Steffen Baumgart wirkte reichlich genervt. Nicht angesäuert – wie nach der 1:6-Niederlage des 1. FC Köln in Dortmund, als die Mannschaft mit ihrer Leistung Trainer wie Fans gleichermaßen enttäuschte. Nicht gereizt – wie nach manche Fragen der regionalen wie nationalen Medien, die dem Coach der „Geißböcke“ öfters missfallen. Sondern schlicht- und rundweg genervt, weil die Vorbereitung auf das enorm wichtige Derby gegen Borussia Mönchengladbach überschattet wurde von einem noch größeren Thema. Die FIFA hatte dem FC reichlich überraschend eine Transfersperre für die kommenden zwei Wechselphasen auferlegt – ein heftiger Schlag für den derzeit sowieso schlingernden Club.
Die Hiobsbotschaft aus der Schweiz war natürlich auch Gesprächsstoff in der Kölner Kabine (Baumgart: „Die Jungs können ja alle lesen“) und ließ die ob der sportlichen Talfahrt eh schon angeschlagene Stimmung rund um das Geißbockheim noch weiter in den Keller rauschen. Das Augenmerk, das machte der FC-Coach auf der Pressekonferenz noch einmal deutlich, das liege im sportlichen Bereich voll und ganz auf dem Prestigeduell gegen den Erzrivalen vom Niederrhein, die Transfersperre der FIFA sei für ihn ein „zweitrangiges Thema“: „Wir können die Dinge momentan nicht beeinflussen. Jetzt wäre es schön, wenn wir uns um das Derby kümmern“, schloss Baumgart die Fragerunde zur Entscheidung des Weltverbandes, das im Äußeren Grüngürtel für Entsetzen gesorgt hatte.
“Willkommen im Abstiegskampf” – keine neue Situation für den 1. FC Köln
Auch wegen der Umstände ist es kein normales Derby für den 1. FC Köln, der seit fünf Bundesliga-Spielen ohne Sieg ist – so lange wie noch nie unter Trainer Steffen Baumgart. „Wir haben im Moment eine Scheiß-Situation“, gab Kölns Coach unumwunden zu. Spätestens die Niederlage in Dortmund hatte die Alarmglocken rund um den Verein lauthals schrillen lassen – der komfortable Vorsprung, den sich das Team mit einem furiosen Start in das neue Kalenderjahr erarbeitet hatte, ist zusammengeschmolzen. „Willkommen im Abstiegskampf“ hieß es im Anschluss an das 1:6 im Westfalenstadion. Als sei es für die „Geißböcke“ in dieser Saison jemals um etwas anderes gegangen als den puren Existenzkampf. Fünf Punkte rangiert das Baumgart-Team im Vorfeld des Derbys vor den Abstiegsrängen – zwei Zähler mehr als noch in der Winterpause, als eine ähnliche Durststrecke die Kölner in Schlagdistanz zu den bedrohlichen Plätzen brachte.
“Gladbach verfügt über eine überragende Qualität. Nichtsdestotrotz: Wir spielen zu Hause und wollen ein gutes Spiel zeigen. Wir wollen gewinnen!”
Steffen Baumgart
Auch deshalb wirkt es etwas verwunderlich, WIE schlecht die Stimmung bei einer Vielzahl der Fans ist. Ob in Diskussionsforen, in den sozialen Netzwerken oder an den Tresen der Stadt: Die Absturz- und Abstiegsangst geht um beim 1. FC Köln. Es ist beileibe nicht so, als gäbe es bei den „Geißböcken“ derzeit nichts zu kritisieren – sei es die Schwierigkeiten gegen tiefstehende Gegner, die damit eng verknüpfte Transferbilanz in der FC-Offensive oder die sich häufenden Gegentreffer in der Anfangsphase. Zwei der letzten 15 Spiele konnten die Kölner lediglich gewinnen, vor allem in der jüngeren Vergangenheit zeigten sich die Baumgart-Schützlinge offensiv erschreckend harmlos. Wie tief allerdings die Furcht sitzt, der FC könnte abermals eine erneute Bruchlandung hinlegen, merkt man daran, wie wenig Kredit selbst der Coach besitzt, der den Club in der vergangenen Saison aus der Relegation in den Europapokal führte.
Kainz: “Wir wollen das Derby unbedingt gewinnen”
Mit beschränkten Mitteln möglichst viel erreichen: Das Motto der letzten 18 Monate beim 1. FC Köln dürfte auch die Marschrote für das anstehende Derby gegen den rheinischen Rivalen aus Mönchengladbach sein. Auf dem Papier ist der zwischenzeitlich ziemlich enttäuschend daherkommende Europapokal-Aspirant vom Niederrhein deutlich besser besetzt, zeigte sein enormes Offensivpotenzial auch beim deutlichen 5:2-Erfolg im Hinspiel. „Gladbach verfügt über eine überragende Qualität und zählt in Sachen Umschaltspiel zu den gefährlichsten Teams in der Liga. Sie sind sehr gut bei Standards und können sehr gut Fußball spielen, wenn man sie lässt. Aus meiner Sicht könnten sie tabellarisch auch woanders stehen“, lobt Baumgart den rheinischen Rivalen über den grünen Klee, fügt aber direkt hinzu: „Nichtsdestotrotz: Wir spielen zu Hause und wollen ein gutes Spiel zeigen. Wir wollen gewinnen.“
Wie gut ein Derbysieg für die Stimmung in der Stadt und im Verein ist, das muss niemandem erklärt werden. Für die Fans ist das Prestigeduell gegen den Erzrivalen vermutlich die wichtigste Partie der Saison. “Wir haben jetzt mit dem Derby ein supercooles Spiel vor der Brust, auf das wir alle brennen. Wir wollen das Derby unbedingt gewinnen“, formuliert es Florian Kainz, der im Hinspiel mit seinem Platzverweis inklusive Strafstoß für die Fohlenelf unfreiwillig für den Kipppunkt in einem bis dato ausgeglichenem Derby gesorgt hatte. Dass diesmal das nicht nur tabellarisch wichtige Duell der rheinischen Rivalen an die „Geißböcke“ geht, ist das Ziel für die Kölner – wenngleich kein leichtes. „Gladbach ist eines der besten Teams, die es in der Bundesliga gibt. Es kommt sehr viel auf uns zu, für den Sieg müssen wir sehr viel tun“, so Baumgart: „Wir wissen, dass wir Ergebnisse einfahren müssen. Es wäre schön, wenn wir so schnell wie möglich wieder Punkte holen.“
Die Kölner Marschroute: als Einheit zum Derbysieg
Und gibt es einen besseren Moment in einer Saison als DAS Derby? Vermutlich nicht. Das wissen auch die FC-Fans, die vor dem Duell am Sonntag ihren Standpunkt klar machten. „Wir für euch, ihr für uns – alles für den Derbysieg“, hieß es auf einem Plakat im Franz-Kremer-Stadion, wo die Mannschaft ihre letzten Trainingseinheiten vor dem Aufeinandertreffen mit der „Fohlenelf“ absolvierte.„Unsere Fans sind nicht nur optimistisch, sie werden uns von der ersten bis zur letzten Minute anfeuern und unterstützen. Wir wollen etwas zurückgeben“, betonte Steffen Baumgart und unterstrich die Unterstützung des kölschen Anhangs nochmals eindrücklich: „Ein gemeinsamer Weg bedeutet, auch mal durch schwierige Zeiten zu gehen. Und wir haben gerade eine schwierige Phase. Wir versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen. Die Spieler müssen Leistung bringen. Dass die Jungs hinterm Tor alles raushauen, das hören wir nicht nur, das wissen wir auch.”
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Im ausverkauften Müngersdorfer Stadion wird es am Sonntag sicherlich auch auf die Unterstützung von den Rängen ankommen. Es braucht im rheinischen Derby vermutlich mehr als nur die elf Mann auf dem Rasen, um wieder Zählbares einzufahren. Pardon my french, aber: Scheiß auf die bescheidenen Umstände im Vorfeld der Partie. Scheiß auf die besondere Bilanz gegen die Elf vom Niederrhein. Scheiß auf die sportliche Talfahrt der letzten Woche. Scheiß auf schlechte Stimmung und berechtigte oder ungerechte Kritik. Scheiß auf die „überragende Qualität“ des Gegenüber. Alles für den Derbysieg am Sonntag. 90 Minuten Vollgas – auf und neben dem Platz. Der 1. FC Köln könnte ein Erfolgserlebnis derzeit sehr gut gebrauchen, soviel ist klar. Sonst dürfte das prestigeträchtige Aufeinandertreffen der rheinischen Rivalen schnell zu einem Kipppunkt für die Saison der „Geißböcke“ werden.
So könnte der 1. FC Köln spielen: Schwäbe – Schmitz, Hübers, Chabot, Hector – Skhiri, Martel – Ljubicic, Kainz – Maina, Selke