Vor zwei Jahren liefen wir uns auf dem Aachener Weihnachtsmarkt in die Arme. „Chili“ und ich, zum ersten Mal seit gut 30 Jahren. „Chili“ heißt eigentlich Jürgen und war in unserer WG fürs Kochen zuständig. Sein Spitzname war darauf zurückzuführen, dass er alle Gerichte ohne Ausnahme mit dem gleichnamigen Gewürzpulver bis hart ans Erträgliche schärfte. Nach unserem Studium hatten wir noch einige Zeit lang Kontakt, uns dann aber aus den Augen verloren.
Wir steuerten den nächsten Glühweinstand an, um die Lücken zu füllen, die zwischen drei Jahrzehnten Vergangenheit und der Gegenwart entstanden waren. „Chili“ lebte mit seiner Familie inzwischen in Frechen und war wie ich Lehrer geworden. Sein einst rotblonder Lockenkopf war mittlerweile in Ehren ergraut, aber er schien drahtig und temperamentvoll wie früher. „Bist Du eigentlich immer noch effzeh-Fan?“, fragte er und grinste dabei. „Chili“ war BVB-Anhänger, erinnerte ich mich und nickte.
„Mein Ältester hat drei Jahre bei Deinem Verein gespielt“, fuhr er dann fort. „Von der E- bis Ende D-Jugend. Er hatte Talent, war schnell, ein Rechtsaußen, trickreich und technisch gut. Kurz vor Ende der letzten Saison haben sie ihm gesagt, dass es nicht reicht.“ Er trank an seinem Glühwein. „Er hat von einem Tag auf den anderen mit dem Fußball aufgehört. Schluss. Aus. Ende. Finito. War eine schwere Zeit, für ihn, aber auch für uns.“
Er schaute mich an. „Er hat dann Jahre später noch einmal bei einem kleinen Verein angefangen, aber Fußball war es nicht mehr für ihn.“ „Und heute?“, fragte ich. „Er ist Rechtsanwalt, seit vier Jahren hat er eine eigene Kanzlei.“ Er lächelte. „Und eine Jahreskarte beim FC.“ Wir redeten noch lange, tranken dabei einen Glühwein oder auch zwei und schworen uns, dass wir nicht wieder 30 Jahre ins Land ziehen lassen würden vor unserem nächsten Wiedersehen.
Fragen …
Die Geschichte des ältesten Sohnes meines ehemaligen Studienfreundes beschäftigte mich weit über jenen Abend hinaus. Es musste abertausende junge Fußballer geben, deren Karriere in einer der Jugendmannschaften des 1. FC Köln begann und die allesamt den Traum geträumt hatten, Profifußballer bei diesem Verein zu werden. Von ihnen werden die allermeisten eine ganz ähnliche Aussage zu hören bekommen haben wie Chilis Sohn: „Es reicht nicht.“
Mich interessierte die Frage, wie man als junger Mensch mit einer solchen Enttäuschung umgeht. Wirft einen das aus der Bahn? Wer steht einem zur Seite? Wie findet man in die Spur zurück? Wie lange dauert es, so etwas zu verarbeiten? Antworten erhoffte ich mir von der deutlich kleineren Gruppe ehemaliger FC-Nachwuchsspieler, deren Talent, Ehrgeiz und Mentalität groß genug waren, sie bis ganz kurz vor die Schwelle zu einer nachhaltigen Profikarriere bei den Geißböcken gelangen zu lassen.
Deutsche Meister, Jugendnationalspieler, Teilnehmer an U17- und U19-Europameisterschaften, hoffnungsvolle Talente, deren Traum von der großen Fußballbühne sich dann aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht erfüllte. Ich fand im letzten Jahr sieben dieser ehemaligen Nachwuchsspieler des 1. FC Köln, die bereit waren, ihre Geschichte mit mir zu teilen.
Ich hatte ursprünglich etwa eine Stunde für jedes Interview eingeplant, alle Gespräche wurden deutlich länger, waren informativ, manchmal anrührend, immer kurzweilig.
Alle waren sehr interessante Gesprächspartner, dabei so unterschiedlich wie das Leben überhaupt. Ich hatte ursprünglich etwa eine Stunde für jedes Interview eingeplant, alle Gespräche wurden deutlich länger, waren informativ, manchmal anrührend, immer kurzweilig.
Einst waren sie große Nachwuchstalente beim 1. FC Köln
Ich traf Joschi Chang, der mit der B-Jugend deutscher Meister wurde, in seiner Sushi-Bar im Belgischen Viertel; Massimo Cannizzaro, der unzählige Tore auf seinem Weg durch die 3. und 4. Ligen schoss und heute als Geschäftsmann in Sachen Fußball unterwegs ist; Stefan Oventrop, einst gemeinsam im Kader der DFB-Jugendauswahl mit Sami Khedira, Dennis Aogo und Rouven Hennings und noch heute beim 1. FC Spich aktiv.
Frank Ploeger, inzwischen Unternehmer in Kirchheim/Teck, Deutscher Meister mit der B-Jugend und Vizemeister mit der A-Jugend, erzählte vom Granatkin-Turnier in Leningrad; Gregor Kapitza, vielfacher Jugendnationalspieler, der von Waldhof Mannheim nach Köln kam, erinnerte sich an ein Länderspiel im Wembley-Stadion gegen die englische Jugendauswahl, als sein Gegenspieler kein Geringerer war als Michael Owen.
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