Würde Ellyes Skhiri nicht seit zwei Jahren das Trikot mit der Nummer 28 beim Ersten Fußballclub Köln ausfüllen, könnte man sich die schmächtige, grazile Figur des Tunesiers auch in einer gerade einmal den oberen Oberschenkel bedeckenden Sporthose sowie einem leichten Unterhemdchen mit der Aufschrift Tunisia vorstellen. In derartigen Outfits sorgen die Langstreckenläufer aus Ost- und Nordafrika bei Olympia sowie den größten Marathons auf dem Planeten regelmäßig für Furore. Nicht nur optisch passt der Vergleich, schließlich ist es die schier unerschöpfliche Laufleistung, die Ellyes Skhiri auszeichnet. Kilometer um Kilometer hat sich der Tunesier in dieser Saison ganz leise und unauffällig in die Herzen von Fans und Mitspielern gerannt.
Skhiri – der kölsche Haile Gebreselassie, der Kenenisa Bekele der Bundesliga – war in einer Saison, die aufgrund der allgegenwärtigen Corona-Pandemie wie keine andere war, eine der wenigen Konstanten im chaotischen effzeh-Kosmos. Wie einst Forrest Gump lief und lief und lief der Tunesier unermüdlich. Oder mit den Worten von Oliver Kahn: Weiter, immer weiter! Damit bildete er den Motor einer Kölner Mannschaft, die ihre Laufschwäche in dieser Saison endgültig ad acta gelegt hat. Am Ende der Spielzeit war Skhiri wenig überraschend der laufstärkste Spieler der Bundesliga. Beinahe 400 Kilometer spulte der Tunesier ab, seine Laufleistung von 396,23 Kilometern überbot den Zweitplatzierten Maximilian Eggestein noch einmal um 8000 Meter. Fast 13 Kilometer rannte der 26-Jährige pro Spiel bei insgesamt 32 Einsätzen im Oberhaus – das sind enorm starke Werte.
Skhiri: Roadrunner meets Forrest Gump
Dabei war die immense Laufleistung des Roadrunners zumeist gar nicht so augenscheinlich. Im Vergleich zu den wilden Pressingaktionen Jonas Hectors, der im Saisonfinale mit seinem aufwendigen, vor Willen nur strotzenden Laufstil auf dem Feld hervorstach, waren Skhiris Läufe beispielsweise weit weniger auffällig. Vielmehr stopfte der defensive Mittelfeldspieler unermüdlich Löcher, noch bevor sie überhaupt auftauchten. Ein wenig wie Chelseas N’Golo Kante. So war er kein schillernder Star, sondern ein Macher, der überall zu finden war, wo es brannte – ganz im Stile von Kante und Gump. Genauso wie die Filmfigur ist auch Skhiri kein Lautsprecher, der große Töne spuckt, Interviews mit dem Tunesier waren und sind eine Rarität. Eine seine wenigen Äußerungen, die er im Interview mit dem Geissblog preisgab, spricht dagegen Bände. So gab er zu, selbst in der Halbzeitpause noch auf dem Spinning Bike zu fahren, weil sein Körper es nicht möge, aufzuhören und eine Pause zu machen.
Die Laufstärke allein machte Skhiri in dieser Saison allerdings nicht zu einer der wichtigsten Säulen in den Systemen von Gisdol und Funkel. Defensive Mittelfeldspieler geraten schließlich nicht ins Visier von absoluten Spitzenvereinen (die angeblich mittlerweile am Tunesier interessiert sein sollen), nur weil sie viel rennen. Skhiri entdeckte in dieser Spielzeit auch den Zug nach vorne für sich und war neben Läufer auch Stratege. War in der Saison 2019/20 noch das umjubelte Siegtor gegen den SC Freiburg nach endlos langem Sololauf die einzige erinnerungswürdige Offensivaktion des Mittelfeldspielers, schaltete er sich in dieser Spielzeit immer häufiger nach vorne ein und war insbesondere bei Standards gefährlich. Seine Torausbeute aus dem Vorjahr (ein Treffer) verfünffachte er im abgelaufenen Spieljahr.
In Erinnerung blieb dabei vor allem sein Doppelpack gegen Borussia Dortmund in der Hinrunde, als Skhiri eine absolute Rarität schaffte und sein erstes Tor des Spiels beinahe exakt kopierte. Gleich zweimal segelte gegen den BVB eine Ecke von Duda auf den kurzen Pfosten zu Marius Wolf, der den Ball an den langen Pfosten verlängerte, wo der Tunesier goldrichtig stand und aus kurzer Distanz einschob. Damit war Skhiri maßgeblich am überraschenden 2:1-Erfolg beteiligt – einem der ganz wenigen Highlights einer dürftigen Hinserie. Auch bei der wohl besten effzeh-Leistung der Saison, dem souveränen 3:1-Sieg gegen Mitkonkurrent Arminia Bielefeld in der Rückrunde, stand Skhiri im Fokus, als er die Tore von Marius Wolf und Elvis Rexhbecaj vorbereitete.
Skhiri mit dem goldenen Tor gegen Holstein Kiel
Es war schließlich nur folgerichtig, dass ausgerechnet jener Ellyes Skhiri im zweiten Relegationsspiel bei Holstein Kiel mit seinem Tor zum 5:1 für die endgültige Entscheidung sorgte und den Deckel auf eine mehr als wechselhafte Saison der “Geißböcke” draufsetzte. Kaum ein anderer Spieler hätte sich Spielertraube, die sich darauffolgenden Nicht-Abstiegs-Jubeltaumel auf Skhiri stürzte, wohl mehr verdient als der unermüdlich ackernde Tunesier. Vielleicht kann der 26-Jährige seine positive Entwicklung in der Domstadt im nächsten Jahr fortsetzen, auch wenn er seine Torausbeute wohl kaum noch einmal verfünffachen wird.
ELLYES SKHIRI RUNNING AWAY WITH MY HEART
— 1. FC Cologne (@fckoeln_en) May 29, 2021
Vielleicht wird der Marathonläufer auf dem Fußballfeld aber auch den so dringend benötigten Geldsegen für den klammen effzeh bringen. Gerüchte um einen Transfer gibt es schon jetzt. Sollte er tatsächlich wechseln, wird der Tunesier aber immer in Erinnerung bleiben und das nicht als ein weiterer Söldner, der den glorreichen ersten Fußballclub Köln als weitere Station zum schnellen Geld angesehen hat, sondern als ein Spieler, der sein Herz, vielmehr seine Lunge auf dem Feld gelassen hat, als stiller Anführer, als niemals stoppender Dynamo, als Lichtblick einer in vielerlei Hinsicht verkorksten Saison.