Folge uns
.

Kolumnen

Das Coronavirus und der Fußball: Stirb, Profifußball!

In der Corona-Krise fallen die Masken des Profifußballs. Die meisten seiner Protagonisten zeigen, dass sie jede Bodenhaftung verloren haben. Sie tragen ein unmoralisches und teures System. Es ist Zeit für ein neues. Vielleicht gibt es demnächst die Gelegenheit dazu. Eine Polemik.

Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images

Heilsame Schocks sind selten. Meistens stammen sie von Erlösungsfantasien, Verschwörungstheorien oder Wochenhoroskopen. Manche deuten den Brexit bis heute als heilsamen Schock für die EU, die letztere angeblich benötigte, um zu überleben. Die Bilder aus Griechenland oder manche autoritären Entwicklungen verhöhnen diese These. Der Brexit war, welch Überraschung, kein heilsamer Schock.

Auch die Corona-Krise löst bei manchem nun den Glauben an einen heilsamen Schock aus: Werden wir danach nicht alle solidarischer sein? Werden “systemrelevante” Bereiche nicht nur Applaus, sondern auch mehr Geld und Personal erhalten? Wird die Krise das Vertrauen in die Wissenschaft wieder stärken? Die Antworten auf diese Fragen kennt niemand. Auch auf die Frage, wie es mit dem Profifußball nun weitergeht. Doch gerade hier sehne ich mich nach einem heilsamen Schock. Denn der Kapitalismus hat hier eine besonders abstoßende Parallelwelt erschaffen.

Ein mit Geld vollgepumpter Gladiatorenzirkus

Es gibt kein System, in dem so viele dumme und asoziale Menschen für unnötige Dinge so viel Geld bekommen. Es gibt kein System, in das so viel Geld gepumpt wird, obwohl die Hauptfiguren unprofessionell arbeiten. Es gibt kein System, das sich stärker gegen Externe wehrt, weil das Geld bei den Leuten im System bleiben soll. Wer daran zweifelt, schaue sich eine Folge Doppelpass auf Sport1 an.

Auch interessant
Der europäische Fußball in der Krise: Was lässt sich aus dem Erfolgsmodell NFL übertragen?

Umso stärker empfinde ich Genugtuung für die Hilflosigkeit, mit der die “Bonzen” (O-Ton FC-Ultra Stephan Schell) des Fußballs jetzt staatlichen Eingriffen ausgeliefert sind. Wie sie nun versuchen, der Öffentlichkeit ihre Systemrelevanz aufzuschwatzen und dabei scheitern. Mit jedem Tag wird ihnen klarer, dass ihr luxuriöser Gladiatorenzirkus verzichtbar ist. Die Parallelwelt, in der sie sich jahrelang mit Geld bereicherten, das an anderer Stelle schon immer besser aufgehoben war, bröckelt. Ich hoffe, sie stürzt ein.

Abscheu gegen das System und seine Hauptdarsteller

Es sind nicht nur Hans-Joachim Watzke, der in der Sportschau erzählt, dass Covid-19 für seine Sportler keine Gefahr darstelle, oder Amine Harit, der inmitten der Virusverbreitung noch fröhlich Shisha raucht, die in mir Abscheu auslösen. Es ist auch die Geltungssucht, mit der alle ihr ach so soziales Engagement in den Vordergrund drängeln wollen. Dietmar Hopp stellt dabei alle in den Schatten. Er inszenierte sich als Philantrop, der mit einer kleinen, bescheidenen Firma einen Impfstoff für die Menschheit herstellen wolle.

Wie Captain Germany blockierte er die blitzenden Attacken der egoistischen, dummen Amerikaner. War das nicht toll? Endlich wieder eine deutschen Heldensage! Und was für eine: Die Kampagne für Hopps Biofirma war ein voller Erfolg. Er konnte sein Image aufpolieren und seine Firma erhält von der EU nun Fördergelder in Millionenhöhe, obwohl das Werben der USA um die Firma längst nicht so stark war, wie es in Deutschland dargestellt wurde.

Die Profifußballer gehen, wenn nicht in die Shishabar, auf Tauchstation. Ihnen fehlt gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein. In der NBA übernimmt der 19-jährige Zion Williamson die Gehälter der Club-Angestellten, denen nun das Einkommen fehlt. Von seiner Sorte gibt es, gerade in den USA, viele. Es ist kein Zufall, dass kaum ein Fußballspieler unter ihnen ist. Lionel Messi wird schon für einen harmlosen Aufruf zum Zuhausebleiben gefeiert. Cristiano Ronaldo? Funktioniert seine Hotels doch nicht zu Krankenhäusern um. Wieso er als Fußballspieler mehrere Hotels besitzt, wird gar nicht mehr hinterfragt.  Hierzulande stellen Leon Goretzka und Joshua Kimmich mit “We kick Corona” nur Ausnahmen dar.

Der heilsame Schock ist ein Wunschtraum

Das Gros der Profifußballer sitzt in seiner Villa und wartet, bis es weitergeht. Für Genugtuung sorgt bei mir auch das ungewisse Schicksal all der Speichellecker, Schreihälse und Gesundstoßer, die das Umfeld des Profifußballs prägen. Egal ob sie auf Sky die Fans verunglimpfen, im Kicker oder der Bild fachmännisch (hahaha) ihren Lieblingen Werbetexte spendieren, Profis “beraten” oder im Doppelpass fordern, dass Frauen im Stadion intensiver begrapscht werden sollen. Der Umstand, dass sie, die die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung machen, jahrelang so stark am Rockzipfel der Bonzen hingen, könnte ihnen jetzt endlich zum Verhängnis werden.

Auch interessant
Auch in schwierigen Zeiten: Fußball ist immer noch wichtig

Wenn Corona den Profizirkus samt seinen Rattenschwänzen dahingerafft haben sollte, stellt sich die Frage: Was nun? Mindestens die Profispieler sind ja noch da. Sie werden auch weiterhin hauptberuflich Fußball spielen, aber vielleicht für weniger Geld. Sie könnten die Freiheit genießen, dass sie nicht ständig von Paparazzi verfolgt werden. Für uns Fans blieben “Nachrichten” über Friseurbesuche Neymars erspart, weil sie in unserer Gesellschaft überflüssig sind.

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Wir könnten uns Fußballspiele ohne das Gefühl anschauen, in einer Werbeshow mit Animateuren gelandet zu sein. Die Medien könnten sich auf die Spiele konzentrieren. Sie könnten den Profifußball wieder als Unterhaltung erfassen und auf philosophische Deutungen, intellektuelle Verbrechen und Anstandslosigkeit verzichten. Die Amateurvereine könnten an identitätsstiftender Funktion und Publikum gewinnen. Ganz ohne Fußball ist’s ja schließlich doch scheiße.

Ganz ohne Fußball ist’s schließlich doch scheiße

Aber vermutlich muss ich die Hoffnung auf den heilsamen Schock schnell begraben. Wenn die Zeit der Verbote ‘rum ist, wird alles so weitergehen wie vorher. Wahrscheinlich wird es noch schlimmer. Die Branche prostituiert sich noch stärker, die Zeichen erkennen wir schon jetzt. Horst Heldt sinniert bereits über eine Abschaffung von 50+1 – was mir zeigt, dass sich der FC, nein, die DFL im Zweifel auch an China, Saudi-Arabien oder Ölkonzerne verkaufen würde, solange die nur genügend Geld bereit stellen. Und irgendjemand muss ja auch das Gehalt von Marco Höger, Timo Horn oder Anthony Modeste bezahlen, n’est pas?

Meine Hoffnungen werden also leider solche bleiben. Denn heilsame Schocks wird es in diesem von Gier angetriebenen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem kaum geben. Daran ändert auch Corona nichts.

Mehr aus Kolumnen

.