Für die meisten ist der Gang auf die Waage kein besonders angenehmer, zeigt das Ergebnis doch oft die Sünden der letzten Zeit. Ausnahmen gelten unter anderem für diejenigen, welche fit und gesund sind oder sich erkennbar auf dem Weg dorthin befinden. Sportlich ist beim 1. FC Köln im Februar 2020 letzteres der Fall. Nach der verkorksten Hinrunde inklusive Trainer- und Managerwechsel hat der Aufsteiger kurz vor Weihnachten die Kurve so gerade noch gekratzt bekommen und nach der Niederlage bei Union Berlin fünf der letzten sechs Spiele gewonnen. Man kletterte von Tabellenplatz 17 auf den 13. Rang und hat nun sechs Punkte plus das Nachholspiel in Gladbach Vorsprung auf den Relegationsplatz. Die letzten Wochen waren eine ungeahnte Erfolgsgeschichte, die sich durchaus sehen lassen kann. Beim Kräftemessen mit den Bayern muss man daher nicht befürchten, komplett unangenehme und nicht behebbare Wahrheiten zu erfahren.
Das Spiel gegen die Münchener kommt daher für die „Geißböcke“ nicht unpassend, sich mit dem Tabellenführer und internationalem Schwergewicht aus dem südlichen Freistaat zu messen und zu testen, wie stabil das Kölsche Gerüst unter Druck agiert, ist eine anspruchsvolle Aufgabe zur richtigen Zeit. Es wird am Geißbockheim als echter Gradmesser verstanden. Denn der 1. FC Köln wird nach dem Spiel am Sonntagabend wissen, wie schwer er ist. Schwachstellen werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit offenbart, die zuletzt erworbenen Stärken zum Beispiel im Pressing aber auch einem echten Härtetest unterzogen. Dass die Kölner eine eventuell nicht ganz einfache Aufgabe sein werden, erkannte sogar Bayern-Trainer Hansi Flick und mahnte: „Die Art und Weise, wie sie verteidigen, ist sehr mutig. Sie setzen den Gegner hoch unter Druck und können gut umschalten.“
Selbstwertgefühl beim 1. FC Köln
Sollte der FC allerdings wie schon in Dortmund gewogen und für zu leicht befunden werden, weiß das Trainerteam immerhin, wo man in den nächsten Wochen ansetzen muss. Die Tabellensituation ist mittlerweile entspannt genug, eine Niederlage bringt die Kölner nicht automatisch wieder in die unbequeme Situation, dem Strich bedrohlich nahe zu kommen.
„Es ist nicht das leichteste Spiel, es ist das schwierigste Spiel“
Entsprechend gelassen war Trainer Markus Gisdol auf der Pressekonferenz. Auch er kann die Tabelle lesen, noch mehr allerdings freut ihn derzeit der Rückhalt der Fans, den „die Jungs“ derzeit überall in der Stadt spüren. Es gebe einfach mehr Selbstwertgefühl, wenn die Stadt positiv auf das reagiere, was man selbst in den letzten Wochen auf den Weg gebracht hätte.
Etwas zurückhaltender kommentierte der gebürtige Schwabe das karnevalistische Programm während der jecken Tage: „Nächste Woche noch mal ne ganze Runde, dann noch mal, und dann gucken, wie wir da durchkommen.“ Auch wenn er sich anschließend bemühte festzuhalten, dass die karnevalistischen Sitzungen in den letzten Wochen nicht unangenehm gewesen seien, spürte man seine Skepsis. „Ich habe mir gesagt, ich lasse mich darauf ein”, kommentierte Gisdol dann auch vielsagend über seinen karnevalistischen Geist. „Den Fokus auf die kommenden Spiele zu legen, sei unabdingbar”, bemühte sich der Übungsleiter auch schnell den Blick lieber auf das Sportliche zu legen.
„Wir brauchen fußballerische Lösungen“
Wie Gisdol das Spiel gegen den Serienmeister angehen will, daraus machte er am Freitag keinen Hehl: „Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass wir eine Stärke entwickelt und Sicherheit gefunden haben“ ließ er durchblicken und gab die grobe taktische Marschroute vor: „Wir werden wenig Ansatzpunkte haben, wenn wir den Ball nur blind nach vorne schlagen. Wir brauchen selber fußballerische Lösungen. Auch in diesem Spiel“ Aussagen, an denen ablesbar ist, wie viel Selbstvertrauen mittlerweile rund ums Geißbockheim herrscht.
Dennoch wird man kein Offensivfeuerwerk abbrennen, sondern über Pressing und schnelles Umschaltspiel versuchen, zum Torerfolg zu kommen. Nagelsmann versuchte mit Leipzig letzte Woche mit dem Ball hinter die Aussenverteidiger zu kommen und von dort die Bayern zu bespielen. Eine Möglichkeit auch für Gisdol, der mit Jakobs, Thielmann und Ehizibue in Punkto Schnelligkeit punkten könnte. Insbesondere Pavard offenbarte hier im Starensemble der Bayern durchaus Probleme. Essenziell wird sein, nicht – wie zuletzt häufiger geschehen – die ersten Minuten zu verschlafen und in Rückstand zu geraten. Je länger man das Spiel offen hält, desto höher die Chance, die Bayern zu entnerven, die Fans hinter sich zu versammeln und im Umschaltspiel die Lücke zu finden gegen in der Rückwärtsbewegung nicht immer 100% sichere Bayern.
Dabei zumindest theoretisch helfen kann wohl Anthony Modeste. Der 31-jährige brach unter der Woche das Training ab, dies stellte sich allerdings als eine Vorsichtsmaßnahme heraus. Dennoch wird aller Voraussicht nach Jhon Cordoba wieder den Vorzug im Sturm erhalten. Noch nicht ganz klar ist der Einsatz von „Iso“ Jacobs, er laborierte zuletzt an einer Mandelentzündung, trainiert aber ebenso wieder mit wie Elvis Rexhbecaj. Sicher ausfallen wird lediglich Ersatzkeeper Thomas Kessler (Faszieneinriss).
Die Bayern sind wieder in der Spur
Gegner Bayern München hat nach schwachem Herbst zuletzt wieder in die Spur gefunden. Hatte Hansi Flick nach Übernahme des Trainerpostens zunächst noch ein paar Startschwierigkeiten, standen ab Mitte Dezember acht Pflichtspielsiege in Folge, bevor man zuletzt 0:0 zuhause gegen Leipzig spielte und sich damit aber auch an der Spitze der Bundesliga behauptete. „Die Bayern haben sich gefangen und werden wahrscheinlich deutscher Meister. Das zeigt, dass Hansi einen herausragenden Job macht“, so Geschäftsführer Horst Heldt. Die Zahlen untermauern diese Prognose: Der Rekordmeister erzielte in den letzten neun Spielen 30 Tore, acht davon steuerte Torjäger Robert Lewandowski bei. Mit wettbewerbsübergreifend 35 Toren in 29 Spielen ist der Pole derzeit vielleicht in der Form seines Lebens und wird in Müngersdorf versuchen, seinen Schnitt aufrecht zu erhalten.
„Man kann ihnen ein Bein stellen – wenn man die Beine trifft”
Nicht leichter wird die Aufgabe für die Kölner, weil lediglich die Langzeitverletzten Ivan Perisic, Niklas Süle und Javi Martinez fehlen. Ansonsten reist der Rekordmeister in Bestbesetzung nach Köln. Lucas Hernandez und Kingsley Coman wurden zuletzt langsam herangeführt und sind wieder Optionen. Das Spiel in Köln genießt jedoch nicht die höchste Priorität, die beiden Stars sollen vor allem in den anstehenden englischen Wochen und in der Champions League gegen Chelsea in Bestform sein. Dies gilt auch für Manuel Neuer, er laborierte unter der Woche an einem Magen-Darm-Infekt. Einem Einsatz steht jedoch nichts im Weg, gab Trainer Flick Entwarnung.
Für die Bayern geht es hauptsächlich darum, in Köln nicht zu stolpern und das Spiel möglichst kräftesparend zu absolvieren, während es für den Gastgeber eine richtige Standortbestimmung ist. Es wäre der fünfte Heimsieg in Folge, was Erinnerungen an die Saison 2010/11 wecken würde, als man zuhause sieben Ligasiege in Folge schaffte. Auch damals besiegte man übrigens den FC Bayern. Wiederholt man dies, würde man sich vorerst ins Mittelfeld der Tabelle verabschieden und der derzeitigen Saison einen unvergesslichen Sieg beifügen.