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Nachspiel

Bayrische Winterdepressionen

Ein Wintertag in Ingolstadt. Es gibt schönere Dinge auf der Welt. Und es gab schönere Fußballspiele als das zwischen dem FC Ingolstadt und dem effzeh. Das Auge des Betrachters war schon einmal entzückter als von der drögen Darbietung in der Audistadt.

Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Es sind diese Tage, die viel zu früh zum Abend werden. Tage, die eigentlich gar nicht schnell genug vorbeigehen könnten, weil sie eigentlich doch kein Mensch braucht. Voller grauer Tristesse an der ständigen Grenze zum Nullpunkt. Tage, an denen sich nicht einmal Regen und Schnee entscheiden können und gemeinsam einen widerlichen Mischschauer bilden, weswegen sie gewöhnliche Menschen unsanft und möglichst schnell in die eigenen vier Wände treiben. Tage, an denen sich wohl selbst bei Parship nur alle 30 Minuten ein Single verliebt, weil man sich an solchen Tagen eben nicht verliebt, in nichts und niemanden. Tage, an denen Schönheit nur selten eine Chance hat, weswegen nicht wenige Menschen eine saisonal-affektive Störung erleiden. Tage, an denen man ganz bestimmt nicht in Ingolstadt sein möchte. Einer Industriestadt. In Bayern.

Nun schon einen an dieser saisonal-affektiven Störung während der kalten Tage nicht nur Menschen zu leiden, die den Winter hassen. Auch Fußballvereine werden hin und wieder von Winterdepressionen übermannt. Hannover 96 zum Beispiel, das sich einen ganzen Winter lang in Selbstmitleid ergoss und dabei völlig vergaß Fußball zu spielen, ehe bei herrlichem Sonnenschein an einem wundervollen Vorfrühlingstag in Stuttgart doch mal wieder ein Sieg eingefahren wurde, der nur drei Tage später in der rauen Luft Niedersachsen prompt wieder gedämpft wurde.

Auch die rheinische Frohnatur unter den Fußballvereinen, der zumeist eher eine bipolare Störung, besser bekannt als manisch-depressive Erkrankung (vereinfacht die Extremform von Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt), attestiert wird, litt in den letzten Tagen an jenen Erscheinungen einer winterlichen Depression. Obwohl man lediglich zwei Spiele gegen Gegner verloren hatte, die schon längst von Reisen durch Europa fantasierten und daher doch ganz und gar aus dem eigenen Horizont gelangt waren, gab es zuletzt mal wieder ein wenig mehr Kritik. Unterkühlte Auftritte an kühlen Tagen führten zu einer Ergebniskrise. Eines der schlechtesten Rückrundenteams ist dieser effzeh. Am 20. März fängt der Frühling in Deutschland wieder an, am 1. März herrschte in Ingolstadt noch tiefster Winter und der eigentlich so freudig strahlende Karnevalsverein zeigte ganz offen die Symptome einer Depression. Bedrückte Stimmung (was weniger für die tapferen kölschen Fans im Plastikstadion galt, sondern viel eher für das Team), vermindertes Energieniveau und Ängstlichkeit waren ebenso zu erkennen wie die für die saisonal-affektive Störung typische Verlängerung der Schlafdauer oder die Gewichtszunahme.

Die Gewichtszunahme lag darin begründet, dass Peter Stöger in seiner Verteidigung gänzlich auf die großen Jungs setzte. Joachim Löw muss sich wohl in den letzten Tagen nach dem Gesundheitszustand seines Nationalspielers Jonas Hectors erkundigt haben, der verletzt in Ingolstadt fehlte. Dabei hat der deutsche Nationaltrainer seinem österreichischen Kollegen vielleicht mit auf den Weg gegeben, dass man mit vier Innenverteidigern Weltmeister wird, vielleicht hatte Stöger aber auch einfach gehört, dass Ingolstadt gut im Kopfball ist und bot deshalb auf allen vier Verteidigerpositionen gelernte Innenverteidiger aufbot (Thema Ängstlichkeit).

Das Experiment funktionierte relativ gut, der effzeh stand stabil. Frederick Sörensen war als Rechtsverteidiger einer der besten Kölner, Dominique Heintz machte seine Sache auf der linken Seite auch ganz ordentlich. Doch irgendwie fehlten Mut und Energie für die Offensivbemühungen. Yannick Gerhardt zum Beispiel musste ein rasch absinkendes Energieniveau beklagt haben, als er in der siebten Minute auf dem Weg zum Ingolstädter Tor plötzlich an Geschwindigkeit verlor, zögerte und einen ängstlich-schlampigen Pass ins Zentrum zu spielen. Matthias Lehmann und Kevin Vogt schienen dagegen im Mittelfeldzentrum dauerhaft unterlegen, verloren beinahe melancholisch ihre Kopfballduelle und spielten verträumt schwache Pässe.

Der von den Kollegen nur höchst selten bediente (ungenaue Pässe und so) Anthony Modeste hatte nach einer Viertelstunde eine der typischen Marcel-Risse-Ich-Hau-Blind-In-Die-Mitte-Flanken sehenswert angenommen, ehe ihn schließlich doch die Mattigkeit heimgesucht hatte und er deshalb nur ungläubig seinem laschen Schuss hinterhersah, der mehrere Meter neben das Tor trudelte.

Der effzeh wurde immer fahriger und passiver. Schließlich schlief er nach gut einer halben Stunde ein. Marcel Risse auf seiner linken Seite, Mergim Mavraj in der Mitte. Irgendwie alle. Verlängerte Schlafdauer. Gilt nicht für Menschen, deren Onkel in der dauergrinsenden und wie aufgeputscht wirkenden Welt der Volksmusik, die den bayrischen Winter so liebt, eine gewichtige Rolle spielt. Und so überwand Lukas Hinterseer einen hilflosen Timo Horn aus kürzester Distanz. Der Kölner Keeper sollte danach keinen Ball mehr halten müssen.

Foto: SASCHA SCHUERMANN/AFP/Getty Images

Foto: SASCHA SCHUERMANN/AFP/Getty Images

Enttäuschungen und negative Erlebnisse wirken nicht unbedingt positiv gegen eine Depression und so passte sich der Verein aus der schönsten Stadt der Welt dem Attraktivitätsniveau der kreisfreien Stadt an der Donau an. Ohne ordnende Hand und spielerisch-kreative Lösung machten die verunsicherten Spieler Fehler über Fehler. Kaum ein Pass kam an, kaum ein Zweikampf wurde erfolgreich bestritten. Stimmungsabfall, Verzweiflung.

Mitten hinein in die große Traurigkeit köpfte schließlich Anthony Modeste beinahe aus dem Nichts ins Tor des FC Ingolstadt, nachdem Marcel Risse zuvor in seinem mit Abstand wachsten Moment des Spiels seinen eigenen von Özcan abgewehrten Schuss gedankenschnell mit einem Kopfball in die Mitte abgelegt hatte. Es war ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Besserung. Der effzeh versuchte noch ein bisschen etwas gegen müde Schanzer. Aber auch nur ein bisschen. Alles noch zu ängstlich, mit zu wenig Energie. Und so endete ein mauer und kalter Fußballabend in Ingolstadt, wie er eben endet. Mit einem unbefriedigenden Unentschieden.

Schließlich war es Jörg Schmadtke, der die Stimmung des ganzen Abends, der ganzen letzten Tagen und damit auch die spielerische Umsetzung auf dem Feld in unverkennbarer Art und Weise verbildlichte, als er auf dem Fernsehbildschirm erschien, mit einer unförmigen Mütze, die sich tief bis beinahe über die Augen grub, so als hätte er den ganzen Scheiß gar nicht sehen wollen. Missmutig meinte er: „Das Spiel war nicht gut.“ Auch Jörg Schmadtke war restlos bedient von diesem (fußballerischen) Winter in Ingolstadt.

Doch wie sagte Goethe einst? Selbst der strengste Winter hat Angst vor dem Frühling. Am Samstag kommt Schalke.

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