Am Ende zog sogar Steffen Baumgart den Hut. Von den begeisterten Zuschauern im Müngersdorfer Stadion mit Sprechchören gefeiert, trat der Trainer des 1. FC Köln vor die Fans, ballte nochmals die Faust und spendete den Anhängern nach einem intensiven Derby Applaus. Mit 4:1 hatten die „Geißböcke“ zuvor Borussia Mönchengladbach vom Platz geschossen und waren vor ausverkauftem Haus im Kölner Westen an ihrem rheinischen Rivalen vorbeigezogen. Eine furiose zweite Hälfte hatte die als Außenseiter in das Duell gegangenen Kölner zum Sieg gebracht. Ein emotionales Highlight mitten in trübem Zeiten, die das Aufeinandertreffen der Traditionsclubs überschatten sollten. Bereits einen Tag zuvor hatte der FC verkündet, was rund um die prestigeträchtige Partie für heftige Diskussionen sorgen sollte: Das rheinische Derby, es durfte vor vollem Haus stattfinden.
Trotz Hygienekonzept und 2G-Regelung, seit längerer Zeit in Müngersdorf erprobt, trotz kurzfristig anberaumter Maskenpflicht, an die sich nicht sonderlich durchgängig gehalten wurde: Geschenkt. Die Bilder prallgefüllter Tribünen während prallgefüllter Intensivstationen fühlten sich falsch an, inmitten der vierten Welle dieser Pandemie fehlte dem Profifußball einmal mehr das Gespür für die Situation. Dass die „Geißböcke“ nun im Auge des Shitstorms stehen, obwohl auch andere Stadien mehr als ordentlich gefüllt waren, obwohl der FC ein Vorreiter bei der Einführung der 2G-Regelung war, obwohl der Verein vor dem Derby eine äußerst gut nachgefragte Impfaktion in die Wege leitete, war dann zu erwarten, auch wenn die Wucht der Wut so manchen überrascht haben dürfte.
“Besser geht es nicht”: Derby-Debütant Schwäbe überzeugt
Nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern auch sportlich war dieser 27. November 2021 ein besonderer Tag für den 1. FC Köln. Auf Augenhöhe wollten die „Geißböcke“ gegen die Borussia agieren – ein hehrer Vorsatz, der in der Vergangenheit im Derby selten in die Tat umgesetzt wurde. Doch diesmal gelang es dem FC, die Anforderungen an das Duell mit dem rheinischen Rivalen auf den Platz zu bringen. Mit großem Einsatzwillen und konsequenter Zweikampfführung erstickten die Gastgeber das Spiel der favorisierten „Fohlen“ früh und erarbeiteten sich in der Anfangsphase ein leichtes Übergewicht. Erste Abschlüsse von Ondrej Duda (4., 29.) und Anthony Modeste (22.), der sich rechtzeitig für das Derby zurückgemeldet hatte, waren ein Fingerzeig – auf der Gegenseite musste Marvin Schwäbe bei seinem Bundesliga-Debüt kaum sein Können aufbieten.
“Der Tag heute war der absolute Wahnsinn für mich. Erstes Bundesligaspiel, Derby, 4:1 gewonnen. Besser geht es nicht.”
„Der Tag heute war der absolute Wahnsinn für mich. Erstes Bundesligaspiel, Derby, 4:1 gewonnen. Besser geht es nicht“, jubilierte der Ersatz für den verletzten Timo Horn nach seiner Premiere in Müngersdorf: „Ich denke, dass wir eine gute Leistung gezeigt haben. Der Plan des Trainers ist voll aufgegangen. Bis auf ein, zwei Situationen hatten wir die Partie im Griff. Meiner Meinung nach haben wir verdient gewonnen“, analysierte Schwäbe. Und in der Tat hatte der FC das Spiel unter Kontrolle, hätte nach Modestes Kopfball, den Borussias Keeper Yann Sommer mit einem Blitzreflex entschärfte, führen können. Auf der Gegenseite prüfte Patrick Herrmann (41.) Schwäbe von der Strafraumgrenze, Denis Zakaria traf aus der Distanz den Außenpfosten (42.). Das torlose Remis zur Pause – es war ein gerechtes Ergebnis, wenngleich die „Geißböcke“ einen starken Eindruck hinterließen.
Uth bringt den FC wieder auf Kurs Derbysieg
Der wurde nach dem Seitenwechsel noch besser: Dejan Ljubicic vollendete einen aussichtsreichen Angriff auf Vorlage von Benno Schmitz mit einem sehenswerten Schlenzer zur Kölner Führung (55.) – der erste Bundesliga-Treffer des Österreichers. Es entwickelte sich ein Schlagabtausch der spektakulären Art: Alassane Plea schoss aus 18 Metern an den Pfosten (62.), Modeste vergab bei einem Konter aus spitzem Winkel das 2:0 (63.), Hofmann verfehlte bei einem Konter allein vor Schwäbe das Kölner Tor (65.). Der Ausgleich des Mönchengladbacher Nationalspielers hatte sich dann jedoch angekündigt: Über rechts spielten sich die Gäste gut durch, Hofmanns wuchtiger Abschluss hinterließ Schwäbe chancenlos (74.). Der Schock hielt in Müngersdorf nicht lange: Neuhaus’ Fehlpass brachte den eingewechselten Mark Uth ins Spiel, dessen Schuss aus 18 Metern vom Innenpfosten den Weg ins Tor fand (77.).
DERBYSIEGER❤️❤️ pic.twitter.com/DryyA8oTnD
— Jorge Meré (@jorgemere_m4) November 27, 2021
„Mein Tor war eine Erleichterung und ein ganz besonderer Moment für mich vor der Südtribüne. Das ist mein erstes Derby, das ich gewonnen habe. Ich bin einfach glücklich. Wenn die Südtribüne tanzt, lacht, singt, trinkt – dann gibt es für uns Spieler kein schöneres Gefühl“, schilderte der Torschütze nach dem Abpfiff, bat um zwei frei Tage und wollte sich entspannt ein Kölsch genehmigen. „Es gibt nichts Schöneres, als einen Derbysieg vor vollem Haus. Wir haben unsere Treffer in den richtigen Momenten erzielt. Es war ein sehr gutes Spiel von uns – läuferisch, kämpferisch und spielerisch. Es ist immer wieder schön, zu Hause zu spielen. Wir sind zu Hause ungeschlagen, weil wir eine Macht sind gemeinsam mit den Fans“, sieht Uth die Unterstützung der eigenen Anhänger als momentanes Erfolgsgeheimnis der Kölner Mannschaft.
Baumgart rückt das Resultat zurecht
Die Treffer in den richtigen Momenten: Das galt auch für das 3:1 durch Ondrej Duda, der sich für eine enorm auffällige Leistung belohnte. Nur wenige Augenblicke nach der erneuten Führung fiel dem Slowaken der Ball im Mönchengladbacher Strafraum vor die Füße – mit etwas Abschlussglück durfte der Spielmacher über seinen ersten Saisontreffer jubeln (78.). Der Genickschuss für die „Fohlen“, denen an diesem Tag die Konsequenz in den entscheidenden Situationen abging. Der FC legte dagegen in der Nachspielzeit nochmals nach: „Joker“ Sebastian Andersson köpfte wuchtig nach Flanke des ebenfalls eingewechselten Louis Schaub zum 4:1 ein. Ein nicht unbedeutendes Tor, zogen die „Geißböcke“ doch durch den Treffer in der Tabelle am rheinischen Rivalen vorbei.
“4:1 ist zwar ein deutliches Ergebnis. So deutlich war die Partie jedoch nicht. Das belegen auch die Zahlen.”
Zwar nur ob der mehr geschossenen Tore, aber danach fragte in Müngersdorf und auch danach niemand. „4:1 ist zwar ein deutliches Ergebnis. So deutlich war die Partie jedoch nicht. Das belegen auch die Zahlen“, rückte Steffen Baumgart das Resultat nach dem Spiel wieder zurecht: „Nach dem Gladbacher Ausgleich gab es eine Phase, in der das Spiel auch in die andere Richtung hätte kippen können. Ich war froh, dass wir nach dem Ausgleich vorne weiter gepresst haben. Die Jungs haben sich für ihren Aufwand belohnt“, war der FC-Coach zufrieden mit der Leistung seines Teams und hob einen Spieler ganz besonders hervor: „Ich freue mich sehr über den Sieg. Ich stelle ungern einen Spieler heraus, heute muss ich es tun. Salih Özcan hat eine überragende Leistung gezeigt. Als Kölner Junge so ein Derby zu bestreiten, ist bemerkenswert.“
Sehr viel Bemerkenswertes nach einem umkämpften Derby
So blieb am Ende sehr viel Bemerkenswertes vom Aufeinandertreffen der rheinischen Rivalen zurück: Der 1. FC Köln kann ein umkämpftes Derby deutlich für sich entscheiden und damit einen befreienden Sieg feiern. Salih Özcan zeigt, dass er auch in der Bundesliga ein wichtiger Bestandteil sein kann. Spieler wie Mark Uth, Ondrej Duda und Sebastian Andersson, die zuletzt mit ihrem Abschlussglück gehadert hatten, machten auf sich aufmerksam. Und der Derbysieg sorgte für etliche Glücksgefühle in Köln – und durch die prallgefüllten Tribünen für noch mehr Diskussionen um den Profifußball und seine Privilegien inmitten der Pandemie. Manche Geschichten schreibt wohl wirklich nur der Fußball.