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Ehrentribüne

Über das Scouting von möglichen Neuzugängen: Das selbstgemalte Osako-Trikot

Wenn keine Fußballspiele stattfinden, hat man Zeit, über all die Dinge nachzudenken, die sonst in Vergessenheit geraten: Unser Autor erinnert sich an den Neuzugang Yuya Osako und ganz spezielle Scouting-Methoden.

Foto: Michael Steele/Getty Images

Von Sascha Kurzrock

In der Transferperiode macht sich bei mir immer ein Gefühl breit, das mich an die frühere Spannung vor Weihnachten erinnert. Sobald ein neuer Name auftaucht, wird er gegoogelt, die Leistungsdaten werden bei Transfermarkt gescannt und dann geht’s an die YouTube-Filmchen. Mitunter werden in dieser Phase auch mal Tatsachen verklärt. So hielt ich Joao Queiros, den 3,5 Millionen Euro-Irrtum von Jörg Schmadtke, für talentiert, weil er in einem Jugendspiel den Ball vollkommen planlos an einer Häuserwand pöhlte. Und weil das Internet nichts vergisst, hier ist die Szene.

Als Schmadtke noch weniger Geld zur Verfügung und eine Auge für sinnvolle Transfers hatte, gab der 1. FC Köln die Verpflichtung von Yuya Osako bekannt – eine Woche vor Beginn der Weltmeisterschaft in Brasilien. Und zu den üblichen Optionen, also den YouTube-Filmchen, den Transfermarkt-Daten und der Googelei gesellte sich plötzlich die Option schlechthin, um Osako unter die Lupe zu nehmen: Live-Scouting bei einer WM.

In der ersten Euphorie macht man Fehler. Das ist beim Fußball nicht anders als in der Liebe. Und so war ich der Überzeugung, dass ein Osako-Scouting nur mit Osako-Trikot möglich sei. Aber über 100 Tacken für ein Trikot der Nationalmannschaft Japans? Und hatte ich nicht noch ein Trikot von Markus Kreuz im Schrank, voller Ekstase in dem Glauben gekauft, wir hätten den potenziellen Littbarski-Nachfolger verpflichtet? Und eins von Goran Vucevic, weil mir niemand sagte, dass der zwar beim großen FC Barcelona spielte, aber eben in der B-Mannschaft? In diesem Dilemma zwischen Vernunft und Enthusiasmus erinnerte ich mich an meine Kindheit und an die Zeit, in der ich aus weißen T-Shirts mit Filzstiften originalgetreue Deutschland-Trikots erstellte. Nie im ersten Versuch, weil der Deutschland-Adler beim Übermalen schnell aussah wie eine Masthenne, aber irgendwann durchaus passabel.

Yuya Osako und die Weltmeisterschaft 2014

Foto: Sascha Kurzrock

Ich kaufte mir in einem Klamotten-Discounter einen Dreierpack weiße T-Shirts und nach 25 Jahren Pause mal wieder ein paar Filzstifte, dann ging es los. Ein japanisches Fähnchen auf die Brust, eine Nummer in die Mitte und eine auf den Rücken. Täuschend echt, fast so wie auf dem Bild im Internet. Es konnte losgehen!

Die Elfenbeinküste wartete als erster Gegner meiner japanischen Landsleute – um 3 Uhr in der Nacht, immerhin an einem Samstag. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich auf dem Sofa eingeschlafen bin, aber eigentlich ist das auch egal, denn es war vor dem Anpfiff. Immerhin stand Osako in der Startelf und hatte 67 Minuten gespielt. Dann eben im zweiten Spiel gegen die Griechen, das relativ konsumentenerträglich unter der Woche um Mitternacht stattfinden sollte. Oder eben doch im dritten Spiel, nachdem ich wieder auf dem Sofa eingepennt bin. Dienstag, 22 Uhr, Japan gegen Kolumbien. Da saß ich vor dem Fernseher, schrie bei der Aufstellung die Nachnamen meiner Japaner, aber wo war Osako? Wurde er etwa aus der Startelf gestrichen? Wurde er. Wurde er noch eingewechselt? Wurde er nicht. Wurde das Osako-Trikot jemals in der ihm angemessenen Würde getragen? Wurde es auch nicht.

Als ich vergangene Woche die Corona-bedingte Pause nutze und gemeinsam mit meiner Frau den Kleiderschrank aussortierte, fiel mir das Osako-Trikot wieder in die Hände. Ich musste an die Weltmeisterschaft denken, an die Nächte, in denen ich viel zu früh auf dem Sofa eingeschlafen bin und an Osakos Tor gegen Mainz, mit dem wir uns für Europa qualifizierten. Dann fragte mich meine Frau, ob das Trikot weg kann.

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