Der Geißbock – er gehört zu Köln wie der Karneval, der Rhein und Dom. Hennes ist bei weitem nicht nur das Maskottchen des 1. FC Köln, er ist zum Wahrzeichen der Millionenmetropole geworden. 1950 wurde der Geißbockheim dem Verein als Fastelovendsscherz auf einer Karnevalssitzung geschenkt, seitdem prägt der Glücksbringer das Ansehen des Fußballclubs mit dem stolzen Bock im Logo. Einen Bock, den mittlerweile alle Welt kennt – und dessen Geschichte nun in “Patron Hennes” von Johannes Schröer erzählt wird.
Wir haben den Autoren, der im Hauptberuf als Redakteur des Domradios unterwegs ist, in der Südstadt zum Interview getroffen und sprachen mit ihm über die Bedeutung des Geißbocks für den Verein, den Wert einer solchen Identifikationsfigur, die Möglichkeit eines weiblichen Hennes und wieso sich die Kölner ausgerechnet in ein solches Wappentier derart verliebt haben, obwohl der Vater des Ur-Hennes offensichtlich einen Düsseldorfer Vater hatte.
Herr Schröer, vor kurzem ist ihr Buch „Patron Hennes“ erschienen und startete direkt mit der Skandalnachricht durch, der Vater des Ur-Hennes sei Düsseldorfer. Wie viele böse Nachrichten gab es denn als Reaktion auf diese Entdeckung?
Richtig böse Reaktionen gab es nicht, aber es war schon manch Heftiges dabei. Man weiß ja um die Rivalität zwischen Köln und Düsseldorf, daher sorgte es schon für eine Mischung aus Amüsement und Erstaunen. Die Menschen haben sich gefragt: Wie kann das sein? Hennes ist doch urkölsch – und jetzt soll der Vater aus Düsseldorf kommen. Das hat schon für ein gewisses Echo gesorgt.
“Wie kann das sein? Hennes ist doch urkölsch – und jetzt soll der Vater aus Düsseldorf kommen.”
Diese Entdeckung ist bei weitem nicht die einzige Anekdote zum Maskottchen des 1. FC Köln, die in ihrem Buch vorkommt. Um Hennes ranken sich ja viele Legenden – gab es für Sie als FC-Fan bei der Recherche noch weitere Überraschungen?
Es gab einige Anekdoten, die ich oberflächlich kannte, aber dann bei der Recherche zum Buch nochmals auffrischte. Viele kennen die Geschichte um Hennes II., der angeblich von Mönchengladbacher Fans vergiftet worden sei. Da habe ich recherchiert, wie es letztlich wahrscheinlich gewesen ist. Oder dass Hennes IV. just in dem Moment gestorben sei, als Pierre Littbarski den FC bei den Bayern in letzter Minute zum Sieg geschossen hat. Diese Anekdoten kennen vermutlich alle, wenn wir auf Hennes zu sprechen kommen. Es gibt aber auch viele Dinge, die ich so nicht wusste.
Zum Beispiel?
Beispielsweise, warum es am Kölner Dom einen Hennes gibt. Als der 1. FC Köln 1962 zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte Deutscher Meister wurde, hat man den Geißbock dort in Stein verewigt. Es gab aber auch einmal einen Antrag einer Bürgerbewegung, den Hennes ins Stadtwappen zu integrieren. Wir haben die drei Kronen, die elf Tränen für die elftausend Märtyrerinnen der Ursula – und dazu sollte dann der kölsche Geißbock kommen. Das hat in der Stadt für heftige Diskussionen gesorgt, bis sich dann herausstellte, dass es sich um einen Aprilscherz des Kölner Stadt-Anzeigers handelte. Es ist schon interessant, mit welcher Ernsthaftigkeit das diskutiert wurde.
Mit großer Ernsthaftigkeit behandeln die Fans des 1.FC Köln auch das Thema Hennes an sich, mit großer Ernsthaftigkeit haben Sie sich der Geschichte des FC-Glücksbringers genähert. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dem Geißbock ein Buch zu widmen?
Ich bin zwar FC-Fan, aber ich komme nicht aus Köln – und wenn man mit offenen Augen durch diese Stadt geht, dann fällt einem auf, dass Hennes hier omnipräsent ist. Ob als Aufkleber auf Autos, als Gipsskulptur in Schaufenstern oder am Kölner Dom als Wasserspeier: Der Geißbock ist überall. Und wenn etwas so präsent in einer Stadt ist, dann muss es auch spannende Geschichten dazu geben. Das war mein Antrieb für das Buch!
In „Patron Hennes“ ist die Entstehungsgeschichte des Kölner Maskottchens eng verknüpft mit der Historie und den Charakteristiken Kölns. War das auch ihr Anliegen, nicht nur eine reine Anekdotensammlung über Hennes zu verfassen, sondern durch den kölschen Geißbock ein wenig die Seele der Stadt zu ergründen?
Für mich war es sehr spannend, dass Hennes auch ein Stück Stadtgeschichte, ein Stück Sozialgeschichte und ein Stück Kulturgeschichte ist. Hennes ist nicht nur das Maskottchen eines Fußballvereins, Hennes steht für viel mehr. Der Geißbock steht für die FC-Geschichte, wurde schnell zur Marke, wie man es heute nennen würde, und hat dem Verein eine Identität gegeben. Dazu hat der Glücksbringer, der auf einer Karnevalssitzung dem Club geschenkt wurde, natürlich ebenso eine Verknüpfung zum Karneval. Im Hinterkopf dabei immer die Frage: Wieso suchen sich die Kölner ausgerechnet einen Ziegenbock aus? Andere haben Löwen, Adler oder Fohlen. Dass das hier anders gelaufen ist, hat für mich viel mit der kölschen Seele zu tun.
Sie haben das Standing des Geißbocks in Köln angesprochen, die Omnipräsenz, die Hennes vor Ort besitzt. Könnte man ihn mit Fug und Recht als eine Art Stadtheiligen bezeichnen?
Das ist meine Theorie. Deshalb auch der Buchtitel „Patron Hennes“ – der Geißbock ist der Schutzpatron des 1. FC Köln, aber auch darüber hinaus der Schutzpatron der Stadt Köln. Hennes ist für die Fans von ungeheurer Bedeutung, sie werden im Stadion schon einmal „Trainer raus“ oder „Vorstand raus“ hören, aber niemals „Hennes raus“. Der Geißbock ist, wie Heilige es auch sind, eine Identifikationsfigur für die Menschen. Hennes ist DIE Identifikationsfigur des 1. FC Köln. Und wer schon einmal im Stadion war, weiß: Wer tritt denn zuerst auf den heiligen Rasen? Nicht die hochbezahlte Mannschaft, nicht die FC-Stars – der Hennes kommt zuerst!
“Der Geißbock ist der Schutzpatron des 1. FC Köln, aber auch darüber hinaus der Schutzpatron der Stadt Köln. Hennes ist für die Fans von ungeheurer Bedeutung, sie werden im Stadion schon einmal „Trainer raus“ oder „Vorstand raus“ hören, aber niemals „Hennes raus“.”
Woher kommt denn diese Faszination, diese Liebe zu Hennes? Sie haben eben richtig beschrieben: Andernorts setzten die Clubs auf majestätischere Tiere, in Köln ist es ein meckernder Ziegenbock.
Das hat in meinen Augen mehrere Gründe. Sich einen Geißbock als Maskottchen auszuwählen, hat etwas Augenzwinkerndes. Diese Ambivalenz liegt den Kölner gewissermaßen im Blut. Es hat aber mehr als nur das komische Element: Der Ziegenbock ist stur, der hat einen eigenen Charakter. Zu Beginn waren im Übrigen nicht alle Fans des Vereins begeistert von der Idee, es gibt zahlreiche Beschwerdebriefe, die Franz Kremer damals erreichten. Man hat das aber durchgezogen, der Geißbock wurde zum Gesicht dieses Clubs, zu einer richtigen Marke – und spätestens bei den ersten Titelgewinnen Anfang der sechziger Jahre war Hennes nicht mehr wegzudenken.
Eine unzertrennliche Gemeinschaft zwischen Geißbock und Verein, der zunächst als Fastelovendsscherz begann. Wofür steht das FC-Maskottchen denn heute in ihren Augen?
Hennes ist für die Marke 1. FC Köln eminent wichtig. Gerade in der heutigen Zeit im Fußball, in der es an Identifikationsfiguren mangelt, steht der Geißbock sinnbildlich für die Geschichte des Vereins, für die Tradition, für die Werte des Clubs. In Zeiten, wo sogar Trainer weggekauft werden, ist ein Maskottchen mit derart hohem Identifikationspotenzial natürlich Gold wert. Einen Hennes hat kein anderer Verein, dieser Club ist ohne seinen Geißbock nicht mehr denkbar – er wäre auch ziemlich blöd, wenn er sich das nehmen ließ.
FC und Hennes – eine Verbindung für die Ewigkeit, die nicht zu trennen zu sein scheint.
Natürlich nicht. Wir sind die Geißböcke, die Geißbock-Elf, haben Hennes im Vereinswappen. Das gehört alles so eng zusammen, das ist nicht mehr zu trennen. Es gibt immer die Tierschutz-Debatte um Hennes als Maskottchen, die von PETA ständig neu angestoßen wird. Einen besser umsorgten Geißbock gibt es vermutlich weltweit nicht. Wenn dann von „Gnadenhof“ die Rede ist, dann frage ich mich, ob da nicht recherchiert wird. Hennes wird im Kölner Zoo hofiert – der wird königlicher behandelt als Elisabeth II. im Buckingham Palace. Es gibt definitiv Bereiche, in denen Tiere gequält werden, aber dieser Geißbock wird quasi wie der König von Köln behandelt.
Hennes hat nicht nur dort eine Ausnahmestellung, sondern ganz bestimmt auch unter den Maskottchen der deutschen Fußballvereine. Es gibt noch den Adler „Attila“, der Eintracht Frankfurt Glück bringen soll – ansonsten gibt es kaum mehr lebende Tiere als Maskottchen. Das war allerdings einst anders: Warum ist das, dem Erfolg des kölschen Geißbocks zum Trotz, offensichtlich aus der Mode gekommen?
Das habe ich versucht zu ergründen, weil ich das kultur- und sozialgeschichtlich sehr spannend finde. Auf einmal verschwanden alle lebenden Maskottchen, wie zum Beispiel die Heidschnucke „Pico“ von Werder Bremen, aus den Stadien – außer dem 1. FC Köln. Es kehrte in den achtziger Jahren offenbar eine gewisse Ernsthaftigkeit in den Fußball ein. Eine Renaissance erlebte das dann erst Mitte der neunziger Jahre, als diese aus den US-Sportarten importierten Stoffpuppen auftraten. Das hat der FC auch für kurze Zeit adaptiert. Einfach nur furchtbar!
Moden kommen, Moden gehen – aber Kölner und der FC stehen zu ihrem Geißbock. Das passt auch ganz gut zur dem Bock nachgesagten Sturheit, oder?
Auf jeden Fall. Und: Köln ist sehr traditionsbewusst. Wenn hier etwas zwei-, dreimal passiert, dann ist es Tradition. Interessant ist aber, dass es durchaus Anpassungen in all den Jahren gegeben hat. Man hat anders als zu Beginn, als Hennes teilweise im Mannschaftsbus zu Auswärtsspielen mitreiste, mehr Wert auf Tierschutz gelegt. Das ist auch vernünftig gewesen. Auch müssen die Böcke natürlich passen: Es gibt riesige Geißböcke, die meisten Hennes kamen ja eher ziemlich zierlich daher. Aber trotz all der kleineren Veränderungen: Ich kann mich bei meiner Recherche nicht erinnern, dass es jemals einen Zeitpunkt gab, an dem die Tradition, einen lebenden Geißbock als Maskottchen zu haben, infrage gestellt wurde.
Das dürfte sich auch in Zukunft nicht ändern. Wenn wir jetzt einmal 25 Jahre nach vorne blicken: Dann wird, je nach Verweildauer der Vorgänger, vermutlich Hennes der 13. amtieren.
Da wird es ganz spannend. Mit Hennes IX. wird ja eine Dynastie begründet. Vorher wurde ein Geißbock stets aufs Neue ausgesucht, nun soll – wie in Königshäusern so üblich – der erste männliche Nachkomme des aktuellen Hennes auch das zukünftige Maskottchen werden. Das Problem zur Zeit: Er hat bis jetzt nur Mädchen gezeugt. Da Hennes IX. noch nicht kastriert wurde, hat er aber noch geraume Zeit zur Verfügung.
“Ich kann mich bei meiner Recherche nicht erinnern, dass es jemals einen Zeitpunkt gab, an dem die Tradition, einen lebenden Geißbock als Maskottchen zu haben, infrage gestellt wurde.”
Es könnte also einen weiblichen Hennes geben?
Die Möglichkeit besteht, das müsste dann diskutiert werden. Sie würde vermutlich auch Hennes heißen. Aber seien wir ehrlich: So richtig männlich waren die bisherigen Hennese nicht, das waren immer Kastrate, keine Machos. Aber wie gesagt: Hennes IX. hat noch Zeit. So etwa fünf Jahre, sagten mir die Pfleger im Zoo.
Also wartet ganz Köln quasi auf den weißen Rauch aus dem Kölner Zoo, dass Hennes männlichen Nachwuchs gezeugt hat? „Habemus Hennes“ sozusagen.
So ungefähr. Nachrichten über Hennes füllen auch die Zeitungen und bewegen die Menschen. Als das Buch in den Druck ging, musste Hennes XIII. leider eingeschläfert werden. Und wer sich auf der Facebook-Seite die Kommentare zu dieser Nachricht anguckt, der wird feststellen: Die Menschen trauern um ihren Geißbock, das ist, als wäre einer der ihren gestorben. Diese emotionale Anteilnahme zeigt auch wieder schön, welche Dimensionen diese Liebesbeziehung angenommen hat, wie heilig Hennes den Kölnern ist.