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Ehrentribüne

Lebenswege beim 1. FC Köln: Gregor Kapitza – Vom Aschenplatz zur Nationalelf

Wie ergeht es ehemaligen Jugendspielern des 1. FC Köln, die den Sprung zu den Profis nicht geschafft haben? effzeh.com-Autor Kurt Ludwigs traf Gregor Kapitza, in dessen Leben Fußball eine große Rolle spielt – und der immer noch Verbindungen zum Geißbockheim hat.

Im Wembley-Stadion, Gregor Kapitza in der hinteren Reihe 6. von rechts Foto: privat

Die ersten Klänge der deutschen Nationalhymne hallten durch das weite Stadionrund, als der mittelgroße, dunkelhaarige Spieler für einige Augenblicke seine Augen schloss. Er dachte an den Aschenplatz im heimischen Erbach, wo er in den Heimspielen des örtlichen FC dem Leder hinterherjagte und drei Monate zuvor im Leben nicht daran gedacht hatte, einmal das Trikot mit dem Bundesadler auf der Brust tragen zu dürfen. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf, als er sich an das Stützpunkttraining für die Auswahl des Odenwaldkreises erinnerte, von dem er vor nicht einmal einem Jahr mit der Aussage nach Hause geschickt worden war, sein Talent reiche einfach nicht aus.

Er öffnete die Augen, musste etwas blinzeln, bemerkte aber dann die vollbesetzte Tribüne, auf der sich weit über tausend Zuschauer eingefunden hatten und nicht nur siebzig oder achtzig, wie bei den Heimspielen seiner B-Jugend in Erbach. Aus den Augenwinkeln sah er, dass seine Mannschaftskameraden die Hymne, die langsam sich ihrem Ende entgegenneigte, mit genau derselben respektvollen Haltung verfolgten, wie er dies tat. Auch für sie war das gleich beginnende Spiel der erste Einsatz in der deutschen U15-Nationalelf, und alle schienen sich mit ihren eigenen Gedanken, Sorgen und Wünschen zu beschäftigen.

Kaum zwei Stunden später saßen sie in der Kabine und versuchten, die 3:4-Niederlage, die sie gerade gegen die U15-Nationalelf Frankreichs erlitten hatten, zu verarbeiten. Der dunkelhaarige Spieler aus dem Odenwald war Innenverteidiger und zweifelte angesichts der vier Gegentore, die er mit seinen Abwehrkollegen hinnehmen musste, daran, dass er noch einmal zum Nationalteam eingeladen würde. Gregor Kapitza hätte sich nicht sorgen müssen, er sollte noch 24 weitere Einsätze für deutsche Jugendnationalmannschaften bestreiten.

Wie alles begann: Die Flucht aus Polen

24 Jahre später treffe ich den vielfachen Jugendauswahlspieler in einem kleinen Café in Hürth. Er ist ein drahtiger, jugendlich wirkender Baldvierziger, der, wie er mir später bestätigt, kein Gramm mehr auf die Waage bringt als zu seiner aktiven Zeit. Gebürtig stammt er aus dem oberschlesischen Cosel, einer unweit von Gleiwitz gelegenen Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern. 1988 entschließen sich seine Eltern, mit ihrem Sohn und seiner vier Jahre jüngeren Schwester aus Polen zu fliehen.

„Einer meiner Onkel war in den siebziger Jahren nach Deutschland ausgereist und schickte uns eine Einladung, damit wir ein Besuchervisum beantragen konnten“, erzählt Kapitza. „Niemand durfte von unserem Vorhaben wissen, nur meine Großmutter wusste Bescheid. Wir haben dann unser Hab und Gut in zwei Koffer gepackt und sind nach Düsseldorf gereist, wo mein Onkel wohnte. Nach Erledigung der Formalitäten sind wir dann in Hessen gelandet, weil meine Mutter dort Verwandte hatte. Schlussendlich sind wir nach Gammelsbach in den tiefsten Odenwald gezogen.“

Wir sind eine richtige Fußballerfamilie.

In dieser 900-Seelen-Gemeinde findet Kapitzas Vater, der gelernter Industrieelektroniker ist, Arbeit als Elektriker und schnürt genau wie sein neunjähriger Sohn Gregor, der sich dem örtlichen Fußballverein SV Gammelsbach anschließt, in seiner Freizeit die Fußballschuhe. Durch diese Kontakte bekommen die Kapitzas schließlich den Hinweis auf ein leerstehendes Haus, das sie renovieren und mieten und so in der unterhalb der Burg Freienstein gelegenen Ortschaft ansässig werden. „Wir sind eine richtige Fußballerfamilie“, berichtet der frühere Gammelsbacher. „Mein Vater hat Fußball gespielt, mein Onkel, Hubert Kapitza, war Erstligatorwart bei Odra Opole, und einer meiner Cousins ist Thomas Sobotzik, früher Profi unter anderem bei Eintracht Frankfurt, St. Pauli, dem 1. FC Kaiserslautern und bei Rapid Wien.“

Kapitzas Cousin Thomas Sobotzik | Foto: Ruediger Fessel/Bongarts/Getty Images

1993 wird Kapitza von Georg Ludwig Siegmund, einem sehr ambitionierten Jugendtrainer, zum FC Erbach gelotst und spielt dort zunächst in der C1-Jugend, dann in der B2. In der Saison 1994/95 erhält er nach einem erfolglosen Stützpunkttraining des 79er-Jahrgangs einige Zeit später sehr zu seiner Überraschung eine erneute Einladung, diesmal allerdings zu einem Lehrgang des 78er-Jahrgangs, überzeugt dabei und wird in die Kreisauswahl berufen.

Länderpokalsieg und erstes Länderspiel

In dieser Mannschaft spielt er so gut, dass er in die Bezirksauswahl geholt wird, die einen Lehrgang in der Sportschule Grünberg absolviert, wo sich zur gleichen Zeit die Hessenauswahl des 79er-Jahrgangs auf den Länderpokal vorbereitet. Der Trainer der Bezirksauswahl teilt einem Mitspieler Kapitzas, der wie er dem 79er-Jahrgang angehört, mit, er könne „mal“ mit der Hessenauswahl trainieren. „Daraufhin habe ich mich gemeldet und dem Trainer gesagt, ich sei auch 79er-Jahrgang“,  erzählt Kapitza. „Der Trainer wollte dies zunächst nicht glauben, da mein Geburtsjahr in meinem Spielerpass fälschlicherweise mit 1978 angegeben war. Ich klärte den Fehler auf,  konnte mit der Hessenauswahl trainieren und rutschte in den Kader für den Länderpokal.“

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