KOLUMNE | Wenn sich Cristiano Ronaldo… ähm… Portugal am Sonntagabend zum Europameister kürt, dürfte nicht nur die beeindruckende Titelsammlung des 31-Jährigen neue Dimensionen erreicht haben, sondern auch die Häme, die sich immer wieder über den Superstar ergießt. Vor allem natürlich wenn mal wieder alle Augen auf das runde Leder gerichtet sind – also bei großen Turnieren und in der Champions League. Die diesjährige Europameisterschaft macht dabei keine Ausnahme.
„Eitel“, „ein Schönling“, „arrogant“, „selbstverliebt“ und „egoistisch“, das soll dieser Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro sein – zumindest hat der Autor das Gefühl, man wolle ihm das dieser Tage überall einreden. Und weil das so stimmen muss, scheint es für manchen auch okay, drauf zu hauen, wo man nur kann.
Cristiano verschießt einen Elfmeter? Dieser Lappen! Und überhaupt, wussten Sie, lieber Leser, schon? Von 756 Freistößen (eigene Zählung) bei Europameisterschaften hat Ronaldo keinen einzigen verwandelt. Keinen einzigen! Dieser Blender!
Aber natürlich wussten Sie das, schließlich wird das in den deutschen Medien jedes Mal erwähnt, wenn Ronaldo zu seiner eigenwilligen Freistoß-Routine ansetzt. „Dann steht er da wie John Wayne“, so lauten die Sätze, die dann in die Mikrofone gesprochen werden, während sich am heimischen Fliesentisch Männer mit von Bier und Buletten geformten Körpern über das Versagen des vermeintlichen Schönlings lustig machen.
Das Stammtisch-Bärchen
Nachdem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich hatten die geneigten Zuschauer sogar das seltene und fragwürdige Vergnügen, ein solches Exemplar von Mann im TV erleben zu dürfen. Markus Lanz hatte zum abendlichen Talk nämlich auch „Bärchen“ – pardon – Waldemar Hartmann eingeladen.
Und spätestens nachdem der sich damit blamierte, dass er die Gründe für das deutsche Ausscheiden beim italienischen Schiedsrichter Nikola Rizzoli suchte und die Runde sich thematisch gerade dem Finale näherte, bekamen die Zuschauer eine eindrucksvolle Vorführung von Ronaldo-Bashing serviert.
„Da lässt er ja wenigstens das Trikot an“, freute sich der langjährige Nationalelf-Reporter zunächst als die anwesenden Damen in der Runde dem Körper des portugiesischen Superstars durchaus Positives abgewinnen konnten. Doch als die Sportmoderatorin Andrea Kaiser dann die spontanen Selfies mit Flitzern zum Anlass nahm, ihre Sympathien für den Portugiesen zu bekunden, brach es aus der Weißbier-Werbefigur Hartmann heraus.
„Gestern hatte er einen riesigen Brilli beim Warmmachen an, deshalb kommt der auch immer als Erster zum Training, weil er den Schmuck entledigen muss“, pöbelt Hartmann los. Ronaldo sei ein „eitler Fatzke“, der nur deshalb nicht tätowiert ist, weil ihm keiner genug Geld dafür geben würde, führte der 68-Jährige weiter aus und warf in seiner ganzen prächtigen Männlichkeit dann dem ebenfalls anwesenden Matze Knop vor, seine Cocktails mit Strohhalm und Schirmchen zu trinken. „Bärchen“, dieser echte Kerl, würde das natürlich nie tun.
Einer von vielen, verhasst wie keiner
Was Bärchen aber auch niemals tun würde, ist, in 641 Spielen 482 Tore und 177 Vorlagen zu erzielen. Und auch das soziale Engagement Hartmanns und der Stammtisch-Pöbler, die er repräsentiert, dürfte ziemlich überschaubar sein im Vergleich zum Superstar von Real Madrid, dem interessanterweise oft genau die Dinge vorgeworfen werden, die bei anderen Stars gefeiert werden. So arrogant wie die Sprüche von Zlatan Ibrahimovic waren die von Ronaldo jedenfalls noch nie. Spieler, die nur mit top-gestylten Haaren auf den Platz gehen, sind heutzutage ohnehin in der Mehrheit und eigene Schuh- und Mode-Linien für NBA-Stars schon seit den 90ern eine Normalität.
Aber auch sein ewiger Rivale um den Titel des besten Fußballers der Welt, Lionel Messi, kommt in der Öffentlichkeit stets besser weg als „CR7“. Bodenständig und bescheiden sei der Argentinier, der gerade zu Haft auf Bewährung wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde und zuvor nach einer erneuten Finalpleite bei der Copa America aus der Nationalmannschaft zurückgetreten ist. Ja, liebe Leser, wenn Messi verliert und deshalb heult, haben wir hier in Deutschland eher Mitleid. Verliert aber Cristiano Ronaldo, dann ist es Häme.
Doch was sind die Gründe für diese Abneigung? Warum mögen wir andere Superstars so viel lieber als “CR7”? Vermutlich ist es traurig simpel, aber wahr: Denn Ronaldo ist nicht nur einer der besten oder vielleicht der beste Spieler der Welt, stinkreich und berühmt wie andere Superstars auch. Nein, zu allem Überfluss ist er auch noch attraktiv, sozial engagiert und wenn man seinen Teamkollegen glaubt, ein recht netter Kerl, der sich übrigens deshalb nicht tätowieren lässt, weil er dann nicht mehr Blut spenden dürfte.
Messi ist klein, Suarez hat Zähne wie Bugs Bunny
Messi ist wenigstens klein, Ibra hat immerhin eine krumme Nase, Bale hatte lustige Segelohren und Suarez hat Zähne wie Bugs Bunny – während bei anderen Stars der Neid dadurch abgeschwächt wird, dass es irgendeine Kategorie gibt, in der man den Vergleich gewinnen zu können glaubt, funktioniert das bei Ronaldo einfach nicht. Er liefert keine Skandale und auf dem Platz ist er ohnehin über jeden Zweifel erhaben.
Vermutlich stürzen sich Hartmann und seine Stammtisch-Buddies deshalb auf den Superstar – und sind dabei ironischerweise so oberflächlich, wie sie das Opfer gerne darzustellen versuchen. Dieses Phänomen schlägt sich leider auch in der Berichterstattung nieder. Aktuelles Beispiel gefällig? Als Ronaldo kürzlich einem Reporter das Mikro entriss und wortlos in einen See schmiss, wurde daraus prompt ein kleiner Skandal inszeniert – zu groß war die Verlockung, das Klischee des abgehobenen Millionärs zu bedienen.
Dass der Portugiese jedoch genau wusste, für welchen Sender der Reporter im Einsatz war und was dieser zuvor fälschlicherweise über seine Familie berichtet hatte, war in den deutschen Medien nur sehr schwer zu erfahren. Nun stellen wir uns die gleiche Szene mal mit Zlatan Ibrahimovic vor. Oh, wir hätten sie gefeiert! Und das übrigens völlig zurecht – findet zumindest der Autor. Also, liebe Leser, was ist das eigentlich für 1 Neid?
Sehr geehrte Damen und Herren, das war die dritte Ausgabe der „Linksaußen“-Kolumne, deren Autor diese Position tatsächlich auf dem Platz bekleidet hat. Und jetzt sag mir noch mal einer, Mediensoziologie und Fußball hätten nichts miteinander zu tun.
PS: Wer sich nun bei der merkwürdigen Schreibweise mit der 1 fragt “Was ist das für 1 Scheiß?”, findet vielleicht ja hier erste Antworten.