichtiger Sieg für uns. Schalke ist eine große Mannschaft. Wir haben sehr viel gearbeitet und ich bin sehr glücklich. Ich bin zufrieden mit mir, aber ich will noch mehr leisten vor allem für die Mannschaft. In den letzten Spielen habe ich getroffen, aber es hat nicht zum Sieg gereicht. Heute die drei Punkte sind wichtiger als meine Tore. Wir wollen gegen Mainz für unsere Fans gewinnen.
Matthias Lehmann: Da haben nur Wenige mit gerechnet, aber vielleicht gehofft. Wir haben uns viel vorgenommen und sind natürlich überglücklich, dass wir hier heute gewonnen haben. Wir sind in der Woche zurück zu den Basics gegangen, das heißt gut stehen, verschieben, Räume eng machen. Das haben wir in der ersten Halbzeit ganz gut gemacht, auch wenn Schalke mehr Ballbesitz hatte und einzwei Chancen, aber keine klaren. Wir wussten, dass es schwer wird das zu verteidigen. Dann haben wir mit der ersten richtigen Chance aus dem Nichts das Einsnull gemacht. Dann haben wir uns aber nicht zu stark zurückgezogen, sondern weiter mitgespielt. Am Ende wurde es dann noch mal extrem hitzig und spannend, aber dementsprechend froh sind wir, dass wir gewonnen haben. Wir wollen am Dienstag gegen Mainz nachlegen, das wird schwer genug.
Yannick Gerhardt: Wir sind heute an unsere Leistungsgrenze gegangen, sonst klappt es auch nicht auf Schalke. Wenn dann am Ende drei Punkte auf dem Konto stehen, nimmt man aber gerne in Kauf, dass man total kaputt ist. Ich habe immer an mich geglaubt, und war froh, dass mir der Trainer wieder das Vertrauen geschenkt hat. Und dass jetzt ein Sieg glückt mit mir in der Startelf, ist mir sehr wichtig. Wir haben in der Trainingswoche sehr viel Wert auf die Defensivarbeit gelegt. Das ist uns dann auch im Spiel sehr gut gelungen. Das Gegentor ärgert uns natürlich, aber wenn am Ende die drei Punkte stehen, ist das auch egal. Nach dem Gegentreffer wurde ich noch mal kurz nervös, weil ich auch die Spielzeit nicht richtig im Auge haben konnte. Wir haben als Mannschaft gut gefightet und damit auch verdient gewonnen. Ich hoffe wir können jezt auch mal vor heimischer Kulisse einen Sieg einfahren. Das hätten die Fans verdient.
Statistik:
effzeh: Horn – Olkowski, Mavraj, Wimmer, Hector – Lehmann – Risse (67. Maroh), Vogt, Gerhardt, Svento (79. Bröker) – Ujah
FC Schalke 04: Fährmann – Uchida, Neustädter, Kirchhoff, Höwedes, Fuchs (75. Sane) – Barnetta (58. Clemens), Aogo, Meyer (83. Sam) – Choupo-Moting, Huntelaar
Tore: 0:1 Ujah (46.), 0:2 Lehmann (67., FE), 1:2 (85. Sane)
Gelbe Karten: Wimmer (41.), Höwedes (66.)
Schiedsrichter: Felix Brych (München)
Zuschauer: 61.615