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Nachspiel

Cannstatts Alptraum

Der Effzeh gewinnt so unglaublich abgeklärt in Stuttgart, dass man sich fragt, ob da tatsächlich ein Aufsteiger auf dem Feld stand. Jörg Schmadtke bleibt ganz ruhig, wir nicht.

Foto-Credits: Dirk Unschuld

Unaufgeregt stand Jörg Schmadtke in der Nachmittagssonne von Bad Cannstatt. Mit rotem Umhang und etwas asiatischeren Gesichtszügen hätte man ihn fast für den Dalai Lama halten können. Doch Jörg Schmadtke hatte ein hellblaues Hemd an und stand als Sportdirektor des zu diesem Zeitpunkt amtierenden Tabellenvierten der Ersten Fußball Bundesliga vor einer Werbetafel in der sogenannten Mercedes Benz Arena.

Foto-Credits: Dirk Unschuld

Foto-Credits: Dirk Unschuld

Man hätte meinen können, dass dieser Verein das schon immer gewesen wäre, Tabellenvierter. Man hätte auch meinen können, dass dieser Verein mit schöner Regelmäßigkeit 2:0-Auswärtssiege in der Bundesliga einsammeln würde, als Jörg Schmadtke nüchtern in die Kamera säuselte: “Wir haben nicht den Bus hinten eingeparkt, sondern absolut clever verteidigt.” Man hätte das alles auch so nüchtern hinnehmen können, was dieser Sportdirektor des Ersten Fußballclubs zu Köln von sich gab, denn er hatte absolut Recht. War ja so. Clever, souverän. Man könnte fast wagen zu sagen: “Im Stile einer Spitzenmannschaft.”

Ja, das könnte man alles so ruhig sagen, wenn es nicht immer noch so surreal wäre, dass da ein Aufsteiger am zweiten Spieltag seiner Rückkehr in die Bundesliga eine so unfassbar abgezockte Vorstellung hingelegt hat, dass man aus voller Überzeugung schreien muss: “WIE GEIL WAR DAS DENN????!!!”

Ganz kurz noch einmal zum Genießen: Höchst effektiv, taktisch reif und absolut verdient besiegte der 1. FC Köln den VfB Stuttgart in dessen eigenem Stadion. Hallo Bad Cannstatt, dein Alptraum ist zurück in Liga eins.

Ausgangslage

Zurück auf Anfang. Die rot-weißen Götter reisten zum zweiten Spieltag der Bundesliga nach Stuttgart, wo man auf den Verein für Bewegungsspiele von 1893 traf. Fast so alt wie der Klub selbst war vor dem Spiel aber dessen Negativbilanz gegen den 1. FC Köln. Seit 1996 hatten die Schwaben nicht mehr im heimischen Gottlieb Daimler Stadion gegen die Domstädter gewonnen. Seit fast 20 Jahren sieglos gegen die Geißböcke. Effzeh-Trainer Peter Stöger betonte aber vorher vollkommen richtig und in der ihm innewohnenden Trockenheit, dass er selbst ja sowieso noch gar keine Statistik in Stuttgart hätte und ihm das völlig egal sei.

Dementsprechend war klar, dass die Mannschaft, die um 15:25 Uhr das Feld in Stuttgart betrat, sicherlich nicht an irgendeine Bilanz dachte, da sie nämlich zu 90 Prozent die gleiche Statistik mit Stuttgart verbanden wie ihr Coach: Gar keine. Sowieso sind solche Statistiken nichts als schöne Spielereien.

Das wussten wir vorher ja auch selbst, wollten das nur nicht wahrhaben. Da Peter Stöger aber allen Fans des besten Vereins der Welt den Spaß an der Überinterpretation von Bilanzen genommen hatte, blickten wir ähnlich nüchtern aufs Spiel. Die Chancen auf einen Sieg standen 1 zu 3. Wie in jedem anderen Spiel auch. Galt übrigens auch für die Stuttgarter, um das mal in aller Nüchternheit zu sagen.

Personal

Wer nach reißerischen Schlagzeilen lechzt, der kommt leider auch in dieser Kategorie nicht auf seine Kosten. Peter Stöger änderte seine Mannschaft auf genau einer Position. Weil er Kevin Vogts beherzten Auftritt gegen den Hamburger SV noch im Kopf hatte und für etwas mehr Zielstrebigkeit und Direktheit im Offensivspiel sorgen wollte, stellte er den Neuzugang aus Augsburg für den technisch versierteren Adam Matuschyk auf die Doppelsechs neben Matze Lehmann.

Armin Veh machte sogar noch weniger und beließ es von Beginn an genau bei der Startformation, die am ersten Spieltag gegen die bösen Herren vom Niederrhein überzeugt hatte. Beide Trainer schienen also ihre Spiele tatsächlich gut und ruhig analysiert zu haben. Die Herren Gerhardt, Zoller und Olkowski saßen beim Effzeh übrigens von Beginn an draußen, weil nur elf Spieler auf dem Feld stehen durften. Wer daraus eine Schlagzeile basteln will, darf das gerne tun.

Spielverlauf

Gegen den Hamburger SV brauchte der 1. FC Köln ein paar Minuten, um in der Bundesliga anzukommen. In Stuttgart war das nicht der Fall. Zwar setzten sich die Schwaben in den ersten zehn Minuten in der Kölner Hälfte fest und hatten zunächst deutlich mehr vom Spiel, entwickelten allerdings kaum zwingende Aktionen, weil alle zehn Feldspieler beim Effzeh clever verschoben und nur äußerst wenig Raum ließen. Die erste gute Chance des Spiels hatte dann sogar der Effzeh. Nach einer scharfen Halfar-Ecke hätten sich die Stuttgarter den Ball nach acht Minuten fast selbst ins Tor geköpft, Außenverteidiger Sakai rettete allerdings auf der Linie.

Nach zehn Minuten verlagerte sich das Spiel etwas weiter ins Mittelfeld. Der Effzeh hatte die Stuttgarter Anfangsoffensive schadlos überstanden und wagte sich immer weiter nach vorne. Das zahlte sich relativ schnell aus. In der 22. Spielminute flankte Miso Brecko aus dem rechten Halbfeld relativ kurz und halbhoch in die Mitte. Der ebenfalls etwas kurze und halbhohe Daniel Halfar sah im Strafraum, dass endlich mal ein Ball auf seinen Kopf kam, verlängerte geistesgegenwärtig und brachte Stuttgarts Daniel Schwaab damit in Bedrängnis. Der schlug am Fünfmeterraum über den Ball, was Sven Ulreich zur Glanzparade zwang. Die Glanzparade landete allerdings genau vor den Füßen von Yuya Osako. Im Stile einer japanischen Version von Gerd Müller drückte der Neuzugang das Leder aus circa 124 Zentimetern Torententfernung über die Linie. Der Effzeh feierte sein erstes Bundesligator seit gefühlten 1948 Jahren.

Foto-Credits: Dirk Unschuld

Foto-Credits: Dirk Unschuld

Wer in der letzten Saison das eine oder andere Spiel der rot-weißen Helden gesehen hatte, der wusste, dass die Mannschaft von Peter Stöger nach einer Führung nur sehr schwer zu bezwingen war. Das alles galt aber für die Zweite Liga. Die Frage, die sich der bange Fan also stellte: “Klappt das mit dem Verteidigen auch so gegen einen waschechten Erstligisten?” Klare Antwort: “Und wie das klappte!” Der Effzeh spielte genauso weiter wie vor dem Treffer und verteidigte extrem geschickt. Das gesamte Team betrieb angefangen beim wieder unermüdlich ackernden Anthony Ujah einen enorm hohen Laufaufwand in der Defensive und ließ fast keine Stuttgarter Gelegenheiten zu. Im Gegenteil: Nach 33 Minuten hieß es auf einmal 0:2 (Null zu ZWEI!). Der Grund dafür? Kevin Wimmer hatte einen langen Diagonalball von hinten in die Stuttgarter Hälfte gespielt, was Nationalspieler (!) Antonio Rüdiger zum Anlass nahm, im Luftkampf mit Anthony Ujah böse am Ball vorbei zu segeln. Tony freute sich ganz kurz, dass er plötzlich so viel Raum hatte, zog direkt danach aber mit einem ungefähr 400 Stundenkilometern schnellen Flachschuss ab und donnerte die Kanone ins linke untere Eck von Ulreichs Tor.

Als Zuschauer schämte man sich fast, dass man doch tatsächlich beeindruckt war von dieser Zwei-Tore-Führung, da die Mannschaft auf dem Feld das alles äußerst gelassen hinnahm und weiter mit högschder Disiziplin und Souveränität verteidigte. Timo Horn musste lediglich noch einmal eingreifen, als er einen tückischen Didavi-Freistoß aus der linken unteren Ecke fischte. Danach war Halbzeit.

Spätestens nach der Pause war klar, dass der Aufsteiger so langsam unter Druck geraten müsste. Tat er aber nicht. Der Bus wurde weiterhin nicht hinten geparkt, sondern clever rangiert. Hin und her. Her und hin. Der Effzeh verschob stark und frustrierte die Stuttgarter mit zunehmender Spieldauer. Lediglich der zur Halbzeit eingewechselte Timo Werner brachte mit seinen Tempoläufen gegen Miso Brecko etwas Unordnung in das stahlharte Effzeh-Konstrukt. Der Sky-Kommentator sprach irgendwann vom “Roten Riegel”. Der Riegel agierte allerdings im Spielaufbau deutlich besser als gegen den Hamburger SV, was auch an der Präsenz von Kevin Vogt im Zentrum lag. Flach und geradlinig nutzte man die größer werdenden Räume und hatte noch eine gute Chancen durch Ujah (56.).

Stuttgart wurde ab der 70. Minute stärker und drängte den Effzeh allmählich nach hinten. Doch auch als sich die Schwaben tief in der Kölner Hälfte einnisteten, blieben sie in letzter Konsequenz weitestgehend ungefährlich. Die besten Möglichkeiten hatten Didavi, der Horn in der 63. Minute mit einem Schlenzer prüfte, und Sakai, der in der 71. Minuten aus wenigen Metern ans Außennetz schoss. Mitten in die Stuttgarter Drangphase hinein spielte der Effzeh in der 76. Minute einen tollen Konter über Osako und Ujah. Der Effzeh-Stürner bediente den mitgelaufenen Halfar. Frei vor Ulreich versuchte es Halfar mit einem schönen Lupfer von der Strafraumgrenze, der aber knapp links neben das Stuttgarter Tor ging.

In der letzten Viertelstunde passierte wenig. Stuttgart rannte an, jedes Mal bekam aber ein Kölner seinen Kopf, seinen Fuß oder irgendein anderes Körperteil an den Ball. Gefühlte 77 Mal forderten die VfB-Profis zudem einen Elfmeter, ohne wirklich einen Grund dafür zu haben. Erst in der 90. Minute hatten die Schwaben die erste Riesengelegenheit, als Ibisevic  Gentner völlig frei vor Horn auftauchte und den Ball nach einer Flanke per Direktabnahme über das Tor hob. Mehr war nicht drin für Stuttgart. Brych pfiff ab, Schmadtke sprach vom Bus. Das Leben ist schön.

© effzeh.com

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Spieler im Fokus

Anthony Ujah: Man kann ihn mögen oder nicht, doch eines kann man dem Nigerianer nicht vorwerfen: Fehlenden Einsatz. Wieder warf sich Ujah vorne wie hinten in jeden einzelnen Ball. Er würde wohl auch todesmutig in ein Kopfballduell mit einer Betonwand springen. Gegen Stuttgart zeigte er aber auch, warum man ihn als Stürmer und nicht als Ein-Mann-Abrisskommando nach Köln geholt hatte. Stark als Wandspieler und mit einem fulminanten Flachschuss zum 2:0. Nach 78 Minuten humpelte er verletzt vom Feld. Mit Fleißkärtchen am Schienbeinschoner geklemmt.

Kevin Vogt: Der Neuzugang rechtfertigte seinen Einsatz von Beginn an. War nach vorne nicht ganz so zielstrebig und gefährlich wie gegen den HSV, räumte aber hinten alles ab. Zweikampfstark und passsicher, präsent und geradlinig. War wichtig für einen geordneten Spielaufbau und hielt den Ball auf der Erde. Hin und wieder offenbart der Blondschopft aber einen leichten Hang zum Leichtsinn sowie kleinere technische Schwächen. Sollte er vielleicht noch abstellen, um im nächsten Jahr für 20 Millionen Euro vom FC Bayern als Xabi-Alonso-Ersatz geholt zu werden.

Yuya Osako: Der andere Neuzugang war kein Totalausfall wie noch gegen den Hamburger SV. Bewies beim goldenen 1:0 einen tollen Torriecher und zeigte sich stark im Umschaltspiel. Dennoch ist beim Japaner weiterhin viel Luft nach oben. Offenbarte wieder viele Ungenauigkeiten im Passspiel.

Abwehr: Wer es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht mitbekommen hat: Die Abwehr war bombenstark! Da will man keinen Spieler besonders rausnehmen. Ob Jonas Hector, der spielt wie ein 30-jähriger Routinier oder Miso Brecko, der als 30-jähriger Routinier nichts mehr mit dem höchst unsicheren Spieler zu tun hat, der er noch vor fünf Jahren war. Ob Kevin Wimmer, der ein Tor vorbereitete, oder Dominic Maroh, der in letzter Instanz immer zur Stelle war. Sie alle zeigten eine unaufgeregte und starke Leistung.

Fazit

Diese Leistung fällt ein wenig schwer in Worte zu fassen. Der Effzeh spielte stark. Aber es war nicht so, wie das sonst ist, wenn man sagt, dass ein Aufsteiger stark spielt. Nicht so, dass man unter höchstem Einsatz mit allen Mann verteidigt und einen leidenschaftlichen Sieg einfährt. Es war vielmehr so unaufgeregt wie ein Sieg des VfL Wolfsburg am 20. Spieltag gegen den SC Freiburg oder so etwas. Wenn das nicht der zweite Spieltag wäre und das kein Aufsteiger wäre, der da so souverän 2:0 gewonnen hat, wäre dieses Spiel gar nicht weiter erwähnenswert.

Foto-Credits: Dirk Unschuld

Foto-Credits: Dirk Unschuld

Es war nicht alles überragend, im Spiel nach vorne könnte man noch immer mehr Druck zeigen und technisch gelang bei Weitem nicht alles. Der Effzeh wird sicherlich auch noch auf stärkere Teams treffen als diesen VfB Stuttgart. Für einen Aufsteiger ist aber das, was die Mannschaft von Peter Stöger da gezeigt hat, eben auch fast das Maximale. Man kann nur aufbauen auf dieser disziplinierten und konsequenten Leistung, damit man nicht nur Cannstatts Alptraum wird, sondern auch der vieler anderer Offensiven in dieser Liga.

Die Statistik des Spiels:

1.FC Köln: Horn – Brecko, Maroh, Wimmer, Hector – Vogt, Lehmann – Risse (71. Olkowski), Osako (84. Matuschyk), Halfar – Ujah (77. Zoller)

VfB Stuttgart: Ulreich – Klein, Schwaab, Rüdiger, Sakai (76. Rausch) – Romeu, Gentner – Harnik (45. Werner), Didavi, Maxim (62. Kostic) – Ibisevic

Tore: 0:1 Yuya Osako (22.), 0:2 Anthony Ujah (33.)

Gelbe Karte: Marcel Risse (40.), Miso Brecko (60.), Filip Kostic (86.)

Schiedsrichter: Felix Brych

Zuschauer: 55 000

Stimmen zum Spiel:

Peter Stöger:“ Es muss uns klar sein, dass wir in der Bundesliga nicht elf oder zwölf Chancen herausspielen, deshalb ist es halt notwendig effektiv zu sein. Das trainieren wir und das hat heute schon wirklich sehr, sehr gut funktioniert. Wir haben gewusst, – wenn wir ihnen keine Räume geben, hinter unserer Abwehr, dann werden sie im Normalfall Probleme haben ihr Spiel durchzuziehen. Wenn wir dazu noch in der Lage sind, ab und zu heraus zu verteidigen und sie unter Druck zu setzen, provozieren wir wahrscheinlich Ballverluste und dann heißt es eben diese Gelegenheiten zu nutzen. Das haben wir gemacht und deshalb bin ich sehr zufrieden. Es war sehr viel Laufarbeit notwendig, das haben die Jungs richtig gut gemacht. Heute können wir wirklich stolz auf die Burschen sein.
Die Pause, die jetzt kommt ist schon okay. Man darf ja nicht vergessen, dass wir etliche Verletzte haben, das tut Ihnen sicher gut und wenn die Ergebnisse so sind wie momentan, dann werden sich die Jungs noch mehr beeilen um zurückzukommen. Wir sind im Pokal weiter und sind ungeschlagen in die Saison gestartet. Wir wissen wenn wir vieles richtig machen, dass wir konkurrenzfähig sind. Das ist erfreulich!“

Tony Ujah:“Der Trainer hat uns sehr gut vorbereitet auf dieses Spiel. Wir wussten was auf uns zukommt, da wir auch Videoanalyse gemacht haben und das hat gut funktioniert. Das wichtigste aber war, dass alle Spieler Hundertprozent abgerufen haben. Hoffentlich geht es so weiter.“

Kevin Wimmer: „ Wir haben den Gegner sehr genau analysiert und haben versucht es heute so gut es ging auf den Platz umzusetzen. Wir wollten tief stehen und erst spät stören, um dann bei Ballgewinn sehr schnell umzuschalten. Das ist uns gut gelungen, allerdings hätten wir die Konter noch besser ausspielen können, dann wäre das Ding schon früher klar gewesen für uns. Hinten haben wir sehr gut gestanden, haben wenig zugelassen. Ich glaube Stuttgart hatte nicht wirklich eine Großchance, von dem her können wir sehr zufrieden sein.“

Dominic Maroh: „Das Ergebnis ist unschlagbar. Tolles Wochenende! Es dreht jetzt keiner durch in Köln. Aber ich schau mir die Tabelle zu Hause am Videotext schon mal eine halbe Stunde an.“

 

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