Noch ist nicht klar, in welcher Liga der 1. FC Köln in der kommenden Saison auflaufen wird. Noch ist nicht klar, welcher Trainer die “Geißböcke” in die nächste Spielzeit führen wird. Doch eines ist bereits jetzt klar: Mit Dejan Ljubicic hat der abstiegsbedrohte Bundesligist den ersten Neuzugang für die Saison 2021/22 unter Dach und Fach gebracht. Der 23 Jahre alte Mittelfeldspieler wechselt ablösefrei von Rapid Wien ans Geißbockheim, der Kapitän des österreichischen Traditionsvereins unterschreibt beim FC einen Vierjahresvertrag.
Doch wen hat sich der 1. FC Köln da überhaupt geschnappt? Was bringt Dejan Ljubicic ab Sommer in Köln ein, in welcher Liga und unter welchem Trainer auch immer? Wir sprechen mit der österreichischen Fußballanalystin Anna Konovalova, die seit über einem Jahrzehnt den Fußball in der Alpenrepublik beobachtet und derzeit für FootballRadar ein ganz genaues Auge auf das sportliche Geschehen im Nachbarland wirft, über die Qualitäten des Rapid-Kapitäns, über seinen ablösefreien Wechsel und Schlagzeilen neben dem Platz.
Anna, der 1. FC Köln hat sich Rapid-Kapitän Dejan Ljubicic ablösefrei geschnappt. Was hast gedacht, als du zuerst von diesem Transfer gehört hattest?
Meine erste Reaktion war: Endlich gibt es Klarheit. Die „Geht Ljubicic jetzt oder doch nicht“-Saga läuft nun schon einige Zeit. Angefangen mit seinem halbseidenen Wechsel zum MLS-Team Chicago Fire, der letztlich scheiterte (angeblich hatte Ljubicic den Medizincheck nicht bestanden, Anm.d.Red.), über ziemlich vage Spekulationen in jedem Transferfenster bis zur jetzigen Entscheidung. Das hat sowohl Spieler als auch Rapid nicht gut getan – und es ist gut, dass sich dies nun nicht noch länger zieht. Insgesamt scheint mir das ein sehr interessanter Deal zu sein: Der Sprung nach Köln dürfte für Ljubicic deutlich kleiner sein als bei den anderen Clubs, die Interesse gezeigt hatten. Und es könnte eine geeignete Bühne für einen vielversprechenden Spieler sein, der sich weiterentwickeln will.
“Der Sprung nach Köln dürfte für Ljubicic deutlich kleiner sein als bei den anderen Clubs, die Interesse gezeigt hatten.”
Ljubicic hat den Rapid-Nachwuchs durchlaufen und war in der vergangenen Saison Kapitän des Profiteams. Ist er gerade deshalb ein großer Verlust für den Verein, zumal er auch noch ablösefrei wechseln wird?
Rapid hat seit geraumer Zeit alles gegeben, um ihn von einer Vertragsverlängerung zu überzeugen. Letztlich vergeblich. Seit Winter war eigentlich klar, dass Ljubicic zum Saisonende den Club verlassen wird. Natürlich ist das ein harter Schlag für den Verein – auf und neben dem Platz. Dejan ist Führungsspieler und er ist bei Rapid, das stets viel Wert auf Eigengewächse legt, groß geworden. Es war schon eine schöne Geschichte, als er im letzten Sommer mit nur 22 Jahren zum Kapitän gemacht wurde. Und es hätte noch schön werden können, da sein Bruder Robert, Mittelfeldspieler wie Dejan, zur nächsten Saison aus Sankt Pölten zu Rapid wechseln wird. Aber daraus wird nun bekanntlich nichts. Kleiner Fun Fact am Rande: Die Wiener verlieren nun zum zweiten Mal ihren Kapitän, ohne Ablöse zu kassieren, denn im vergangenen Sommer wechselte Stefan Schwab zu PAOK, nachdem er keinen neuen Vertrag unterzeichnet hatte. Ziemlich ähnlich zum Ljubicic-Abgang.
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Du hattest es bereits angesprochen: Es gab Gerüchte um derzeit deutlich größere Namen wie Eintracht Frankfurt oder AS Rom. Hat es dich überrascht, dass es letztlich der 1. FC Köln wurde?
Tatsächlich war es eine große Überraschung. In der vergangenen Woche war Ljubicic laut Medienberichten noch zu Verhandlungen nach Italien gereist – ohne eine Trainingseinheit zu verpassen, wie es sich für einen verantwortungsbewussten jungen Mann gehört. Daher dachten alle, es würde ihn in die Serie A ziehen. Bis die Nachricht aufkam, dass der FC sein neuer Club werden würde. Es ist nicht bekannt, was die Gründe für seine Entscheidung sind, zumal in Köln noch nicht klar ist, in welcher Liga in der kommenden Saison gespielt wird und welcher Trainer dann die Verantwortung tragen wird.
Wenn Ljubicic Einsatzzeiten wichtig waren, die beim FC durchaus realistischer zu erreichen sein dürften als bei den anderen gehandelten Clubs, dann ist es verständlich und sogar lobenswert. Aber auch Rapid war leicht verwundert über die Entscheidung. Rapids Sportdirektor Zoran Barisic hielt beispielsweise öffentlich seine Überraschung und leichte Enttäuschung über Ljubicics Wechsel nach Köln kaum zurück und sagte: „Ich hätte mir – so wie die meisten – einen anderen Verein erwartet. Aber das ist allein Dejans Sache.“
Ich habe auch ein paar Reaktionen von Rapid-Fans gelesen, die relativ enttäuscht zu sein scheinen, dass Ljubicic die Möglichkeit, mit seinem Heimatverein im Europapokal zu spielen, gegen ein Engagement bei einem abstiegsbedrohten Bundesligisten eintauscht. Ist das das generelle Gefühl angesichts dieses Transfers?
Um diese Gedanken vollkommen verstehen zu können, muss man sich vor Augen führen, was Rapid im österreichischen Fußball darstellt. Sie sind ohne Zweifel der größte Verein des Landes mit der größten Aufmerksamkeit und der größte Anhängerschaft. Eine Anhängerschaft, die äußerst leidenschaftlich ist und die Geschehnisse häufig mit Vereinsbrille betrachtet. Für sie ist Ljubicics Entwicklung das Paradebeispiel, wie es laufen soll: Ausgebildet im eigenen Verein, zum Stammspieler entwickelt und dann Kapitän geworden. Eigengewächs, Identifikation, Wiener und so weiter. Aber wenn die Dinge in ihrem Verständnis dann in die falsche Richtung laufen, ist das natürlich eine große Enttäuschung. Gerade jetzt, wo sie nach einigen schwächeren Spielzeiten das stärkste Rapid der vergangenen Jahre sehen. Und nur wenige sehen dann Parallelen zu Sasa Kalajdzic, wo sich kleinere Karriereschritte (wie bei ihm zum VfB Stuttgart in die 2. Bundesliga) ausgezahlt haben und zu einer Leistungsexplosion am richtigen Ort zur richtigen Zeit führten.
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